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12 Uhr, alle raus! Schüler aus Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg streikten für Parität in der Schulkonferenz.

© Fabian Sommer/dpa

Protest gegen ungleiche Stimmverhältnisse: Berliner Schüler organisieren Mini-Streik gegen neues Schulgesetz

Lehrkräfte haben in der Schulkonferenz neuerdings eine Stimme mehr als Eltern oder Schüler. Die finden das ungerecht – und im neuen Abgeordnetenhaus auch Gehör.

Um 12 Uhr mittags am Mittwoch haben eine Handvoll Berliner Schüler:innen, vor allem aus Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln, den Unterricht verlassen und in kleinen Gruppen demonstriert, etwa vor dem Rathaus Neukölln und dem Roten Rathaus. Wie viele Teilnehmer:innen es genau gab, ist unklar; bei der Berliner Versammlungsbehörde waren zuvor keine Kundgebungen angemeldet worden.

Der Protest der Schüler galt ausnahmsweise nicht der Corona-Situation an Berlins Schulen: Auf den Schildern der jungen Leute stand "Demokratie an Schulen", "Gleiche Mitbestimmung jetzt" oder "Schüler*innen ernstnehmen". Stein des Anstoßes: das noch im vergangenen September von Rot-Rot-Grün hastig verabschiedete neue Schulgesetz.

Genauer gesagt die neue Regelung zur Schulkonferenz, dem höchsten Gremium jeder Schule. Bisher hatten dort Lehrer:innen, Eltern und Schüler:innen jeweils vier Sitze und damit ausgewogene Stimmrechte. Seit der Schulgesetzänderung ist das nicht mehr so: Die Lehrer:innen-Gruppe hat einen fünften Sitz dazubekommen.

Der Gedanke dahinter: Der zusätzliche Platz soll einem an der Schule tätigen Erzieher oder einer Sozialarbeiterin zufallen. Dadurch sollten die Mitspracherechte des sogenannten "sonstigen pädagogischen Personals" abseits der Lehrkräfte gestärkt werden.

Kein gutes Argument für die Bezirksschülerausschüsse von Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln, die zu dem Streik aufgerufen hatten und diesen auch mit einem Livestream auf Instagram begleiteten. "Die Einbindung von pädagogischem Personal ist löblich, aber der fünfte Sitz kann auch mit einer Lehrkraft besetzt werden", erklärte Johannes Gatz, Schulsprecher der Neuköllner Clay-Schule, im Livestream. In der Tat enthält das Gesetz bislang lediglich eine "Soll"-Formulierung.

Neue Koalition hat Schülern mehr Mitbestimmung versprochen

Diese Aufgabe des paritätischen Prinzips in der Schulkonferenz betrachten die Schüler:innen als Rückschritt ihrer Mitbestimmungsrechte an der Schule. Und das, obwohl die neue Regierung im Koalitionsvertrag verspricht, sie werde für Berlins Schülerinnen "konkrete Möglichkeiten der Beteiligung am schulischen Alltag und der Schulorganisation ausbauen (T+) sowie zur Teilnahme ermutigen".

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Für Gatz und seine Mitstreiter:innen ist das ein Widerspruch. Sie fordern eine Rückkehr zu der vorherigen Regelung: vier Sitze für jede Gruppe. Gatz nennt seine eigene Schule als Beispiel: "An der Clay-Schule ist es vorher schon so gemacht worden, dass eine pädagogische Kraft einen der vier Sitze bekommen hat."

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Eigentlich eine einleuchtende Regelung – für die Koalitionäre vergangenes Jahr aber wohl mit Blick auf die anstehende Abgeordnetenhauswahl wenig attraktiv. Lehrkräfte sind eine stimmgewaltige Berufsgruppe und gehören für alle drei Parteien zur Kernwählerschaft. Eine potentielle Schwächung ihrer Durchsetzungskraft am eigenen Arbeitsplatz sowie mögliche Proteste dagegen dürften SPD, Linken sowie Grünen zu riskant gewesen sein.

Koalitionsabgeordnete signalisieren Offenheit für erneute Änderung

Im neu gewählten Abgeordnetenhaus allerdings bemüht man sich nun darum, für die Empörung der Schüler:innen Verständnis zu zeigen. Und gibt vorsichtige Signale in Richtung einer möglichen Änderung des neuen Gesetzes: Louis Krüger, schulpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ließ sich von Gatz im Livestream interviewen und sagte: "Ich verstehe euren Unmut bei der Parität. Ich bin gerne bereit, mir das noch mal anzugucken."

Auch der bildungspolitische SPD-Sprecher Marcel Hopp lud die protestierenden Schüler:innen zum Gespräch ins Abgeordnetenhaus ein. Dem Tagesspiegel sagte Hopp, man sei gerade noch im Prozess des "Wissenstransfers" – bis auf die Grünen-Abgeordnete Marianne Burkert-Eulitz befindet sich fast keine der federführenden Politikerinnen der Schulgesetz-Neuerung mehr im Abgeordnetenhaus. Die neuen Abgeordneten beginnen momentan erst mit der Arbeit, am Donnerstag konstituiert sich der Bildungsausschuss.

Den Ärger der Schüler könne er allerdings gut verstehen, sagte Hopp, von Beruf selbst Lehrer. Sollte sich die Koalition auf eine Änderung der entsprechenden Passage einigen, könnte das noch in diesem Jahr geschehen, stellte Hopp in Aussicht.

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