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Vor dem Urteil. Silvio S. (l.) musste such vor dem Potsdamer Landgericht verantworten.

© Alexander Fröhlich

Update

Prozess um Tod von Elias und Mohamed: Kindermörder Silvio S. kommt lebenslang in Haft

Silvio S. ist für den Mord an Elias und Mohamed zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Sicherungsverwahrung lehnte das Gericht ab - was Kritik einbrachte.

Aldriana J. ist aufgestanden, offenbar hält es die Mutter des getöteten Flüchtlingsjungen Mohamed nicht mehr aus. Gerade hat der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter während seiner Urteilsverkündung erklärt, wie Silvio S. den Leichnam des kleinen Mohamed in eine Plastewanne legte und gegen Gerüche Katzenstreu darüber auskippte. Und wie der damals 32-Jährige nach der Entführung am 1. Oktober am Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), dem Missbrauch und der Ermordung des Vierjährigen wieder seinen Nachtdienst als Wachmann antrat und auch sonst einfach weiterlebte wie bisher, „völlig unberührt“, wie der Richter sagt.

In diesem Moment steht die Mutter des getöteten Flüchtlingsjungen auf, die laut ihrem Anwalt erstmals alle Details gehört hatte. Sie will eigentlich den Saal durch eine Hintertür verlassen. Doch als sie fast schon am Richtertisch vorbei ist, bricht es aus ihr heraus. „Du bist ein Arschloch“, beschimpft sie Silvio S. „Was hast Du mit meinem Kind gemacht?“ Begleiter gehen dazwischen, als sie auf den Angeklagten zurstürmt – der die Hände vor sein Gesicht geschlagen hat. Weinend wird die 29-Jährige aus dem Saal geführt. Auch einige Zuschauer schluchzen in dem Moment. Nach Sekunden der Stille fährt Richter Horstkötter mit seiner Urteilsverkündung fort. „Sie sind unberührt geblieben“, hält er Silvio S. erneut vor.

„Zwei unbegreifliche Staftaten“

Knapp drei Stunden führt Richter aus, warum S. wegen zweifachen Mordes und sexuellen Missbrauchs an dem vierjährigen Flüchtlingsjungen Mohamed aus Berlin und dem sechsjährigen Elias aus Potsdam verurteilt wurde. Gleich zu Beginn spricht Horstkötter von „zwei unbegreifliche Staftaten“. In dem Moment sind die Mutter von Elias und ihr Lebensgefährte bereits aus dem Gerichtsaal gegangen. Mehr als das Urteil, die Höchststrafe zu lebenslanger Haftstrafe bei gleichzeitiger Feststellung der besonderen Schwere der Schuld wollen sie sich nicht anhören.

Richter Horstkötter schildert zunächst, wie S. schon als Grundschüler gehänselt und drangsaliert wurde, wie er auch später ein Außenseiter blieb. Ebenso habe ihn die Dauerkritik seines Vaters verunsichert, der ihn manches Mal anschrie, weil S. kaum Wert auf sein Äußeres legte. So habe sich ein zurückgezogenes, einsames und freudloses Dasein in seinem Heimatort Kaltenborn bei Jüterbog (Teltow-Fläming) entwickelt, in dem er mit seinen Eltern eine Doppelhaushälfte bewohnte, er im Obergeschoss, die Eltern darunter. Neben seiner Nachtarbeit als Wachmann habe S. zu Hause vor allem ferngesehen, geschlafen und am Computer gespielt – und Hardcore- und Sado-Maso-Pornos konsumiert, in denen Frauen erniedrigt wurden. Auch das habe zu Fehlvorstellungen in der Sexualität geführt. Eine Partnerin hatte S. dagegen nie. Der gelernte Fließenleger habe sich eine Traum- und Fantasiewelt geschaffen – und schließlich seine sexuellen Bedürfnisse an einer lebensechten Puppe befriedigt. „Irgendwann wurde das zu wenig“, sagte Horstkötter.

Von da an habe sich S. mit dem Gedanken befasst, Kinder in seine Gewalt zu bringen, ihren Widerstand zu brechen und sich sexuell an ihnen zu befriedigen. Ermittler hatten in seiner Wohnung Zettel mit Worten gefunden, die sich wie eine Anleitung der Taten lesen: . „Mädchen, Jungen, Messer, besoffen machen, fesseln, Mund zukleben“. Zur Tatvorbereitung habe S. Fesseln, Chloroform, Handschellen und Sadomaso-Utensilien gekauft.

