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Probenszene aus "Gianni" in der Inszenierung von Martin Butler.

© Thomas Aurin

"Gianni"-Oper: Tanzen für den Modegott

Die Band Brandt Brauer Frick hat das Leben von Gianni Versace als Oper und Voguing-Ball umgesetzt. Ein Probenbesuch.

In vielen amerikanischen Bars kann man sein Bier nicht trinken, ohne auf Baseball- oder Footballleinwände starren zu müssen. In dieser Bar ist es anders. Statt Sport flimmern Nachrichten von CNN auf den Bildschirmen: „Serienmörder Cunanan auf der Flucht“, „Polizei kesselt Cunanan ein“.

Der lässt sich davon allerdings kaum stören. Wie auch, ist er doch viel zu beschäftigt mit den beiden Typen, die ihn umgarnen. Einer geht in die Knie und beschäftigt sich ziemlich eindeutig mit Cunanans Beckenbereich. Den er kreisen lässt, minutenlang. Ringsherum schummerige Dunkelheit, erhellt von Lichtsäulen in Pink. Auf der linken Seite der Bühne schickt die Berliner Band Brandt Brauer Frick mit Schlagzeuger Matthias Engler als Verstärkung hypnotische Beats, bei denen sich das Etikett Trance Pop aufdrängt, in den Saal. Ein Abbild der schlangenbewehrten Medusa thront über allem. Willkommen auf der Probe zu „Gianni“ in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin.

Ja genau, Versace ist gemeint. Sein Leben und Sterben haben Brandt Brauer Frick gemeinsam mit dem Regisseur Martin Butler jetzt in eine Oper gegossen. Der italienische Designer und Modeschöpfer wurde 1997 auf den Stufen seiner Villa in Miami von dem Callboy Andrew Cunanan erschossen. Die Medusa ist bis heute Symbol des Modeimperiums, das von der Familie weitergeführt wird. Verführung und Gewalt: Jeder, der die schöne Gorgone anschaut, wird in Stein verwandelt, eine schillernde Anspielung aufs Modebusiness. Wer sich mit Versace beschäftigt, stößt überall auf – teils von ihm bewusst gelegte – Spuren in die griechische Mythologie. So sind viele seiner Produkte mit dem uralten Mäander-Muster bedruckt, das sich auch in antiken Villen findet. Geboren wurde er in Kalabrien, eine Region im Süden des italienischen Stiefels, die als „Magna Graeca“ jahrhundertelang von der griechischen Kultur beeinflusst war.

Die Amsterdamer Voguing-Queen Amber Vineyard spielt mit

„Martin Butler wollte die Geschichte schon lange als griechische Tragödie aufziehen“, erzählt Paul Frick, „eine Idee, die uns ziemlich gut gefallen hat.“ Vor drei Jahren begann die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Band, die damals ihre ersten musikalische Einfälle zu den Szenen sofort festhielt. Etwa ein emotionales Pianothema für die Ouvertüre und härtere Beats für den Voguing-Ball, der die erste Hälfte von „Gianni“ prägt. Vogue und das verwandte Waacking sind Tanzstile, die in der New Yorker Subkultur der 70er und 80er Jahre entstanden waren, Madonna hat sie dann im Mainstream bekannt gemacht. Es geht ums Posieren: Bauarbeiter, Holzfäller, Angestellter – es ist völlig egal, welche Identität man annimmt, solange man sie nur möglichst glaubhaft darstellt. Auch in Berlin ist Voguing zuletzt wieder populär geworden, im November veranstaltet etwa der Verein „Berlin Voguing Out“ ein Festival im HAU und im Südblock. Eine „House Mother“ wacht dabei als Schiedsrichterin und schickt die Performer erbarmungslos weg, wen sie nicht überzeugen.

In „Gianni“ übernimmt die Amerikanerin Amber Vineyard diese Rolle, die sie übrigens auch im richtigen Leben ausübt, bei Wettbewerben in ihrem Amsterdamer „House of Vineyard“. Der Bassbariton Seth Caro, Ensemblemitglied der Deutschen Oper, singt die Rolle des Andrew Cunanan, um ihn herum scharwenzelt der androgyne Londoner Sänger Alexander Geist, der zuletzt in Berlin bei der Eröffnung der David-Bowie-Ausstellung im Martin Gropius Bau aufgetreten ist, als Personifikation der Medusa. Claron McFadden singt die antike Seherin Pythia, die alles Unheil ahnt. Und Gianni Versace selbst? Tritt als Figur gar nicht auf, obwohl die Oper nach ihm benannt ist. Versteckt sich irgendwo zwischen all den Ambivalenzen. Als Anspielung ist er auf jeden Fall präsent, als vergötterte Figur. Und Götter haben nun mal die Eigenschaft, die meiste Zeit unsichtbar zu sein. „Vielleicht spricht er mit der Stimme Amber Vineyards, wer weiß das schon?“, suggeriert Paul Frick.

