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Comeback mit über siebzig. Die Sängerin Chavela Vargas.

© Maj Lindström / Arsenal Filmverleih

Im Kino: Doku über Chavela Vargas: Sängerin mit Zorn im Blut

Macho-Gesten und existenzielle Einsamkeit: Ein Dokumentarfilm über das Leben der großen mexikanischen Sängerin Chavela Vargas.

Eine Frau in Männerkleidung? Im Mexiko-Stadt der vierziger Jahre undenkbar. Also zieht sich Chavela Vargas brav wie eine Frau an, trägt High Heels und Make-up. Doch in diesem Aufzug fühlt sie sich unwohl. Sie findet, dass sie wie ein Transvestit aussieht. Also bändigt sie das lange dunkle Haar in einem Pferdeschwanz, trägt Hosen, Ponchos – und hat plötzlich Erfolg. Zumindest in den Clubs und Bars der Stadt. Denn auf die großen Bühnen lässt man diese Sängerin mit der beeindruckenden Stimme und den leidenschaftlichen, oft an Frauen gerichteten Liebesliedern lange Zeit nicht.

Heute ist die 1919 in Costa Rica geborene und mit 93 Jahren in Mexiko gestorbene Chavela Vargas eine Legende. Sie hat das traditionelle mexikanische Ranchera- Genre auf ihre ganze eigene, raue Weise interpretiert und erneuert. Meist nur von zwei, drei Akustikgitarren begleitet, stürzt sie sich singend in Abgründe des Liebesleids und des Weltschmerzes.

Der Dokumentarfilm „Chavela“ von Catherine Gund und Daresha Kyi vermittelt einen guten Eindruck davon. Gleich das erste Wort, das sie darin singt ist „Soledad“ – Einsamkeit. Die Hände über den Augen, die Stimme von Schmerz zerrüttet, beschreibt sie eine sternenlose Nacht, in der sie verlassen wurde. Ein Lied so randvoll mit Gefühl, dass es unmöglich ist, davon nicht berührt zu werden.

Wunderbare Anekdoten von ihrer Affäre mit Frida Kahlo

Die Videoaufnahme stammt vom Beginn der neunziger Jahre, als Chavela Vargas mit über siebzig ein erstaunliches Comeback gelang. Ebenfalls in dieser Zeit führte Co-Regisseurin Gund ein bisher unveröffentlichtes Interview mit ihr, das nun den roten Faden dieser Hommage an die Sängerin bildet. Weggefährtinnen, Freunde und Ex-Geliebte kommen zu Wort. Historische Fotos und Live-Mitschnitte sind zu sehen.

Eine konventionelle Form, die jedoch nah heranführt an diese unkonventionelle Musikerin, die seit Kindertagen eine Außenseiterin war. Wegen ihres wenig mädchenhaften Wesens wird sie von den streng katholischen Eltern vor Gästen versteckt, aus einem Gottesdienst geworfen und schließlich zu Onkel und Tante abgeschoben. „Meine Adern füllten sich mit Zorn“, sagt Chavela im Film. Beseelt vom Wunsch, die Familie zu verlassen, schafft sie es mit 14 Jahren nach Mexiko, dessen Musik und Filme sie faszinieren.

Extra-machohaft in der Männerwelt der Clubs

Die frühen Verwundungen und die Härte, die Chavela Vargas deshalb entwickelt hat, sind zentrale Elemente ihres Lebens und Schaffens. In der Männerwelt der Clubs gibt sie sich extra-machohaft und stilisiert ihre existenzielle Einsamkeit später zu ihrem „loyalsten Begleiter“. Dennoch gibt es Seelenverwandte wie den Ranchera-Sänger und -Komponisten José Alfred Jiménez, dessen Lieder sie besonders leidenschaftlich zu interpretieren versteht – und bei denen sie selbstredend nicht die Personalpronomen ändert. Die beiden sind berüchtigt für ihre gemeinsamen Trinkgelage, Chavela Vargas auch für ihre Verführungskünste. Manches daran mag Prahlerei sein, doch die Anekdote von ihrer Affäre mit Frida Kahlo klingt so wunderbar, dass man sie ihr einfach glauben möchte.

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„Chavela“ erforscht auch die düsterste Periode im Leben der Sängerin: Während der Achtziger lebt sie als schwere Trinkerin mittellos – ihre Platteneinnahmen hatten andere kassiert – in einem abgelegenen Dorf. Viele dachten damals, sie sei bereits gestorben. Wie sie mit der Hilfe ihrer Freundinnen, einer Geliebten und zwei mutiger Barbesitzerinnen aus dieser Sackgasse herauskommt, gehört zu den staunenswertesten Kapiteln der Dokumentation. Auch Pedro Almodóvar, der Chavela verehrt und ihre Lieder in seinen Filmen verwendete, unterstützt ihr Comeback.

Als sie 1995 schließlich im monumentalen Palacio de Bellas Artes von Mexiko-Stadt auftritt, scheinen alle Demütigungen vergessen zu sein. Sie singt: „Ich träume davon, zurückzukommen in deine Arme“. Beim „Volver“ (Zurückkommen) stimmt das Publikum mit ein. Chavela Vargas freut sich sichtlich – und breitet beim Schlussapplaus die Arme aus wie eine triumphierende Königin. Nun hat sie auch ein Film-Denkmal.

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