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Neue Aussichten. Heute gibt es viel mehr Kinder, die in sogenannten Regenbogenfamilien aufwachsen, als noch vor zehn Jahren.

© picture alliance / dpa-tmn

Ein schwuler Vater berichtet: Familie unterm Regenbogen

Seit Sonntag gilt die Ehe für alle. Dass Schwule und Lesben miteinander Kinder haben, ist heute gar nicht mehr so ungewöhnlich. Doch wie macht man das eigentlich? Ein schwuler Vater berichtet.

Papa werden wollte ich schon seit Langem. Warum? Eine wirklich gute Erklärung hatte ich dafür noch nie. Wer hat die schon? Wer muss die schon haben? Die meisten Leute tun es einfach. Sobald es aber Schwule und Lesben tun, möchte man gern genauer wissen: Was sind deine Beweggründe? Kannst du das Kind überhaupt unterhalten, ihm eine richtig gute Mutter, ein toller Papa sein? Krasse Vorurteile, die dem, der sie äußert, meist nicht selbst bewusst sind, würde ich sagen. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis wirklich niemand mehr die Augenbrauen hochzieht, wenn er oder sie hört, dass Schwule und Lesben Kinder haben wollen. Bis das Ganze so egal ist, als würde man mit einem roten oder gelben Auto fahren. Vielleicht wird es auch nie so weit sein, trotz Ehe für alle. Man sollte da keine Illusionen haben.

Also, mein Ziel war gesteckt. Aber wie erreichen? Um ehrlich zu sein: Aktiv habe ich das nie verfolgt. Es hat mich gefunden. Damals, 2003/2004, existierte noch eine Zeitschrift mit dem Titel „Männer aktuell“. Sie hieß später nur noch „Männer“, verschwand schließlich ganz vom Markt. Viele erotische Fotos, aber eben auch einige ganz ordentlich recherchierte Texte. Okay, jetzt kommt’s: Ich habe selbst für diese Zeitschrift gearbeitet. Und bekam den Auftrag, einen Artikel zu schreiben zum Thema – genau: „Schwule und Lesben mit Kinderwunsch“. Ha, dachte ich, das passt ja prima. Ich machte mich auf die Suche und entdeckte bald einen Verein namens Queerfamily. Über den schrieb ich meinen Artikel, und nicht nur das: Bald ging ich selbst regelmäßig zu den Treffen. Job und Privates sind bei mir seit jeher nur schwach getrennt, beide tanzen hübsch durcheinander.

Ein Gruppenraum in Schöneberg - das klingt erstmal furchtbar spießig

Zwischen 20 und 30 Leute trafen sich damals in einem Gruppenraum in Schöneberg. Das klingt erst mal fürchterlich spießig. In der Realität war es aber ganz nett. Natürlich kamen deutlich mehr Frauen als Männer zu diesen Treffen. Für Männer sind Kinder sowieso viel weniger ein Thema, und bei schwulen Männern erst recht. Manchmal trafen wir uns auch in der Wohnung des Gruppengründers. Einige brachten Kuchen mit, andere Salat. Das wichtigste Thema war natürlich der Kinderwunsch, es gab immer viele Fragen, auch ein Rechtsanwalt war einmal zu Gast und hielt einen Vortrag. Vor allem aber lernten wir uns auf diesen Treffen gegenseitig kennen.

Natürlich zeugt man nicht gleich ein Kind - man lernt sich erstmal kennen

Mit Sonja und Birgit (Namen geändert) machte ich während eines gemeinsamen Besuchs im Café Bilderbuch in der Akazienstraße Bekanntschaft. Ich weiß noch, dass ich eigentlich viel zu müde war an dem Abend und zu Hause bleiben wollte. Was ich zum Glück nicht tat! Der Abend hat mein Leben verändert. Ich mochte sie, sie mochten mich, wir waren uns sympathisch. Natürlich zeugt man dann nicht gleich ein Kind. Man lernt sich erst mal in Ruhe kennen. In unserem Fall dauerte das Kennenlernen ein ganzes Jahr, bevor wir es schließlich gemacht haben.

