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Am 8. Dezember dieses Jahres demonstrierten Berliner Sexarbeiter vor dem Rathaus Schöneberg gegen ihre Zwangsregistrierung.

© Christian Ditsch/imago

Prostitution: Berliner Sexarbeiterinnen fürchten das neue Prostituiertenschutzgesetz

Stigmatisierung, Zwangsouting, Illegalität: Die Angst vorm neuen Gesetz zur Prostitution ist groß. Bis Silvester mussten sich Prostituierte registrieren – doch die Ämter sind mal wieder überfordert.

Fabienne Freymadl steht an diesem kalten Dezembertag mit einem Dutzend Kollegen vor dem Rathaus Schöneberg und protestiert. Drinnen wollen sie sich heute registrieren lassen: als Sexarbeiter. Ein Beratungsgespräch soll zunächst feststellen, ob die Person als Prostituierte arbeiten darf und ob sie das freiwillig tut. Das ist seit 1. Juli Pflicht, seitdem gilt das Prostituiertenschutzgesetz, im Behördensprech „ProstSchG“.

Pflicht ist neben der Registrierung aller Sexarbeiter auch eine jährliche Gesundheitsberatung und das Verwenden von Kondomen. Auch wer ein Bordell betreiben will, braucht eine Erlaubnis. Die Sexarbeiter haben an diesem Freitag im Dezember beschlossen, sich unter einem Künstlernamen zu registrieren: „Alice Schwarzer“.

Für die Teilnehmer dieser kleinen Demonstration ist bereits die Registrierung eine Zumutung: „Einen Hurenpass gab es zuletzt 1939“, empört sich eine Sexarbeiterin. „Hurenpass“, so nennen viele aus der Branche den Ausweis, den Prostituierte nach der Anmeldung jederzeit bei sich tragen müssen. Tun sie es nicht, drohen Strafen bis zu 1000 Euro. Und die Anmeldung erfolgt nicht nur einmalig: Alle zwei Jahre muss sie erneuert werden.

Sexarbeiter müssen sich zudem einen Haupttätigkeitsort in den Ausweis eintragen lassen. Das können Kommunen sein oder ganze Bundesländer. Diese Verpflichtung gibt es in keinem anderen Beruf. Doña Carmen, ein Frankfurter Rechtsverein für Prostituierte ruft die Sexarbeiter daher dazu auf, sich in allen 11.000 Kommunen Deutschlands zu melden und damit die Bürokratie komplett zu überfordern.

„Ich fühle mich von Alice Schwarzer betrogen“, sagt eine Anwesende. Sie kritisiert die berühmte Feministin für ihre Haltung gegen Prostitution. Anmelden konnte sie sich aber heute nicht – weder mit Künstler-, noch mit echtem Namen.

Keine Räume, keine Ärzte

Doch in Berlin gibt es weder Räumlichkeiten zur Registrierung noch Ärzte, die die verpflichtende Gesundheitsberatung durchführen. Stattdessen bekommen die Sexarbeiter im Bezirksamt gerade einmal ein Schreiben, das den Anmeldeversuch bescheinigt.

Seit 12. Dezember steht zumindest fest, dass sich Tempelhof-Schöneberg „regionalisiert“ um die Anmeldung und gesundheitliche Beratung kümmert. Das bedeutet, der Bezirk übernimmt diese Aufgaben zentral für die ganze Stadt. Der „Diskussionsprozess“ zwischen dem Senat und den Bezirken dauerte lange, sagt Angelika Schöttler, SPD-Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg.

Anfangs hätten mehrere Bezirke Bereitschaft signalisiert, die Aufgaben stellvertretend für alle Bezirke wahrzunehmen. Die Verhandlungen verliefen aber „ergebnislos“. Nun soll es also Tempelhof-Schöneberg richten – der Bezirk, in dem mit einem Teil der Kurfürstenstraße der berühmteste Straßenstrich Berlins verläuft. Der Senat unterstützt die Aufgabe des Bezirks mit 1,2 Millionen Euro - abgerufen wurde bis Mitte Dezember aber noch nichts von dem Geld. Der Grund: keine geeigneten Bewerber.

Für die Aufgaben der Anmeldung und der gesundheitlichen Beratung sind 18 Stellen vorgesehen, besetzt wurde noch keine. Bei der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten, die zentral sind und genügend Privatsphäre bei den Beratungsgesprächen bieten, ist der Bezirk noch in Verhandlung mit dem Vermieter und Eigentümer.

Schützen soll das Gesetz vor allem die, die unfreiwillig über Menschenhandel in der Prostitution landen. Die Beratungsstellen sollen dabei helfen, potenzielle Opfer zu identifizieren. Das geht aus einer Antwort auf eine Anfrage des damaligen Bundestagsabgeordneten Volker Beck vom Juli 2017 hervor. Außerdem soll durch „Kontroll-, Hinweis- und Aufzeichnungspflichten“ der Gewerbebetreiber und „verbesserte Kontrollmöglichkeiten der zuständigen Behörden“ mehr Transparenz geschaffen werden. Bordellbetreiber sollen selbst in die Pflicht genommen werden, auf Anzeichen von Menschenhandel und Zwangsprostitution zu achten.

