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Die Anklage wirft dem 53-jährigen Beamten fahrlässige Tötung vor.

© Paul Zinken/dpa

Update

Prozess im Fall Fabien Martini: Polizist Peter G. zu 14 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt

Fast drei Jahre nach dem Unfalltod von Fabien Martini gibt es ein Urteil gegen Polizist Peter G. Das Amtsgericht Tiergarten entschied auf fahrlässige Tötung.

Der Prozess um den Unfalltod von Fabien Martini ist am Dienstagnachmittag mit einem Hafturteil auf Bewährung für den angeklagten Polizisten Peter G. zu Ende gegangen. Ein erweitertes Schöffengericht am Amtsgericht Tiergarten verurteilte den 53-Jährigen wegen fahrlässiger Tötung zu einem Jahr und zwei Monaten Haft auf Bewährung.

Die Eltern der im Alter von 21 Jahren getöteten Fabien Martini hörten dem Vorsitzenden Richter bei der Urteilsbegründung erstarrt zu. Peter G. hätte bei der tödlichen Einsatzfahrt mit Blaulicht am 29. Januar 2018 auf gar keinen Fall so schnell fahren dürfen: 130 Stundenkilometer im Innenstadtbereich - das gehe gar nicht, sagte der Richter. "Das ist absolut fahrlässig, eine grobe Sorgfaltspflichtverletzung", begründete der Richter das Urteil.

"Ein Einsatzbefehl rechtfertigt nicht alles. Sie konnten sich nicht darauf verlassen: Ich habe Sonderrechte", sagte der Vorsitzende Richter. "Martinshorn und Blaulicht entbinden Sie nicht, in jeder Lage zu prüfen, ob Sie so schnell fahren dürfen.“ Und: „Fabien Martini hatte keine Chance.“

Das Verhalten des Polizisten sei kausal für den tödlichen Unfall gewesen, bei dem die damals 21-jährige Fabien Martini starb, entschied das Gericht. Peter G. hätte am Ausgang des Tunnels in der Grunerstraße in Mitte vom Gas gehen müssen.

Gericht kritisiert chaotische Ermittlungen

G. hätte damit rechnen müssen, dass sich in der Grunerstraße Fahrzeuge befinden, deren Fahrer auf der Suche nach Parkplätzen waren. Auch Fabien Martini habe sich dort auf Parkplatzsuche befunden .Aufgrund seiner überhöhten Geschwindigkeit habe der Angeklagte eine Kollision mit dem Auto des Opfers trotz eingeleiteter Bremsung nicht mehr verhindern können und so ihren Tod verschuldet.

G. sei wie „ein Geschoss aus einem Gewehrlauf“ aus dem Tunnel gefahren. Angesichts der Örtlichkeit, der Tageszeit und des Verkehrsaufkommens hätte der Polizist das Tempo seines Einsatzfahrzeuges nach dem Tunnel auf etwa 60 Stundenkilometer drosseln müssen.

Allerdings kritisierte das Gericht in seiner Urteilsbegründung auch den Umgang der Behörden mit dem Fall. "Die Ermittlungen waren nicht optimal, sie waren chaotisch", sagte der Richter. "Der Fahrer bei so einem derartigen Unfall ist sofort Beschuldigter einer Straftat. Aber da hat der Ermittlungsdienst keine Zeit ins Krankenhaus zu fahren, das geht nicht." Aber dass etwas nach dem Unfall vertuscht werden sollte, habe das Gericht nicht festgestellt.

Damit endet die juristische Aufarbeitung dieses ungewöhnlichen Falls vorläufig. Das Gericht verhandelte seit Ende Oktober. Trotz Haftstrafe von mehr als einem Jahr verliert G. auch bei Rechtskraft des Urteils seinen Beamtenstatus nicht – weil es keine vorsätzliche Tat war.

„Wir haben gehofft, dass er wenigstens Gefängnis bekommt“

Es ist aber damit zu rechnen, dass die Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten in nächster Instanz überprüft wird. Der Verteidiger von Peter G. kündigte noch am Dienstagabend an, Rechtsmittel einzulegen.