Der Modezar selbst tritt nicht auf, dafür sein Mörder

Die Idee, sich dieser historischen Gestalt über einen Voguing-Ball zu nähern, ist jedenfalls schlüssig. War doch Versace selbst einer der Ersten, der Pop und Mode eng führte. Indem er bewusst Normen von Schnitten und Mustern verletzte, indem er Kleidung als Ausdruck von Haltung und Lebensgefühl begriff. Schwieriger erscheint da schon die Entscheidung, eine Person wie Andrew Cunanan, der seine Opfer teilweise bestialisch ermordet hat, quasi zur Hauptfigur auszubauen. Besteht da nicht immer auch die Gefahr von Sympathie und somit Verharmlosung? Für Daniel Brandt und Paul Frick war Cunanan aber nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Eine tragische Gestalt, gefangen in jener gesellschaftlichen Hysterie, die ganz normale Menschen zu unerreichbaren Superhelden stilisiert – was ja gerade auch wieder im Scheidungskrieg von Brangelina durchschimmert.

Die drei Musiker, die sich 2008 über das längst in die Bedeutungslosigkeit abgedriftete Portal MySpace kennengelernt hatten, sind vielleicht genau die Richtigen, dem in einer Spirale aus 100 bis 300 Jahre alten Repertoire festhängendem Genre „Oper“ frischen Schub zu verleihen. Daniel Brandt, Jan Brauer und Paul Frick sind mit klassischer Musik sozialisiert worden, machten sich dann aber vor allem mit „Techno ohne Technologie“ einen Namen, mit wenig Elektronik, dafür umso mehr unverstärkten Instrumenten, mit Cello, Geige, Harfe, Tuba – und immer auch ein bisschen Synthesizer.

Das neue Album von Brandt Brauer Frick hat die Oper beeinflusst

„Das hatte auch mit den Instrumenten zu tun, die uns damals zur Verfügung standen“, erklärt Daniel Brandt lakonisch. Inzwischen ist der elektronische Anteil deutlich gestiegen, was man auch auf ihrem Ende Oktober erscheinenden vierten Album „Joy“ hören kann. Voller ist ihre Musik geworden, vom Minimalistischen zum Maximalistischen. Was ebenfalls zugenommen hat, ist der vokale Part. „Gesang hat uns anfangs gar nicht so interessiert“, sagt Daniel Brandt. Dafür Clubmusik und ihre Details wie rhythmische Verschiebungen. Aber: Clubmusik fühlt sich inzwischen für sie „zu safe“ an, sie wollten ausbrechen, mit Text, mit Gesang. Vielleicht auch durch die Arbeit an der Oper ausgelöst? „Es war eher andersherum“, meint Paul Frick, „die Songstrukturen unseres Albums haben die Oper beeinflusst.“

„Krautrock“ ist das einzige Etikett für ihre Musik, mit dem sie sich anfreunden könnten. Aber Labels mögen sie generell nicht, die stammen ja noch aus einer Zeit, als die Platten im Laden irgendwo einen Platz im Regal brauchten. Völlig veraltet. Am meisten stört sie das Label „Klassik“. Weil hier ein einziger Begriff benutzt wird für Musik, die 500 Jahre umspannt, von gregorianischen Chorälen bis zu Helmut Lachenmann. Dass aber in einigen Jahren kein Konsens mehr darüber existieren könnte, klassische Musik zwingend zu unserer Kultur zu zählen, wie Folkert Uhde vom Radialsystem neulich zu bedenken gab – das glauben sie nicht. „Sie hat es bis hierher geschafft“, sagt Daniel Brandt, „und ein Komponist mit Natur-Spleen wie Gustav Mahler wird doch erst jetzt wieder richtig populär.“

Die Gefahr, bis in alle Ewigkeit Mozart und Verdi auf neue Facetten abzuklopfen, dräut trotzdem. Brandt Brauer Frick in die Deutsche Oper einzuladen, ist ein toller Schachzug, der anzeigt, in welche Richtung es auch gehen könnte.

„Gianni“, Deutsche Oper, Tischlerei, Premiere 1.10., 20 Uhr. 2., 7., 8., 12.–15.10.

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