Gesetz sei mit dem Auftrag der anonymen Unterstützung nicht vereinbar

Monika Nürnberger arbeitet in der Kurfürstenstraße. Ihr Frauentreff „Olga“ ist für alle Prostituierten offen, die etwas brauchen, ob Kondome, eine Tasse Tee oder Rechtsberatung. Hier fragt keiner, ob die Frauen einen gültigen Aufenthaltsstatus haben oder schwanger sind. „Die Gespräche mit dem medizinischen Fachpersonal werden nicht viel bringen“, sagt Nürnberger.

Für die Frauen aus der Kurfürstenstraße - überwiegend Osteuropäerinnen - gebe es jetzt schon freiwillige und anonyme Angebote zur medizinischen Versorgung, die gut angenommen werden. „Das Rad wird nicht neu erfunden.“ Nürnberger kann sich nicht vorstellen, wie bei dem verpflichtenden Ges präch herausgefunden werden soll, ob sich jemand freiwillig prostituiert oder nicht.

Erschwerend kommt hinzu, dass bei der Schöneberger Stellenausschreibung für medizinisches Personal Fremdsprachenkenntnisse keine Voraussetzung sind. „Wir werden mit freien Dolmetschern arbeiten“, heißt es aus dem Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg. Außerdem soll bei der Gesundheitsberatung eine Online-Dolmetscherplattform getestet werden. „Das wird es nicht einfacher machen“, kommentiert Nürnberger diese Lösung.

Vertrauen zu den Frauen herzustellen dauere sehr lange, ein halbstündiges Beratungsgespräch reiche da nicht. Viele der Frauen, die in der Kurfürstenstraße arbeiten, hätten zudem keine Krankenversicherung. „Als freier Träger ist dieses Gesetz mit unserem Auftrag der anonymen Unterstützung nicht vereinbar.“ Dennoch hilft Nürnberger jetzt schon den Frauen bei der Registrierung und erinnert sie, dass sie bis zum 1. Januar zumindest den Versuch einer Anmeldung vorweisen müssen.

Ordnungsrechtliche Kontrollen der Bordelle, die sich ebenfalls eine Erlaubnis beim Gewerbeamt holen müssen, werde es jedoch erst geben, nachdem sich die Sexarbeiter auch tatsächlich registrieren können. Dann kann die Polizei jedoch „verdachtsunabhängig, sowohl eigenständig als auch auf Ersuchen der Ordnungsämter“ kontrollieren, teilte der Berliner Polizeisprecher Thomas Neuendorf mit. Bislang konnte nur an ausgewiesenen gefährlichen Orten verdachtsunabhängig kontrolliert werden.

Angst vor Zwangsouting

Die Registrierung führt besonders bei denjenigen zu Stress, die ein Doppelleben führen. Deren Partner und Verwandte nicht von ihrem Job wissen. „Die Mädchen haben Angst, zwangsgeoutet zu werden“, erzählt eine Bordellbetreiberin aus Prenzlauer Berg. In der Szene kursieren Gerüchte, die Ämter würden ihre Daten an Dritte weiterreichen, an Interpol oder an die Polizei. Besonders Prostituierte aus Ländern, in denen der Beruf illegal ist, sorgen sich um ihren Aufenthaltsstatus.

Auch in der Kurfürstenstraße haben viele Angst. „Manche werden aufhören, andere gehen woanders hin“, sagt Nürnberger. Die, die bleiben, freuen sich, nach dem 1. Januar weniger Konkurrenz zu haben. „Die allermeisten haben aber andere Sorgen“, sagt Nürnberger schließlich. Viele der Frauen würden in prekären Situationen leben, seien wohnungslos.

„Für die Frauen ist es sehr schwierig, ohne Wohnung eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finden.“ Viele hätten hier in Deutschland keine Möglichkeit, etwas anderes zu arbeiten. Und die Gefahr für ohnehin schon prekär arbeitende Frauen, in die Illegalität abzurutschen, sei durch die Reglementierungen nun viel größer als vorher.

Hört man den Fachleuten aus der Branche zu, wird das Gesetz seine Ziele schwer erreichen, weil es mit den Lebensrealitäten der Sexarbeiter nicht kompatibel ist. „Durch ein paar Paragrafen wird nicht alles gut“, fasst Freymadl zusammen. Sie arbeitet ehrenamtlich im Vorstand des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen. Dieser bietet arbeitsrechtliche Beratungen an, politische Vertretung und Workshops, bei denen sich Sexarbeiter gegenseitig beraten.

Auch Freymadl wünscht sich bessere Arbeitsbedingungen. Doch es bräuchte vor allem bessere Qualifizierungsmöglichkeiten für jene, die unfreiwillig oder unter schlechten Bedingungen in der Prostitution landen.

„Wir haben viele Ideen, wie es besser sein könnte, aber kein Geld und keine Zeit“, sagt Freymadl. Es müsste sichere Wege geben, sich als Opfer von Zwangsprostitution zu offenbaren. Denn zu Anmeldung und gesundheitlicher Beratung könne jemand ebenso gezwungen werden wie zur Prostitution. Sollte die Anmeldung denn irgendwann möglich sein.

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