zum Hauptinhalt
Der Angeklagte, der Susanne Fontaine im Tiergarten getötet haben soll, bestreitet die Tat. Damit das Gericht sein Alter feststellen kann, musste am Mittwoch eigens ein Gutachter aussagen.

© Christophe Gateau/dpa

Prozess um Tiergarten-Mord: Witwer von Susanne F. spricht über seinen Verlust

Am dritten Verhandlungstag am Landgericht Berlin kam der Witwer Klaus Rasch zu Wort. Und ein Gutachter sagte zum Alter des Angeklagten aus.

Ein langer ruhiger Fluss war das Leben von Klaus Rasch. Bis zum 5. September vergangenen Jahres. In der Frühe, nach der Verabschiedung seiner Frau Susanne Fontaine, ging er mit einem Buch ins Café, dann zu einem Lounge-Konzert, am Abend mit einem Freund auf ein Bier am Stuttgarter Platz. Und der Kopf voller Pläne: mit Susanne nach Tibet reisen und, wenn die Kunsthistorikerin wie er in Rente geht, „noch 20 gemeinsame Jahre“. Für all das, wofür Beruf und Kind ihnen keine Zeit ließen. Ihrer Angst vor dem Altern würden sie trotzen: „Wir haben uns, helfen uns gemeinsam.“ Vorbei, unwiederbringlich, ohne Abschied – Tod.

Dritter Verhandlungstag am Landgericht im Prozess um den „Tiergarten-Mord“ an der Kunsthistorikerin Susanne Fontaine. Zeugen-Anhörungen sind anberaumt. Ihr Ehemann Rasch sagt aus, ebenso ein Gutachter zur Ermittlung des Alters des angeklagten Hauptverdächtigen. Der bestreitet die Tat. Indizien werden diesen Prozess entscheiden. An der Leiche des Opfers gab es DNA-Spuren des Angeklagten. Ihr Handy, das er kurz anschaltete, führte auf seine Spur.

Die Narben werden für immer bleiben

Regungslos sitzt der mutmaßliche Täter auf der Anklagebank, während der Witwer berichtet, dass „die Tränen vergossen sind“, die „Wunden verheilen werden“, aber Narben bleiben werden, für immer. Nicken und Zustimmungen des Angeklagten erst, als der Richter Papiere von Ämtern vorliest, die Aufschluss über seinen Aufenthalt in Berlin geben: Anträge ihn auszuweisen und Widersprüche dagegen sind darunter. Schreiben des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten über Ansprüche auf Unterkünfte und „Vollverpflegung“. Jugendeinrichtungen vermerken, dass sie A. nicht mehr begleiten würden, weil der Mann aus der russischen Konföderation kaum Bereitschaft zur Kooperation zeige, keine „Einmischung in seine Angelegenheiten“ wünsche und erklärt habe, nur da zu sein, „weil er eine eigene Wohnung“ wolle.

Es ist das Bild eines widerspenstigen, gewieften Menschen, der seine Rechte kennt und einfordert. Einer, der nach der ersten Ausweisung seiner ganzen Familie aus Deutschland allein zurückkehrt und geschickt Mittel und Zuwendungen des Rechtsstaates beansprucht, der, wo es ihm nicht selbst gelingt, Paten oder Einrichtungen findet, die für ihn die Kosten der Unterkunft einfordern und „Taschengeld“. Gegen den Vortrag des Richters im Gericht, mit vielen Freunden des Opfers, hatten A.s Verteidiger Bedenken, ließen die Verhandlung unterbrechen. Wendeten sich gegen die Anhörung des Altersexperten, weil ein Teil des Gutachtens unüblich abgeheftet war.

Der Angeklagte ist nicht älter als 21 Jahre

„Verzögerungstaktik“ unkten Prozessbeobachter. Gelassener sah das Alexander Pabst, obwohl Anwalt des Nebenklägers und Witwers: „Sie drängen auf ein faires Verfahren, das ist okay, wird aber keinen großen Einfluss auf dessen Ausgang haben.“ Entscheidend sei, dass die DNA des Angeklagten an der Leiche sei. Letztlich gehe es vor allem darum, ob der Angeklagte nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werde: 15 Jahre oder lebenslänglich. Das entscheidet über ein weiteres Schicksal – jenes des Angeklagten.

Der hat „das 18. Lebensjahr deutlich überschritten, die 21 aber nicht erreicht“, sagt Andreas Fuhrmann. Das ergab die Begutachtung der Weisheitszähne und eine Computertomografie des Schlüsselbeins. Hinzu kommt die Parodontose im Gebiss des Angeklagten, „Abbauvorgänge“, die frühestens mit 19 auftreten. Strafrechtlich ist A. demnach ein „Heranwachsender“ und könnte unter bestimmten Umständen noch nach Jugendstrafrecht verurteilt werden.

Rippen gebrochen, der Kopf unnatürlich verbogen, von Bildern eines grausam zugerichteten Opfers wird vor dem Gerichtssaal erzählt. Ein „sanfter Engel“ und „der liebste Mensch der Welt“ sei sie gewesen, sagt ihr Ehemann, aber er habe auch dessen Verwandlung in eine Furie erlebt, ein Mal, als ein Gauner ihr auf Reisen in Lima ihre Handtasche rauben wollte – „der läuft noch heute mit Angst und Schrecken durch Lima“, sagt Rasch. Eskalierte auch am Abend des 5. Septembers ein solches Handgemenge und endete so ein versuchter Raub grausam?

„Es gibt kein Geständnis und keinen unmittelbaren Beweis“

Viel Zeit verwendet der Vorsitzende Richter auf die Beschreibung der Suche nach Susanne Fontaine am Tag nach ihrem Verschwinden, ließ sich wiederholt den Weg beschreiben, den sich ihr Ehemann durchs Unterholz zwischen Bahnhof Zoo und Schleusenkrug ebnete. Im „Dschungel“, den er teils kriechend durchmaß, fand auch die Polizei zunächst nichts. Erst später entdeckte ein Zeuge die Leiche. Aus einigen Metern entfernt erkannte er sie, und das wirft Fragen auf: Wo fand die Tat statt, warum weist ihr Körper Spuren einer langen, scharfen, gewaltsam eingedrückten Kante auf, obwohl es dort nichts dergleichen gibt?

Die Verteidigung bleibt bei ihrer Linie, einen anderen Mann zu belasten aus der Obdachlosenszene am Bahnhof Zoo. Sie beantragt, diesen vor Gericht anzuhören. Die Ladung erfolgte bereits, ließ sich aber nicht zustellen bisher. Und überhaupt ist schwer vorstellbar, wie der in der Tatnacht mit Verletzungen in einer Betreuungseinrichtung „aggressiv“ aufgetretene Jugendliche einen Mord begangen haben könnte, ohne die geringste DNA-Spur hinterlassen zu haben. Ein Dutzend Abstriche und Nachweise des genetischen Fingerabdrucks vom Hauptverdächtigen zählte der Richter am Mittwoch noch einmal auf: An den Fingern, dem Hals, den Armen, den Fingernägeln. Ist das wirklich damit zu erklären, dass dieser eine Leiche gefunden habe und diese nach Geld, Handy und Wertsachen durchsuchte und dazu umdrehte?

„Es gibt kein Geständnis und keinen unmittelbaren Beweis“, sagen die Verteidiger am Rande der Verhandlung. Und dass die Ermittlungen nicht ausreichend gewesen seien, man sich auf die Indizien beschränkt hätte, die ihren Mandanten belasten. „Man hatte jemanden, der passte.“ Der Prozess, auf elf Tage angesetzt, wird fortgesetzt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false