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Anohni vor der Videoinstallation bei ihrem Konzert.

© imago/GlobalImagens

Anohni live in Berlin: Nur Frauen können die Welt retten

Protestpop-Performance: Anohni sang im Berlin vor einer Videoinstallation und zeigte einen Film mit Naomi Campbell.

Eine Stunde vor Konzertbeginn auf dem Vorplatz des Tempodroms: Zwei junge Männer – einer im Faltenrock, einer mit blonden Pippi-Langstrumpf-Zöpfen – pressen ihre Handflächen aneinander und drücken sie langsam in die Höhe. Sie schauen sich in die Augen und singen den Björk-Song mit, der gerade aus der Box tönt. Eine schöne Szene. Und ja, die beiden sind hier genau richtig bei der Gender-Benderin und Transikone Anohni, die einst unter ihrem Geburtsnamen Antony Hegarty mit zartem Kammerpop bekannt wurde und sich nun mittels zeitgemäßem Elektropop mit Klimaerwärmung, Überwachung und Drohnen befasst.
Sie hat das Personalpronomen gewechselt, das harte T wie Testosteron aus ihrem Namen gestrichen und beschwört die heilende Kraft der Feminität. Doch was ist das für ein Weiblichkeitskonzept, das die 45-jährige New Yorkerin zu den Songs ihres verstörenden Protestalbums „Hopelessness“ präsentiert? Erst mal ein recht konventionelles: Anstelle einer Vorband ist ein 20-minütiger Filmclip zu sehen, in dem eine spärlich bekleidete Naomi Campbell zu an- und abschwellendem Sphärenrauschen ein sexy Stehtänzchen aufführt. Sie hört offenbar etwas anderes. Die vier Zacken an ihrer Mütze erinnern an den Kopfschmuck der Freiheitsstatue, wobei Campbells Freiheit durch die bis übers Knie reichenden Lackstilettos eingeschränkt ist – ihr Tanz findet in einem Radius von einem Quadratmeter statt, Dynamik erzeugt allein die pendelnde Kamera.

Anohni trägt Kutte, ihr Gesicht ist nicht zu sehen

Der Film zitiert Anohnis Video zu der großartigen Single „Drone Bomb Me“, in dem eine weinende Campbell die Lippen zu den Worten der Sängerin bewegt. Dieses Prinzip weitet sie nun auf das gesamte Konzert aus: Die Leinwand zeigt Nahaufnahmen von Frauen, die Playback zu ihrem Gesang mimen. Es sind junge und alte überwiegend nicht weiße Darstellerinnen vor weißem oder schwarzem Hintergrund. Anohni selbst tritt erst beim zweiten Song, der Anti-Erderwärmungs-Hymne „4 Degrees“, auf. Sie trägt eine weiße Kutte und lange weiße Handschuhe, ihr Gesicht ist unter schwarzem Stoff verborgen und nur schemenhaft zu erkennen. In diesem entpersonalisierenden Nonnentracht-meets-Burka-Outfit ruckelt Anohni zwar ein bisschen umher und reißt zu ihren Klagegesängen auch mal die Arme dramatisch empor. Die emotionale Expressivität delegiert sie aber an die Videoinstallation, die auf Dauer wie ein Loop des „Orange is the New Black“-Vorspanns wirkt.

Die visuelle Ebene dominiert

Bei aller Diversität fällt auf, dass die gezeigten Damen einer relativ gleichförmigen, eher stereotyp femininen Form von Weiblichkeit entsprechen, offensichtliche Tomboys oder Trans-Frauen sind jedenfalls kaum dabei. Grenzgänger/innen wie die Vorplatz-Fans hätten wohl keine Chance. Auch Anohni selber, die nur zwei Mal auf dem Screen auftaucht, scheint sich ihren eigenen Weiblichkeitsvorstellung nicht würdig zu fühlen. So repräsentiert allein ihre unvergleichliche Gesangsstimme sie während dieses rund 60-minütigen Auftritts, der mehr mit einer fürs Museum konzipierten Performance als mit einem Pop-Konzert gemein hat. Konsequenterweise richtet Anohni kein einziges Mal das Wort ans Publikum. Durch die Betonung des Visuellen unterspielt sie die musikalische Ebene, was schade ist. Denn Hudson Mohawke und Oneohtrix Point Never haben ihr einen schillernden Elektrosound zusammengeschraubt. Bei der poppigen Up-Tempo- Nummer „Execution“ kommt etwas Bewegung in die Menge. Wobei man vor dem Tanzen zurückschreckt, schließlich singt Anohni hier über die Todesstrafe. Es ist einer der starken, irritierender Momente, wie sie auch bei „Crisis“ und „Drone Bomb Me“ gelingen, deren Beats und Synthiespuren von zwei Kapuzenpulli-Trägern mit Laptops am Rand der Bühne abfahren. Männer in dienender Funktion sind offenbar erlaubt. Die Weltrettung traut Anohni aber nur den Frauen zu, weshalb eine weise Alte auf der Leinwand das letzte Wort hat. Öko-Feminismus aus dem Museum.

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