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Sehnsucht. Die 17-jährige Paula (Elisabeth Wabitsch) schwärmt für eine Mitschülerin.

© Salzgeber

Coming-of-Age-Film "Siebzehn": Emotionales Chaos in toleranter Umgebung

Monja Art erzählt in ihrem starken Jugenddrama „Siebzehn“ von Teenager-Gefühlsstürmen in der österreichischen Provinz. Wobei hetero- und homosexuelles Begehren munter durcheinandergehen.

Die Klasse schweigt wie eine Wand. Der Lehrer hatte gefragt, was die Liebe für Emma Bovary bedeutet. Augenrollen, Kugelschreiberkritzeln. Endlich meldet sich zaghaft eine Schülerin in der dritten Reihe: „Emma Bovary bezog ihre Vorstellung von der Liebe aus Romanen. Daher findet sie, die Liebe muss voller Leidenschaft, Drama und Schmerz sein“, erklärt Paula (beeindruckendes Leinwanddebüt: Elisabeth Wabitsch) in fließendem Französisch. Damit verzückt sie nicht nur den Lehrer, sondern einen Tisch weiter hört auch Charlotte (Anaelle Dézsy) andächtig zu – besonders als es um die Langeweile in Madam Bovarys Ehe geht.

Charlotte kennt das: Sie ist mit dem gleichaltrigen Michael (Leo Plankensteiner) zusammen und alles läuft schon in vorgezeichneten Bahnen – dabei ist sie gerade mal 17. Ein Alter, um sich auszuprobieren. Und irgendwie gefällt ihr ja auch Paula... Die ahnt nichts von diesen Gefühlen, dabei ist sie selbst schon eine Weile in Charlotte verliebt.

An Paula wiederum sind zwei Jungs aus ihrer Schule interessiert. Den coolen Aufschneider fertigt sie regelmäßig ab, den netten Schüchternen lässt sie kurz an sich heran, schläft sogar mit ihm. Ein großes Ding für ihn, für Paula nicht. Sie ist offen für sexuelle Erfahrungen, weshalb sie in diesen sonnigen Wochen vor den großen Ferien auch mal mit der extrovertierten Lilli (Alexandra Schmidt) herummacht. Doch ihr Herz gehört allein Charlotte.

Verschämte Annäherungsversuche

Leidenschaft, Drama, Schmerz – alles da in Monja Arts einfühlsamen Spielfilmdebüt „Siebzehn“, für das sie auch das Drehbuch schrieb. Madam Bovary hätte sicher Freude an dieser Geschichte gehabt, die in der österreichischen Provinz angesiedelt ist. Die 33-jährige Regisseurin stammt selbst aus der Gegend, was der Glaubhaftigkeit ihres im Januar mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichneten Films ebenso zugute kommt, wie ihr gutes Gespür für Jugendliche, das sie bereits mit der Dokumentation „Forever Not Alone“ (2013) bewiesen hat.

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Besonders stimmig inszeniert sie die verschämten Annäherungsversuche der Jugendlichen. Die Nervosität der ersten Sätze, die peinlichen Pausen, das Weitergestammele – man bekommt beim Zuschauen schwitzige Hände, so authentisch wirken diese Szenen. Elegant bindet Monja Art die digitale Ebene ein. So ploppen immer wieder Fotos und Nachrichten am Bildrand auf, die sich die Jugendlichen mit ihren Smartphones schicken. Einmal grübelt ein Schüler ewig darüber, welchen aus dem Netz gefischten Anmachspruch er seinem Schwarm schicken soll. Später entschuldigt er sich dafür.

Ob ein Mädchen und ein Junge oder zwei Mädchen versuchen, sich näherzukommen, spielt in „Siebzehn“ keine Rolle: Hetero- und homosexuelles Begehren werden als gleichwertige Alternativen gezeigt. Liebe ist Liebe. Dass es in Niederösterreich derart liberal zugeht und nicht eine einzige homophobe Bemerkung fällt, ist sicherlich auch filmemacherisches Wunschdenken. Doch es entfaltet eine hohe Suggestionskraft, vor allem auch, weil Monja Art das Thema Coming Out einfach ausspart. In einer gleichberechtigten Welt, wie sie sie skizziert, gibt es keine Norm-Orientierung und folglich auch keine Abweichung davon, die angesagt werden müsste.

Coming Out - wozu?

Genauso haben es in den letzten Jahren die Israelin Michal Vinik („Barash“) und die Litauerin Alanté Kavaïté („Der Sommer von Sangailé“) bei ihren Filmen über verliebte Teenagerinnen gehalten. In André Téchinés Coming-of-Age-Drama „Mit Siebzehn“, das kürzlich in den Kinos lief und von der Anziehungskraft zweier 17-Jähriger in der französischen Provinz erzählt, war der Umgang mit dem Thema Homosexualität ebenfalls angenehm unaufgeregt. Der Trend geht offenbar zum Anti-Coming-Out-Film, was die Zeiten von Werken wie „Raus aus Åmål“ (1998) erstaunlich fern erscheinen lässt. In Lukas Moodysoons fulminantem Debüt war der schmerzvolle Selbstfindungsprozess der lesbischen Protagonistin noch das zentrale Thema – inklusive hochsymbolischem „Rauskomm“-Finale in der Schule.

Glücksmomente nur in der Fantasie

Emotionales Chaos bleibt natürlich auch in einer toleranten Umgebung möglich. Weil für Paula und Charlotte die Gefühle der jeweils anderen unsichtbar sind, verlagert die Regisseurin alle Berührungen und Glücksmomente der beiden in kurze Fantasiesequenzen. Ein feiner Kunstgriff, der zudem meist offenlässt, ob es Paulas oder Charlottes Vorstellungen sind – oder gar gemeinsame Träume. Die Realität reicht da jedenfalls nie heran: Als die Mädchen sich beim Tanzen einmal nahekommen, drängt sich plötzlich Michael zwischen sie. Paula taumelt wie von einem Faustschlag getroffen durch den Raum. Ihr Herz bricht im roten Licht.

In Berlin im Central, fsk, Zukunft

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