Queerfamily gibt es heute nicht mehr, zumindest ist die Webseite seit 2011 nicht mehr aktualisiert worden. Das ist schade, denn die Gruppe war eine völlig unkommerzielle, niedrigschwellige Möglichkeit, sich zu beschnuppern und auszuchecken. Wenn ich das Thema Kinderwunsch – das in den letzten Jahren logischerweise eher an den Rand meiner Aufmerksamkeit gerückt ist, mein Kinderwunsch war ja erfüllt – heute google, stoße ich vor allem auf den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) und auf die dort angesiedelte bundesweite Gruppe Ilse (Initiative lesbischer und schwuler Eltern). Es gibt einen ganzen Strauß an Angeboten: Beratungen, Krabbelgruppen, Tagungen. Sie alle scheinen sich aber an Menschen zu richten, die bereits Eltern sind. Für diejenigen, die nur den vagen Wunsch verspüren, aber keine Ahnung haben, wie sie die passende Frau oder den passenden Mann überhaupt finden sollen, scheint es mir heute schwieriger zu sein als vor zehn Jahren. Vielleicht hatte ich damals auch einfach Glück.

Sonja hat sich eine Spritze eingeführt. Nicht besonders romantisch, aber effektiv

Springen wir zu dem Punkt, der die meisten wahrscheinlich sowieso am meisten interessiert: Wie haben wir es eigentlich gemacht? Nicht auf die natürliche Weise, so viel kann ich verraten. Sonja hat sich eine Spritze eingeführt. Nicht besonders romantisch, aber effektiv. Schon beim zweiten Versuch wurde sie schwanger. Es gibt Leute, die bezahlen Tausende Euro für Vermittlungsgebühr oder Klinikkosten (etwa für In-vitro-Fertilisation). Unsere „Auslagen“ betrugen ungefähr zehn Cent – der Materialpreis der Spritze. Gutes muss nicht teuer sein. Sonja sollte die natürliche Mama werden, darauf hatten sich beide geeinigt. Weil sie älter war und nicht mehr so viel Zeit hatte. Birgit wurde Ko-Mama.

Jonas (Name geändert) kam im November 2005 zur Welt, per Kaiserschnitt. Am Namenstag meines Vaters, was uns alle natürlich ziemlich freute. Eigentlich ist es nicht wichtig, aber es gibt einem so ein gutes Gefühl, dass manche Dinge einfach kommen, wie sie kommen sollen. Ich war damals Volontär bei einer Tageszeitung in Brandenburg und weiß noch, wie mich der zuständige Redakteur sofort für den Tag entließ und in die Klinik schickte. Birgit und ich warteten gemeinsam vor dem Kreißsaal. Schließlich brachte der Arzt den kleinen Knirps heraus, Jonas, meinen Sohn. Wie soll man das Gefühl beschreiben, das einem in so einem Moment durch den Kopf geht, ohne in Kitsch und Gemeinplätze zu verfallen? Vielleicht so: Es ist wie ein Geschenk, ein ganz besonderes, unvergleichbares Geschenk. Dass ich als schwuler Mann jetzt Papa war, war eine Sensation, für meine Familie und für meine Freunde. Bis heute gibt es in meinem Bekanntenkreis kaum Schwule, die Ähnliches gemacht haben. Es ist immer noch ziemlich selten.

Was folgte, waren ziemlich glückliche Jahre. Jonas wächst bei seinen beiden Mamas auf, am Stadtrand von Berlin. Ich fahre regelmäßig raus, im Schnitt zweimal alle sieben Tage, einmal unter der Woche, einmal am Wochenende. So hat sich das eingespielt, und es funktioniert hervorragend. Er nennt mich „Papa“, Sonja ist für ihn „Mama“, Birgit „Mami“. Der LSVD bezeichnet Konstellationen wie unsere als „Regenbogenfamilien“. Klingt hübsch, ist aber ein Kunstwort, ein politischer Begriff, mit dem vor allem Rechte eingefordert werden sollen. Hat auch seine Berechtigung, finde ich. Trotzdem hat das Wort mit unserem Alltag wenig zu tun. Wir würden selbst nie auf den Gedanken kommen, uns so zu nennen.

Es funktioniert. Das ist nicht selbstverständlich

Was mich besonders freut: Dass auch unsere Familien sich verschränkten. Meine Eltern kamen zu Besuch nach Berlin, und auch wenn mein Vater inzwischen gestorben ist, bin ich doch unendlich froh darüber, dass er wenigstens zehn Jahre lang seinen Enkel hat kennenlernen können. Die Eltern von Sonja und Birgit fahren auch nach Bayern, wo ich aufgewachsen bin. Gerne auch zum Oktoberfest, aber das ist eine andere Geschichte.

Wichtig ist: Es funktioniert. Das ist nicht selbstverständlich. Ich habe von Fällen gehört – auch bei Queerfamily –, in denen sich die lesbischen Mütter nach der Geburt völlig zurückgezogen haben und nur noch per SMS mit dem schwulen Vater kommunizieren. Ein anderer bekam ein Foto seiner Tochter geschenkt – mehr nicht. Schrecklich. Es macht mich traurig, wenn ich daran denke. Schwule und Lesben sind keine besseren Menschen.

