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Wer darf bleiben? Wer muss in Quarantäne? Darum streiten Amtsärzte und Senat.

© Sebastian Gollnow /dpa

Update

Quarantäne in Berlins Schulen: Offener Konflikt zwischen Gesundheitssenatorin und Amtsärzten

Quarantäne für Kita- und Lerngruppen soll nicht wegfallen, aber von 14 auf fünf Tage reduziert werden. Widersprüchliche Aussagen in der Gesundheitsverwaltung.

Der Senat will die Quarantäneregelungen für Schulen ändern. Nach Informationen des Tagesspiegels ist geplant, die Quarantäne für die Kontaktpersonen von Infizierten in Lerngruppen von 14 auf fünf Tage zu reduzieren. Dies könnte der Senat am Dienstag auf Vorlage von Gesundheitssenatorin Kalayci (SPD) beschließen. Es soll aber dabei bleiben, Kontaktpersonen zu ermitteln und zu isolieren.

Damit stellt sich Kalayci gegen die zwölf Berliner Amtsärzte: Die hatten wie berichtet am Mittwoch einstimmig beschlossen, generell nur noch enge Kontaktpersonen innerhalb der Familie – wie Geschwisterkinder – in Quarantäne zu schicken.

Diese Entscheidung resultiere aus der Auswertung des Infektionsgeschehens und entsprechender Studien auf nationaler und internationaler Ebene, begründeten die Amtsärzte ihren Beschluss. Tatsächlich hatte etwa Baden-Württemberg am Sonnabend eine neue Verordnung erlassen, wonach es statt Quarantäne für Kontaktpersonen nur eine verstärkte Testpflicht geben soll.*

Auch Hamburg, NRW und Hessen hätten dieses Kontaktpersonenmanagement schon umgesetzt oder seien "im Prozess der Anpassung", berichtete am Sonntag Neuköllns Amtsarzt Nicolai Savaskan. (Savaskans Stellungnahme finden Sie hier.)

Dennoch hatte der entsprechende Kurs der Amtsärzte seit Freitag Überraschung und harsche Reaktionen in der Politik ausgelöst - allerdings erst, nachdem Neuköllns CDU-Gesundheitsstadtrat Falko Liecke das Vorgehen der Amtsärzte gelobt hatte.

So sprach sich die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey gegen die neue Strategie aus. „Angesichts steigender Zahlen in den jüngeren Altersgruppen können wir uns eine Aufweichung der Quarantäneregeln nicht leisten“, twitterte die frühere Bundesfamilienministerin.

Nach Giffey kritisierte auch ihre Parteifreundin, Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci, die Lockerungen. „Die Absonderungerfordernisse nur auf Infizierte zu beschränken, entspricht nicht der nationalen Strategie im Kampf gegen Covid-19 und verstößt auch gegen geltendes Recht“, sagte Kalayci am Samstagabend dem RBB. Auch Schüler mit engem Kontakt müssten in Quarantäne, „auch wenn man hierbei die besonderen Hygieneregeln in der Schule berücksichtigen kann“.

Was jetzt geplant ist

Da die Amtsärzte offenbar entschlossen waren, den weitgehenden Quarantäneverzicht schon ab diesem Montag umzusetzen, entschied sich die Senatsverwaltung für Gesundheit blitzschnell, dem etwas entgegenzusetzen: Für den heutigen Montag um 13 Uhr waren die Amtsätzte zur Videokonferenz mit der Senatorin eingeladen.

Die Amtsärzte sagten dem Termin aber dem Vernehmen nach ab, weil sie noch nicht über das Positionspapier der Gesundheitsverwaltung informiert worden waren. Sie wollten das Papier zunächst beraten.

