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Der Prozess um Silvio S. vor dem Potsdamer Landgericht ist eine Belastung.

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Prozess um Silvio S.: „Gemeinsame Gedenkrituale schaffen“

Der Prozess um Silvio S. ist eine Belastung für die Familien der getöteten Kinder – und nicht nur für sie. Ein Gespräch mit der Diplom-Psychologin Rosmarie Priet.

Von Matthias Matern

Frau Priet, am vergangenen Dienstag begann in Potsdam der Prozess gegen Silvio S., den mutmaßlichen Mörder von Elias und Mohamed. Am Montag geht es weiter. Viele erschütternde Details zum Fall werden nun erneut in die Öffentlichkeit getragen. Was bedeutet das für die Hinterbliebenen und jene, die stark in die Suche nach Elias involviert waren?

Jeder geht damit anders um. Für betroffene Eltern dagegen hat der Prozess eine herausragende Bedeutung. Häufig steckt da viel Hoffnung drin. Die Hoffnung, Antworten auf noch offene Fragen zu bekommen und dass es zur Verurteilung des Täters kommt. Oft erleben Eltern aber, dass es im Prozess vor allem um die Täter geht. Sie sind häufig erschrocken, dass ihr Kind und dessen Geschichte so wenig Raum bekommen. Sie erleben das als Schlag ins Gesicht.

Wenn ein Kind so verschwindet, mitten in der Stadt, brutal ermordet wird, ist das ein Trauma für ganz Potsdam. Wie kann die Stadt damit umgehen?

Es muss sicherlich Antworten für verschiedene Gruppen geben. Für die, die unmittelbar betroffen sind, für die, die indirekt mit den Eltern zu tun haben, und jene, die die Familie nicht persönlich kennen. Häufig gibt es im Umfeld der Eltern eine große Hemmschwelle, das anzusprechen. Man will ja nichts Falsches sagen oder machen. Dabei sollte man sich trauen, Angebote zu machen. Außenstehende können dagegen ihre Anteilnahme ausdrücken, etwa durch das Entzünden von Kerzen bei öffentlichen Gedenken.

Ein erster Reflex ist oft, nichts mehr über die Ereignisse hören zu wollen. Ist das gut?

Die Vorstellung, was eigentlich genau passiert ist, ist ja auch etwas, das besonders die Eltern quält. Dadurch kann eine „normale“ Trauer sogar zu einer traumatischen werden. Nichts mehr davon hören zu wollen, ist also auf jeden Fall eine Art Schutzfunktion.

Welche Strategien helfen?

Am besten ist es, sich für die Bewältigung der Trauer zusammenzutun, sich gemeinsame Gedenkrituale zu schaffen. Also sich auszutauschen und darüber zu reden. Man sollte sich aber genau überlegen, mit wem man das macht. Es sollte schon jemand sein, der einen versteht, zu dem man Vertrauen hat.

Psychologin Rosemarie Priet, Leiterin einer Traumaambulanz in Potsdam. In Brandenburg nehmen Zeugen von Gerichtsprozessen immer häufiger die Unterstützung von Opferschutzverbänden in Anspruch.
Psychologin Rosemarie Priet, Leiterin einer Traumaambulanz in Potsdam. In Brandenburg nehmen Zeugen von Gerichtsprozessen immer häufiger die Unterstützung von Opferschutzverbänden in Anspruch.

© dpa

Kann man Angst, Wut und Trauer in etwas Positives verwandeln?

Betroffene Eltern im Trauerprozess wären über diese Frage wohl empört. Was die übrige Stadtgesellschaft betrifft, ist das durchaus möglich. Etwa, indem man die Wut und die Trauer konstruktiv wendet und für sich eine sinnvolle Aufgabe findet, bei der man anderen helfen kann.

Was raten Sie Eltern, die in den kommenden Wochen von ihren Kindern auf Details aus der Prozessberichterstattung angesprochen werden?

Es kommt auf das Alter des Kindes an. Natürlich werden Kinder, sobald sie lesen können, über die sozialen Medien mit solchen Themen konfrontiert. Man sollte darauf eingehen, aber kindgerecht – ihnen keine Angst machen, sondern ihnen erklären, dass man auf sie aufpasst. Aber ihnen auch keine Unwahrheiten auftischen.

Welche Rolle spielen die sozialen Medien bei solchen Ereignissen?

Durch die sozialen Medien ist es leichter geworden, sein Mitleid zu bekunden. Die Hemmschwelle ist niedriger. Da dies aber auch anonym passieren kann, besteht die Gefahr, dass Betroffene instrumentalisiert werden. Etwa von der rechtsextremen Seite. Das finde ich bedenklich und es ist für die Betroffenen oft schwer zu ertragen. In einem anderen Fall hat eine Familie eine eigene Webseite erstellt, um ihre Sicht der Dinge darzustellen. Damit versuchte sie, sich in der Öffentlichkeit die Deutungshoheit zurückzuerobern.

Das Gespräch führte Matthias Matern

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