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Die Frauenrechtlerin Seyran Ates hat für Projekte mit der liberalen Ibn-Rushd-Moschee Unterstützung beantragt.

© Soeren Stache/dpa

Projekte abgelehnt: Initiativen gegen Antisemitismus und Radikalisierung bekommen keine Förderung

Es gibt zwar viele Ideen für demokratiefördernde Projekte, aber kein Geld vom Bund. Auch Berliner Projekte von Seyran Ates und Ahmad Mansour sind betroffen.

Der junge Syrer war ein paar mal kurz davor, in Tränen auszubrechen. Er ist Flüchtling, seit 2015 mit seiner Familie in Berlin – und er ist schwul. Natürlich weiß seine Familie nichts davon, er bekommt ja schon Schläge, wenn er das Morgengebet verpasst. Und jetzt saß er hier, in der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, weil er Rat suchte. Er brachte das nicht zusammen, seine Homosexualität und seine Religion, den Islam. Er wollte beides leben, aber das war doch nicht möglich, oder? So hatte er das gelernt.

Doch, das ist möglich, antwortete Tugay Sarac, bei der Moschee Ansprechpartner für queere Muslime. „In Berlin gibt es sonst keine Anlaufstelle für homosexuelle Muslime, die zugleich ihre Religion leben wollen“, sagt Sarac. Das Angebot sollte ausgebaut werden.

Sollte, wird es aber nicht. Seyran Ates, die Frauenrechtlerin und Mitbegründerin der liberalen Moschee, hatte 900.000 Euro für fünf Jahre beantragt, beim Bundesprogramm „Demokratie leben“ des Bundesfamilienministeriums. Abgelehnt.

Das Geld sollte dazu verwendet werden, Menschen wie dem jungen Syrer zu helfen – Schutz und zugleich Beratung zu bieten. Allerdings in Zukunft in einem eigenen Zentrum, in größeren Räumen, in denen ein Psychologe und ein Theologe arbeiten, in dem sich Betroffene austauschen können, in Gruppen oder im Einzelgespräch.

Außerdem sollte dieses Zentrum Wissen bündeln und Aufklärung betreiben. „Es gibt auf der Welt verschiedene Menschen, die sich mit dem Thema Homosexualität und Islam beschäftigen“, sagt Marlene Löhr, die Pressesprecherin der Moschee. „Aber ihre Texte sind meist in Englisch. Wir wollen sie auf Deutsch übersetzen und verständlich für jeden formulieren.“ Ein solches Zentrum, sagt Jörg Steinert, der Geschäftsführer des Berliner Lesben- und Schwulenverbands, „wäre in Deutschland einzigartig“.

Das Projekt für die queeren Muslime ist eines von vielen, die kein Geld aus dem Programm erhalten. Das Geld soll für Initiativen fließen, die sich für Verteidigung der Demokratie einsetzen. Aber viele Gruppen und Initiativen, die dieses Ziel verfolgen, erhalten kein Geld. Es ist zu wenig zum Verteilen da. Und deshalb gibt es jetzt viel Kritik an der finanziellen Situation.

„Das ist der selbstgemachte Terror"

Ebenso abgelehnt: Das Projekt „Wir! – Hier!“ der Mansour-Initiative für Demokratieförderung (MIND) zusammen mit der „Rhein-Flanke GmbH“. Ahmad Mansour ist ein Islam-Kritiker und Psychologe, der für einen liberalen Islam eintritt. Das Projekt sollte an Schulen und Jugendeinrichtungen gegen Antisemitismus und für gegenseitige Toleranz kämpfen.

Abgelehnt: ein Projekt des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus. Abgelehnt: ein Projekt des Anti-Gewalt-Vereins „Gesicht Zeigen!“ Und das ist nur ein Teil der Projekte, die keine Förderung erhalten.

Seyran Ates kann zwar nur für ihre Projekte sprechen, aber sie redet im Grunde genommen für viele Betroffenen, die abgelehnt wurden: „Das ist der selbstgemachte Terror. Am Ende sieht die Politik zu, wie sich unsere Jugend und die nächste Generation langsam radikalisiert. Wir laufen ins offene Messer. Gerade Berlin ist unglaublich arrogant in der Hinnahme der Radikalisierung der jungen Menschen.“

Sie ist doppelt betroffen. Das Zentrum für queere Muslime war ja nur einer ihrer Anträge. Sie hatte noch einen zweiten gestellt. In dem geht es um die „Deradikalisierung und die Demokratiebildung“ bei muslimischen Schülern. „Der zunehmende fundamentalistische Einfluss auf muslimische Jugendliche verändert das soziale Miteinander an Schulen mit überwiegend muslimischen Schülern und Schülerinnen“, steht im Antrag.

„In extremen Fällen wird dieser politische Islam von ihnen als einzig gültiges Regelsystem für soziales Miteinander angesehen und regelkonformes Verhalten wird durch sozialen Druck erzwungen.“ Genau deshalb hat die Senats-Schulverwaltung im Sommer an der Grundschule in der Köllnischen Heide ein Pilotprojekt gestartet, bei dem frühzeitig auch durch Elternbesuche solchen Tendenzen entgegen gewirkt werden soll.

Der Bundesfinanzminister wollte die Zuwendungen für 2020 noch weiter kürzen

Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee wollte diese fundamentalistischen Strukturen durch regelmäßige Workshops aufbrechen, bei denen jeweils ein Referententeam, immer ein Mann und eine Frau, Werte und Normen der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft erarbeiten.

Beatrice Mansour, Ehefrau von Ahmad Mansour und Geschäftsführerin von MIND, ist auch enttäuscht über die Ablehnung ihres Projekts. „Durch den Anschlag in Halle ist offensichtlich, dass sich das Thema verschärft hat. Wir müssen andere Ansätze als bisher finden, wie wir junge Menschen im Kampf gegen Antisemitismus erreichen.

Die klassischen Methoden reichen offensichtlich nicht, die Gesellschaft hat sich verändert.“ Es gebe in Deutschland einen muslimischen Antisemitismus, der viele Tabus nicht kenne. Tabus, „die der eine oder andere Rechtsextremist noch als Sprechverbot wahrnimmt“. Ein Verhalten, das Seyran Ates aufgrund ihrer Erfahrungen bestätigen kann.

Bundesfinanzminister Scholz wollte die Zuwendungen für „Demokratie leben“ 2020 gegenüber 2019 sogar noch um acht Millionen Euro kürzen, gab dieses Vorhaben jetzt aber aufgrund der massiven Kritik auf. Das Niveau von 2020 bleibt auf dem von 2019, 115 Millionen Euro insgesamt. Trotzdem werden viele Projekte unberücksichtigt bleiben. „Ich bin realistisch“, seufzt Beatrice Mansour. Will sagen: Sie glaube nicht, dass ihr Projekt doch noch gefördert wird.

Zumindest Seyran Ates erhält noch einen Trost bei ihrem Frust: Am 5. Dezember wird ihr der Menschenrechtspreis der Universität Oslo überreicht.

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