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Die Stühle symbolisieren die Menschen, die momentan in Moria leben.

© Kay Nietfeld/dpa

Protestaktion vor dem Berliner Reichstagsgebäude: 13.000 Stühle für Geflüchtete in Moria

Mit einer spektakulären Protestaktion weisen verschiedene Organisationen auf das Schicksal von Geflüchteten in griechischen Aufnahmelagern hin. Die Initiative fordert: Deutschland muss helfen. 

Hanns Thomä fällt auf. Er und seine Frau heben den Altersdurchschnitt auf der Reichstagswiese am frühen Montagabend erheblich an. Der 69-jährige war jahrelang Migrationsbeauftragter der "Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz." 

Laut dem Berliner verliert "Europa seine Seele", wenn den tausenden Geflüchteten auf den griechischen Inseln nicht bald geholfen wird. Das Ehepaar hat sich an diesem Montag gemeinsam mit etwa hundert, vor allem jungen Aktivisten und Aktivistinnen, vor dem Bundestagsgebäude eingefunden, um auf die Situation von Geflüchteten in Aufnahmelagern wie Moria aus Lesbos aufmerksam zu machen. 

Aber auch auf das Schicksal von Migranten an den europäischen Außengrenzen sowie die gefährliche Fluchtroute über das Mittelmeer wird im Laufe des Abends immer wieder hingewiesen. Thomä spricht sich dafür aus, die Seenotrettung im Mittelmeer ähnlich anzugehen, wie die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) in Nord- und Ostsee arbeitet. 

"In Deutschland werden selbstverständlich in Not geratene Menschen vor dem Ertrinken gerettet, wieso dann nicht auch im Mittelmeer?", fragt der 69-jährige. 13.000 Stühle hat eine Initiative aus den Gruppen "Campact", "Sea-Watch" und "Seebrücke" auf der Wiese vor dem deutschen Parlament aufgestellt, um die Politik darauf aufmerksam zu machen "die humanitäre Katastrophe an den europäischen Außengrenzen endlich zu beenden und die Lager zu evakuieren", so die Organisatoren. 

80 Helfer waren am Aufbau beteiligt, Montagmorgen um 6 Uhr stand der erste Stuhl, der letzte kurz vor 16 Uhr. Die Stühle sind allesamt gemietet, hinter jeder Miete verbirgt sich ein Spender der verschiedenen Flüchtlings-Organisationen. 

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Bei einer um 17 Uhr beginnenden Kundgebung stand dann vor allem ein gänzlich neues Problem im Fokus der Redebeiträge. Das griechische Flüchtlingslager Moria auf Lesbos vermeldete vor zwei Tagen die ersten Corona-Fälle. Mittlerweile sind es zehn. Die Lage spitzt sich zu, die teilweise verheerenden humanitären Bedingungen vor Ort lassen einen weiteren Anstieg an Covid19-Fällen in den nächsten Tagen vermuten. 

Für die Organisatoren der Protestaktion ist deswegen klar: "Deutschland kann nicht auf eine europäische Lösung warten, die Bundesrepublik hat genug Kapazitäten, um die Menschen jetzt aus den Lagern rauszuholen."

Bundestagsabgeordnete signalisierten Unterstützung

Um diese Forderung auch symbolisch zu untermauern, errichteten die Aktivisten und Aktivistinnen schon am Mittag eine Bühne mit bereitstehenden Stühlen für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) direkt vor dem Reichstagsgebäude. Daneben ein offiziell anmutendes Rednerpult der Bundesregierung, über das die Kanzlerin die "Aufnahme aller in Moria festsitzenden Geflüchteten" verkünden solle, so die sinnbildliche Forderung der Flüchtlingsinitiativen. Alle drei Stühle blieben bis zum Abend leer. 

Im Laufe des Montags erschienen immer wieder Bundestagsabgeordnete unterschiedlicher Parteien auf der Wiese, um den Organisatoren ihre Unterstützung zu signalisieren. Darunter die Berliner Grünen-Abgeordnete Canan Bayram und Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne). Auch "Fridays for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer und der Comedian Felix Lobrecht befanden sich bei der Kundgebung unter den Zuhörern.

Esken und Klingbeil verweisen auf fehlende Kapazitäten

Kurz vor Sonnenuntergang tauchten dann auch noch SPD-Vorsitzende Saskia Esken und Generalsekretär Lars Klingbeil vor dem Reichstag auf. Von dem europäischen Grünen-Abgeordneten und Flüchtlings-Experten Erik Marquardt lassen sich beide über die Verhältnisse auf den griechischen Inseln aufklären. Beide unterschreiben eine Erklärung, sich für die "sofortige Evakuierung der überfüllten Flüchtlingslager" einzusetzen. 

"Natürlich würde man sich für die Aufnahme von Geflüchteten aus den Lagern stark machen", so die SPD-Vorsitzende, aber "zunächst müsste man die nötigen Kapazitäten schaffen und schließlich sei man auch noch Teil einer großen Koalition". 

Zumindest eine Erkenntnis bleibt an diesem Montagabend: allein auf die Wiese vor dem deutschen Parlament passen problemlos 13.000 Menschen. 

Julius Geiler

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