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Mareike Beykirch (Cato, links) und Thelma Buabang (Üzüm)

© Ute Langkafel

Sasha Marianna Salzmanns „Meteoriten“ im Gorki- Theater: Die fünf Fragezeichen

Berliner Liebesszenen: Sasha Marianna Salzmanns „Meteoriten“, uraufgeführt am Maxim-Gorki-Theater. Ein typischer Gorki-Abend: Großstadtthema, locker und selbstbewusst präsentiert.

Denn sie wissen nicht, wer sie sind. Sie suchen ein Zuhause und einen Ausgang zugleich in der großen Stadt, die sich dem Fußballweltmeisterschaftstaumel hingibt. Berlin, im Sommer 2014. Roy, ein junger Syrer, und sein jüdischer Freund Udi aus Israel tun sich zusammen mit Üzüm und Cato, einem lesbischen Paar. Die schwulen Jungs und die beiden Frauen – Cato allerdings fühlt sich als Mann im falschen Körper – wollen eine Familie gründen, Kinder haben.

Roy und Udi sparen auf eine Eigentumswohnung, ihr Job: Sie ziehen Männer ab in einer Schwulenbar. Eines ihrer willigen Opfer ist Serosha aus Russland, der nicht so genau weiß, ob er Männer liebt, und nachher Cato einen Heiratsantrag macht. Roy, nebenbei, arbeitet nachts in einer Notrufzentrale für Opfer sexueller Übergriffe. Cato wird verzweifelt die Nummer wählen, aber sie ist ein Mädchen, oder?, und hier wird nur Schwulen geholfen, eigentlich, und dann hören wir die Geschichte vom Hermaphroditen, den die Menschen in ihrer Wut und Verwirrung zerreißen ...

Ein Großstadtthema, locker und selbstbewusst präsentiert

So ungefähr läuft die Sache ab in Sasha Marianna Salzmanns neuem Stück „Meteoriten“, das am Maxim Gorki Theater uraufgeführt wurde und, ja – hier schwankt der Boden gründlich – auch „Metamorphosen“ heißen könnte. Ovids Mythen zwischen Mensch und Tier, Mann und Frau, Himmel und Erde, Traum und Gestalt formen den Hintergrund für Salzmanns queere Menagerie zu fünft. Eine alte Geschichte. Die Antike zeigt: Aus Transformationen ist die Welt entstanden. Diese wilden, grausamen Dramen grundieren die abendländische Zivilisation. Wenn Mareike Beykirch, Cato, ihren Schlussmonolog hält, dies zarte, helle Wesen, auf das sie alle ihre Wünsche und Ideen projizieren, bekommt die Inszenierung auch die Härte, die in diesen Geschichten steckt.

Es ist ein typischer Gorki-Abend: Großstadtthema, locker und selbstbewusst präsentiert, Schauspieler, die sich wohlfühlen auf der Bühne, schnell gespielt, intelligent, witzig. Das vor allem: Regisseur Hakan Savas Mican legt ein ordentliches Tempo vor, geht direkt auf die Pointen los. Das Nahost-Paar kabbelt sich wie zwei junge Kater. Thomas Wodianka (Udi) hat militante Sexfantasien mit Panzern und israelischen Soldaten, während Mehmet Atesci (Roy) eher den Vernünftigen spielt. Wer liebt wen mehr? Das ist auch bei der lustig-lauten Üzüm von Thelma Buabang und Cato die Frage. Wer begeht den Verrat, wer geht fort, wann? Was wird aus der Familienplanung?

Ist es Dimitrij Schaad (Serosha), der alles durcheinanderbringt und die Gruppe ins Chaos stürzt? Oder muss es so kommen bei diesen romantischen Typen? Sie haben Angst vor dem Leben, vor sich selbst: Schaads Eifersuchtsausbruch gegen Cato ist ein autoaggressiver Akt. Metamorphosen tun weh, in jedem Fall. Das Geschlecht ist nichts, worauf man sich verlassen kann, ein Quell der Schmerzen. Und wer versteht schon, wo der oder die andere herkommt und hinwill?

Manchmal weitet sich der Blick über das Biotop hinaus

Und dann ist doch wieder alles nicht so schlimm. Man könnte den Salzmann-Text viel fieser, brutaler in Szene setzen. Das ist bei Salzmann angelegt, der Text schwankt zwischen Harmoniebedürfnis und erbarmungsloser Härte. Es gibt, egal wie, zwei Schwierigkeiten: Die Figuren sind nur angerissen, tatsächlich geben sie wenig von ihrer Geschichte preis, und die Themen, die Tabus werden nach und nach abgehandelt. Ein bisschen zu clean, auf der Kletterkastenbühne von Magda Willi.

„Ich bin sehr stolz auf uns. Wir haben da was Gutes vor. Wir sind Pioniere“, sagt Üzüm, die Unerschütterliche. Da sind sie stinknormal in ihren Bedürfnissen und Plänen, und das ist auch ein Kompliment an Berlin.

Manchmal weitet sich der Horizont über das Biotop hinaus: Dimitrij Schaads Monolog von dem Meteoritenfall in Russland und dem Mann, der in seinem Auto durch den Sternensturm fährt, stoisch, zeigt Salzmanns literarische Kraft. Man vergisst diese Bilder nicht, das Wunder, das Schaad so schön und klar beschreibt. Cato, zerrissen und doch in sich ruhend, und Serosha mit seiner zappeligen, nach Berührung schreienden Körpersprache wären ein Traumpaar. Aber dazu wird es nicht kommen. Es gibt kein richtiges Ende – und es ist bestimmt nicht happy. Trotzdem kommt man gut gelaunt aus dem Theater. Die Schauspieler geben viel. Das Gorki vermittelt ein positives Lebensgefühl.

Wieder am 18. und 29. April sowie am 8. und 22. Mai.

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