Die Eltern zeigten sich nach dem Urteil enttäuscht, der Vater sagte: „Wir haben gehofft, dass er wenigstens Gefängnis bekommt.“ Ein Anwalt der Eltern sagte, aus seiner Sicht sei von einem „bedingt vorsätzlichen Totschlag“ auszugehen. „Die Berliner Polizei hat ihren Job nicht richtig gemacht.“

Urteil entspricht Forderung der Staatsanwaltschaft

Fabien Martini war am 29. Januar 2018 gestorben. Kurz nach Mittag war G. im Streifenwagen mit einem Kollegen zum Einsatz gefahren. Die Polizei war wegen eines Raubes alarmiert worden. Ein Fehlalarm, wie sich später herausstellte. Mit Blaulicht, Martinshorn und Tempo 130 ging es durch den freien Tunnel in der Grunerstraße, dann sah G. den weißen Renault Clio von Fabien Martini in selber Fahrtrichtung.

Andere Autos waren nicht unterwegs. G. bremste einmal leicht, machte dann eine Vollbremsung, als Martini plötzlich von rechts nach links über die gesamte Fahrbahn zu den Parkplätzen auf den Mittelstreifen zog. Beim Aufprall war der Einsatzwagen 93 Stundenkilometer schnell, Fabien Martini erlag noch am Unfallort ihren Verletzungen.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe für den Polizisten Peter G. gefordert. In ihrem Plädoyer verlangte die Staatsanwältin ein Jahr und zwei Monate Haft auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung. . 

Hauptkommissar Peter G. sei eine grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht vorzuwerfen, sagte die Staatsanwältin. Er habe weder die Verkehrs- noch die Sichtverhältnisse ausreichend beachtet. „Er hat diverse Risiken missachtet.“

Weil er mit viel zu hohem Tempo unterwegs gewesen sei, habe er nicht „adäquat reagieren“ können. Ein Tatnachweis, dass Alkohol eine Rolle gespielt habe, konnte nicht geführt werden, sagte die Anklägerin.

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Der Anwalt der Eltern, die als Nebenkläger auftreten, forderte vier Jahre Haft für den Polizisten. Der Rechtsanwalt hielt in seinem Plädoyer am Vorwurf fest, dass G. unter Alkoholeinfluss am Steuer des Einsatzwagens saß: „Er hat durch sein eigenes Versagen, seine mörderische Geschwindigkeit und Alkohol im Blut den Unfall verschuldet.“

Die Ermittlungen seien einseitig gelaufen - „nur gegen das Opfer, nicht gegen den Angeklagten“, sagte der Anwalt. Es sei unterlassen worden, am Unfallort seine Fahrtauglichkeit festzustellen - obwohl das bei Unfällen solchen Ausmaßes immer zu erfolgen habe, sagte der Anwalt der Eltern.

Polizisten und Feuerwehrmänner am Unfallort.
Polizisten und Feuerwehrmänner am Unfallort.

© picture alliance / Gambarini

Der Verteidiger des angeklagten Polizisten sagte: „Ich werde Freispruch beantragen.“ Peter G. sei seit 32 Jahren in der Hauptstadt ein Polizist mit Leib und Seele. Der Unfall habe auch sein Leben einschneidend verändert. „Er ist ein psychisches Wrack", sagte der Anwalt.

Peter G. habe sich nach dem Unfall in den Innendienst versetzen lassen und werde wohl nie wieder am Steuer eines Funkwagens sitzen. Bei der Schuldfrage sei zu bedenken, dass es sich um eine Einsatzfahrt handelte. Dabei sei ein Fahrer stets in dem Interessenkonflikt: „Schnell ankommen und gleichzeitig eine Sicherheitsreserve haben.“

Peter G. habe nach der Alarmierung der Polizei wegen eines Raubüberfalls Gefahr für Leib und Leben gesehen. Ausführlich ging der Anwalt in seinem Plädoyer auch auf die Bremswege und die Ergebnisse des Unfallgutachters ein.

