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Der 17-jährige Elio (Timothée Chalamet) hat sich in den Assistenten seines Vaters verliebt.

© Sony

Liebesfilm "Call Me By Your Name": Reif für einen Pfirsich

Sinnlich und berührend: Luca Guadagnino erzählt in seiner vierfach oscarnominierten Romanadaption „Call Me By Your Name“ von einer schwulen Sommerliebe im Italien der achtziger Jahre.

Wie jeden Sommer muss Elio (Timothée Chalamet) sein Zimmer räumen. Denn für sechs Wochen wird dort ein Gast seines Vaters einziehen. Ein wissenschaftlicher Assistent, den Elio bei dessen Ankunft scherzhaft als Usurpator bezeichnet. Und tatsächlich hat dieser Oliver (Armie Hammer) etwas von einer fremden Macht, die den Raum um sich und die Menschen darin umgehend in Beschlag nimmt. Der blendend aussehende Amerikaner, Ende 20, sticht heraus, wirkt immer ein bisschen zu grob und zu groß für dieses Intellektuellen-Anwesen im Norden Italiens. Will er ein Frühstücksei aufschlagen, haut er es zu Matsch, trinkt er einen Saft, sieht das aus wie eine Vernichtung und das geliehene Fahrrad scheint seiner Kraft nur gerade so gewachsen zu sein.

Gleichzeitig passt er sehr wohl hierher, verbindet ihn doch die Liebe zur Archäologie und zur Literatur mit der Familie Perlman. Überdies ist er genau wie sie jüdisch – auch deutlich auffälliger als Elio und seine Eltern, „dezente Juden“, wie die Mutter meint. Seine Davidstern-Kette trägt er gut sichtbar unterm offenen Hemdkragen.

Armie Hammer spielt Oliver mit einer so anziehenden charmant-virilen Sunnyboyhaftigkeit, dass es sofort einleuchtet, weshalb ihn die jungen Frauen in der Kleinstadt anhimmeln – aber auch der 17-jährige Elio sich immer stärker zu ihm hingezogen fühlt.

Überwältigung der ersten Liebe

Aus seiner Sicht erzählt Luca Guadagnino den im Jahr 1983 angesiedelten „Call Me By Your Name“, der auf dem gleichnamigen Roman von André Aciman von 2007 beruht. Diese oftmals etwas langatmige in der ersten Person erzählte Vorlage übertrifft er an Intensität und Dichte um einiges. Drehbuchautor James Ivory, selbst Regisseur großer auf Romanen basierender Liebesdramen wie „Wiedersehen in Howards End“ oder „Was vom Tage übrig blieb“, hat den Text klug kondensiert, genau die richtigen Szenen übernommen und die Geschichte auf ihren emotionalen Kern fokussiert.

So erstrahlt in diesem Coming-of-Age-Film auf eine pure und packende Weise die Überwältigung der ersten Liebe und das unbändige Begehren eines jungen Mannes, der anfangs von sich sagt, dass er wenig weiß, über die Dinge, auf die es ankommt.

Dabei weiß Elio, der auch mit der gleichaltrigen Marzia (Esther Garrel) flirtet, schon eine Menge. Er spricht fließend Französisch, Italienisch und Englisch, ist belesen, spielt Klavier und Gitarre und transkribiert klassische Musik, die er auf dem Walkman hört. Seine Begabung und seine Unbekümmertheit tragen dazu bei, den Altersunterschied zwischen ihm und Oliver zu überspielen. Dass die beiden etwas miteinander anfangen, geht klar auf Elios Initiative zurück.

Die Initiative geht von Elio aus

Einmal fasst er dem Älteren beherzt in den Schritt und fragt dann: „Did I offend you?“ Ist er zu forsch? Eine Szene, die es auch im Buch gibt, und nach der man tatsächlich nicht mehr über Elios Minderjährigkeit nachdenkt, sondern nur noch über seine Sehnsucht.

Die sonnigen Tage, die vergehen, bis sie sich endlich erfüllt, inszeniert Guadagnino ähnlich farbintensiv und atmosphärisch wie seinen letzten Film „A Bigger Splash“, der ebenfalls in einem traumschönen Haus während des italienischen Hochsommers spielte. Bald meint man jeden Winkel der Perlman-Villa zu kennen, das kleine Bassin, den Tisch vor dem Haus. Vor allem aber Olivers und Elios Zimmer, die durch ein Bad verbunden sind. Elio hat überdies ein Refugium unter dem Dach. Einmal macht er hier mit Marzia herum, immer die Uhr im Blick für sein Date mit Oliver – Hetero-Sex als Vorspiel.

Timothée Chalamet spielt umwerfend gut

„Call Me By Your Name“, der vier Mal für den Oscar nominiert ist (u.a. als bester Film und Timothée Chalamet als bester Hauptdarsteller), wurde sowohl von der Kritik wie auch von der schwulen Community gefeiert. Letzteres hat viel damit zu tun, dass das erste große Begehren hier einmal als ein glückliches inszeniert wird – zumindest kurzzeitig. Eine Wunschfantasie, die nicht allzu häufig in aufwändiger Inszenierung auf Kinoleinwänden zu erleben ist. Von „Brokeback Mountain“ bis „Moonlight“ dominieren genau wie in vielen Coming-Out-Filmen das Leid und die Schwermut. Natürlich schwingt davon - etwa in Olivers angedeuteter Scham - auch etwas in „Call Me By Your Name“ mit, doch es prägt nicht den unbeschwerten Ton.

Dass der Film so berührt, liegt an der guten Chemie der Hauptdarsteller – und daran, dass Timothée Chalamet als Elio einfach umwerfend ist. Wie er es etwa schafft, in einer Masturbationsszene mit einem Pfirsich sowie dem anschließenden Dialog mit Oliver Leidenschaft und vorweggenommenen Trennungschmerz zu verbinden, ist schlicht großartig. Und wer die letzte Einstellung gesehen hat, wird ihm auch den Hauptrollen-Oscar zutrauen: Minutenlang starrt Elio in ein Kaminfeuer, traurig, verletzt, aber auch gestärkt. Denn er weiß jetzt mehr über die Dinge, auf die es ankommt.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Kant Kino, OmU: Babylon Kreuzberg, Central, Delphi LUX, Filmtheater am Friedrichshain, Kino in der Kulturbrauerei, OV: Cinestar Sony Center, Neues Off

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