Während dieser Schilderungen sitzt S. am Angeklagtentisch, den Kopf auf die Hände gestützt, mehrfach schüttelt er seinen Kopf, als wolle er es nicht mehr hören.

Die Kinder hatten Todesängste

Am 8. Juli 2015 sei Silvio S. mit dem Ziel in den Potsdamer Stadtteil Schlaatz gefahren, ein Kind in seine Gewalt zu bringen und es sexuell zu missbrauchen. Horstkötter sagte weiter: „Wir gehen davon aus, dass Sie schon da in Betracht gezogen haben, das Kind töten zu müssen, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Straftat entdeckt wird.“ Danach schilderte Horstkötter die brutalen und fürchterlichen Details, wie Elias ums Leben gekommen sein muss. Es folgte die Entführung von Mohamed vom Gelände des Berliner Lageso am 1. Oktober. Während das Gericht davon ausgeht, dass sich Silvio S. beim Potsdamer Jungen Elias des schweren sexuelle Missbrauchs und der Vergewaltigung schuldig gemacht hat, konnte bei Mohamed strafrechtlich lediglich sexueller Missbrauch nachgewiesen werden.

Der Missbrauch sei besonders rücksichtlos gewesen, hob Horstkötter mehrfach hervor. „Sie haben die beiden Kinder im wahrsten Sinne des Wortes ihrer Unschuld beraubt.“ Sie hätten Todesängste ausstehen müssen. S. habe nicht entgangen sein können, „dass die Kinder um Gnade gebettelt haben. Sie haben ihr sexuelle Befriedigung über alles gestelt.“

 Eine Gedenktafel in der Kleingartenanlage in Luckenwalde erinnert an die ermordeten Kinder Elias und Mohamed.
Eine Gedenktafel in der Kleingartenanlage in Luckenwalde erinnert an die ermordeten Kinder Elias und Mohamed.

© Ralf Hirschberger/dpa

Die Kammer habe daher eine „äußerst harte Strafe“ verhängen müssen. Die Kammer halte Silvio S. auch nicht für pädophil, wie es bereits der Gerichtspsychiater ausgeführt hatte. „Was hier stattgefunden hat, war sexuelle Bedürfnisbefriedigung. Sie haben zwei Jungen als Opfer gewählt, weil von hilflosen Kindern, die Ihnen körperlich völlig unterlegen waren, aus Ihrer Sicht keine Gegenwehr zu erwarten war.“ Die Beurteilung, ob S. irgendwann nicht mehr als gefährlich gelte, werde dann ein anderes Gericht feststellen müssen.

Kurz vorher hatte Richter Horstkötter noch entschieden, dass S. für künftige psychische und gesundheitliche Schäden bei Mohameds Schwester infolge des Verlusts ihres Bruders aufkommen muss. Und dasss S. 20 000 Euro Schmerzensgeld an die Mutter von Mohamed zahlen muss. Da aber hatte sie unter Tränen den Gerichtssaal längst verlassen.

Warum gibt es keine Sicherheitsverwahrung?

Vor dem Urteil. Silvio S. (l.) musste such vor dem Potsdamer Landgericht verantworten.
Vor dem Urteil. Silvio S. (l.) musste such vor dem Potsdamer Landgericht verantworten.

© Alexander Fröhlich

Die Staatsanwaltschaft hatte in dem Mordprozess Sicherungsverwahrung für den angeklagten Silvio S. beantragt. Das Gericht folgte dem nicht. Sicherungsverwahrung wird anders als Haft nicht als Strafe für ein Verbrechen verhängt. Mit diesem Instrument soll die Allgemeinheit vor besonders gefährlichen Tätern nach verbüßter Haft geschützt werden. Eine zeitliche Begrenzung gibt es nicht, aber eine regelmäßige psychiatrische Begutachtung. Die Betroffenen müssen deutlich besser untergebracht sein als in Haft. Das Gericht sah bei S. die Voraussetzung für Sicherungsverwahrung nicht gegeben.

Denn ein Gutachter konnte bei S. keinen Hang erkennen, vergleichbare Taten wieder zu begehen. Eine zukünftige Gefährlichkeit konnte nicht festgestellt werden. Auch weil dem Gutachter dazu die empirische Grundlage fehlte, da S. in den Gesprächen nur über sein Leben, nicht über die Taten sprach. Die bloße Möglichkeit, dass der Täter ähnliche Taten begehen könnte, reicht für eine eindeutige Gefährlichkeitsprognose nicht aus, mit der eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden könnte.

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