Natürlich haben wir auch unsere Konflikte. Es wäre naiv zu glauben, so etwas gäbe es nicht. Ich fasse unsere Gegensätze gern in den „drei Gräben“ zusammen: den zwischen Mann und Frau, den zwischen Schwulen und Lesben und den zwischen West- und Ostdeutschen. Dass mein Sohn Pittiplatsch und Schnatterinchen guckt und in der Kita Subotnik mitmacht, daran musste ich mich erst mal gewöhnen. Oder daran, dass Sonjas Papa seine ganz eigenen Ansichten zur Berliner Mauer hat. Er sagt nicht: „1961 haben sie die Mauer gebaut“, wie man es in Westdeutschland formulieren würde. Sondern: „1961 haben sie die Grenze dichtgemacht“. Ein subtiler Unterschied. Er empfand die Mauer als Schutz, vor wem oder was auch immer. Und das, obwohl er nie Parteimitglied war. So lerne ich mit meiner neuen Familie auch völlig neue Sichtweisen kennen.

Ich sehe mich eher in der Rolle des väterlichen Freunds

Was ich aber eigentlich sagen will: Die Gräben sind alle nicht so breit, als dass man sie nicht überspringen könnte. Wir tun das jede Woche. Als eingespieltes Team. Ich habe zwar neben Sonja das Sorgerecht und könnte im Streitfall darauf bestehen, meinen Sohn zu sehen. Dazu ist es aber noch nie gekommen. Die beiden entscheiden alles, was im Alltag wichtig ist: in welche Kita Jonas geht, in welche Schule. Sie machen das sehr gut. Er ist ihr Sohn. Ich sehe mich eher in der Rolle des väterlichen Freundes, der Jonas die „Soft Skills“ zeigt: Das, was es sonst noch so alles Tolles gibt im Leben. Musik, Natur, Reisen, Theater, Kunst. Logisch, dass er erst jetzt so langsam in das Alter kommt, in dem ihn das überhaupt interessiert. Das ist aber kein Problem. Die bisherigen Jahren waren auch so grandios.

Natürlich bin ich kein klassischer Vater, der sein Kind jeden Tag sehen und entsprechend Einfluss nehmen kann. Das wusste ich vorher, und es ist okay so. Ich kenne schwule Paare, die das Kind unbedingt ganz alleine großziehen wollten und viel Geld bezahlt haben für eine Leihmutter. Es ist ihre Entscheidung. Ob das gut ist für das Kind, weiß ich nicht. Das Spektrum an Möglichkeiten ist sehr breit.

Dass Jonas zwei Mamas hat, hinterfragt er nicht

Jonas ist jetzt elf, bald zwölf, und ein bezaubernder Junge. Ninjago, Dragons, Minions, das ist seine Welt. Und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, natürlich. Und Yu-Gi-Oh!, ein japanisches Kartenspiel, dessen kryptische Regeln mich regelmäßig in den Wahnsinn treiben. Dann lieber Grillen, mit Opa im Schrebergarten. Dass Jonas zwei Mamas hat, ist für ihn das Selbstverständlichste der Welt, er hinterfragt es nicht. Dass sein Papa immer nur zu Besuch kommt, auch nicht. Bei vielen alleinerziehenden Müttern ist das ja auch nicht anders. In der Schule hat es bisher keinerlei Vorfälle oder Probleme mit Hänseleien oder so gegeben, nach dem Motto: „Deine Mama ist lesbisch!“ Für viele Kids ist das bis jetzt kein Thema. Gut möglich, dass es auch keines mehr wird. Man muss nicht immer gleich das Schlechteste erwarten.

Worüber ich mir schon im Klaren bin: dass die Pubertät jetzt bald einsetzt. Und dass sein Interesse an seinem Papa dann schnell nachlassen wird. Das ist normal. Wir machen jetzt noch möglichst viel zusammen. Im Sommer waren wir Wandern im Chiemgau und Tirol, nur wir zwei. Vier Tage, drei Gipfel, 1800 Meter. In Lederhosen! Es war großartig. Egal wie es kommt: Ich freue mich auf noch viele tolle Jahre mit meinem Sohn.

Aufgezeichnet von Udo Badelt

Dieser Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels, den Sie hier finden. Folgen Sie dem Queerspiegel in den sozialen Netzwerken:

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