Mit diesem Papier als Vorlage für Dienstag will Kalayci in den Senat gehen. Dem Papier sind nach Tagesspiegel-Informationen folgende Punkte u.a. zu entnehmen:

  • Wegen der "überwiegenden Wahrscheinlichkeit", dass die Infektion bei Mitschüler:innen als Kontaktperson innerhalb von fünf Tagen auftritt, wird die Quarantänezeit von 14 auf fünf Tage herabgesetzt.
  • Eine pauschale Absonderung aller Schüler:innen einer Lerngruppe als enge Kontaktpersonen ist wegen der besonderen Hygieneregeln in den Schulen "nicht erforderlich".
  • Stattdessen sollen die Eltern des infizierten Kindes "zur Vorbereitung der Entscheidung des Gesundheitsamtes" eingebunden werden, um herauszufinden, welche Mitschüler:innen die Kontaktpersonen gewesen sein könnten.

Die Gesundheitsverwaltung widerspricht sich

Pikant daran: Die zuständige Leiterin des Infektionsschutzes in der Senatsverwaltung für Gesundheit hatte den Amtsärzten zunächst zugestimmt, wie die Amtsärztin von Tempelhof-Schöneberg, Sina Bärwolff, als stellvertretende Sprecherin der Amtsärzte dem Tagesspiegel am Sonntag erklärte. Bärwolff hatte demnach das entsprechende Schreiben der Amtsärzte am Mittwoch auf dem üblichen Dienstweg an die Referatsleiterin geschickt.

Diese habe geantwortet, dass sie das Vorgehen „unterstütze“. Daher verwundere „die scharfe Reaktion der Senatorin umso mehr“, sagte Bärwolff. Kalaycis Sprecher kündigte am Sonntag an, der Vorgang werde „aufgearbeitet“.

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) will im Senat die Quarantäne neu regeln lassen.
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) will im Senat die Quarantäne neu regeln lassen.

© Christophe Gateau/dpa

Da dürfte es einiges aufzuarbeiten geben: "Der Berliner Weg wurde mit beiden Senatsverwaltungen vorab eng abgestimmt und beide Senatsverwaltungen haben den Berliner Weg fachlich begrüßt (schriftliche und mündliche Zustimmung erfolgte aus beiden Senatsverwaltungen),", schrieb Neuköllns Amtsarzt Nicolai Savaskan in seiner Stellungnahme vom Sonntag.

Anders als Kalayci hielt sich Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) aber mit Kritik an den Amtsärzten zurück. Von Scheeres ist bekannt, dass sie immer wieder vehement vor den Folgen zu langer Phasen des Homeschoolings gewarnt hatte.

Darin stimmt sie mit den meisten Bildungsministern überein. Erst am Freitag hatten sich Spitzenvertreter der Kultusministerkonferenz, darunter Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), für mehr Zurückhaltung bei Quarantänemaßnahmen stark gemacht.

"Infektiologisch haben diese Quarantänen fast nichts bewirkt“

Ebenso wie Savaskan bekräftigte Reinickendorfs Amtsarzt Patrick Larscheid den Vorstoß gegen das bisherigen Quarantäne-Konzept. Die sozialen und psychologischen Folgen einer Quarantäne fänden nicht genügend Beachtung.

Ansteckungen unter Kindern könnten nicht völlig vermieden werden.

Doch „infektiologisch haben eigentlich unsere ganzen Schul- und Kitaquarantänen fast nichts bewirkt“, so Larscheid. „Selbstkritisch müssen wir eingestehen, dass wir die allermeisten Kinder zu Unrecht in Quarantäne gesteckt haben – 95 Prozent waren ja gesund.“

Am Freitag waren von der Bildungsverwaltung die neuen Infektionszahlen für die Schulen bekannt gegeben. Demnach sind aktuell rund 920 Schüler infiziert sowie 40 Beschäftigte. In Quarantäne sind 87 Lerngruppen, in der Vorwoche waren es 82.

*In der neuen Verordnung aus Baden-Würrttemberg findet man die Passage, die die Schulen betrifft, in § 5. Hier zum Herunterladen.

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