Ein Mitverschulden von Fabien Martini an dem Unfall sei bei dem Urteil durch das Gericht zu berücksichtigen, sagte der Verteidiger. Das Martinshorn des Streifenwagens sei zu hören gewesen. Fabien Martini "fuhr in den Weg des Einsatzwagens", sagte der Verteidiger. Peter G. sagte in seinem Schlusswort lediglich, er "habe dem nichts hinzuzufügen".

Mutter kritisiert Ermittlungen nach dem Unfall

Die Mutter der getöteten Fabien Martini kämpfte am Dienstag mit den Tränen. Sie stand auf und verlas: „Fabien wollte Polizistin werden - ausgerechnet ein Polizist hat sie getötet.“ Sie hätten ihre Tochter zu Grabe tragen müssen, „weil ein Polizist betrunken im Dienst unterwegs war“. 

Tödlicher Unfall. In dem Kleinwagen starb eine 21-Jährige.
Tödlicher Unfall. In dem Kleinwagen starb eine 21-Jährige.

© imago/Olaf Selchow

Wäre vorschriftsmäßig eine zweite Blutprobe bei G. nach dem Unfall entnommen worden, würde der Beweis vorliegen, sagte die Mutter. Der Vater forderte: „Ich hoffe, dass er nie wieder als Polizist arbeiten darf.“

Die Eltern hatten nicht einen Prozesstag versäumt - schwarz gekleidet und immer mit einem gerahmten Foto ihrer Tochter. Sie stellten es im Blickfeld von Peter G. auf, der schweigend und meist leicht nach vorn gebeugt der Verhandlung folgte.

Passanten bemerkten das Martinshorn

Selten wird ein Unfall so tiefgehend analysiert und technisch ausgewertet wie in diesem Fall, beide Fahrzeuge hatten einen Unfalldatenspeicher. Fahrlinien, Geschwindigkeit, alles liegt vor, sogar zwei Videos. Ein Unfallsachverständiger legte ein umfangreiches Gutachten vor.

Kurz vor dem Einbiegen von der Karl-Marx-Allee in die Otto-Braun-Straße hatte Fabien eine Nachricht am Handy geschrieben. 26 Sekunden vor dem Unfall erhielt sie selbst eine Nachricht, sie war im Sperrbildschirm zu sehen.

In der Grunerstraße bemerkten mehrere Passanten das laute Martinshorn des Streifenwagens von Peter G., einige wunderten sich, warum Fabien Martini nicht wartete.   

Nach Angaben des Unfallsachverständigen wäre der Unfall vermeidbar gewesen, wenn Peter G. in seinem Einsatzwagen maximal mit 93 statt mit 130 Stundenkilometern unterwegs gewesen wäre.

Der Tod von Fabien Martini und der Fall des Polizisten Peter G. 

Über den zwischenzeitlich erhobenen Alkoholverdacht bei Peter G. wird das Gericht nicht entscheiden. Im Sommer 2018 waren die Ermittlungen fast abgeschlossen, dann gab es Hinweise aus der Charité an den Anwalt der Eltern.

Erst wollte die Staatsanwaltschaft dem nicht weiter nachgehen, später ließ sie die Patientenakte beschlagnahmen – rechtswidrig, wie das Gericht bereits vor Prozessbeginn festgestellt hat.

Klinikpersonal will den Akten zufolge Alkoholgeruch bei dem Polizisten festgestellt haben - deshalb die Blutentnahme. Für Alkoholtests nach Verkehrsunfällen gelten aber schärfere Regeln. Die Patientenakte ist nicht verwertbar, hat keine Beweiskraft.

Die Verkehrsermittler fuhren aber auch nicht zu G. ins Krankenhaus, belastende oder entlastende Beweise – Fehlanzeige. Das hat Vertuschungsvorwürfe später begünstigt. Und im Prozess gab es keinen Zeugen, auch nicht der Beifahrer, der Alkoholgeruch bei G. bemerkt hat. 

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