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Der Künstler Manaf Halbouni vor seiner Arbeit "The Flying Dreams" in der Flüchtingsunterkunft in Berlin-Marzahn.

© Thilo Rückeis

Projekt "Residenzpflicht": Künstler baut Flugzeug in Marzahner Flüchtlingsunterkunft

Kunstschaffende sollen dort arbeiten, wo es eigentlich andere Probleme gibt. Den Anfang machte der Künstler Manaf Halbouni in einem Bauwagen.

Eine ältere Frau mit Kopftuch schaut aus dem vierten Stock des modernen Plattenbaus herab auf das Flugzeug, den Künstler und sein Tiny House. In diesem ausgebauten Bauwagen hat Manaf Halbouni einen Monat lang gelebt und gearbeitet. Er hat ein Flugzeug in den Hof der Unterkunft für Geflüchtete im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf gebaut, aus Gegenständen, die er in der Umgebung aufgesammelt hat. Alte Schallplatten zum Beispiel, eine noch funktionierende Uhr, eine Krücke, viel Holz und Plastik. Halbouni ist der erste Künstler, der an dem Projekt "Residenzpflicht" teilnimmt.

In den nächsten zwei Jahren werden neun weitere Künstlerinnen und Künstler wie er in dem Bauwagen leben. Nicht nur in Marzahn, denn der Bauwagen wandert von Unterkunft zu Unterkunft. Der Projekt-Entwurf hat einen Preis im Wettbewerb "Kunst-am-Bau" erhalten, ausgelobt durch das Land Berlin, finanziert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa von Klaus Lederer (Linke). Die Künstlerinnen und Künstler erhalten 2000 Euro pro Monat plus 1000 Euro für Materialien. Sie sind dazu verpflichtet, auch wirklich in dem Bauwagen zu leben.

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Duschen und Toiletten teilen sie sich mit den Geflüchteten in den Unterkünften. Ziel ist es, die in sich geschlossenen Flüchtlingsunterkünfte temporär für Ansätze und Entwicklungen zeitgenössischer Kunst zu öffnen. Durch den Kontakt zwischen Kunstschaffenden und Geflüchteten sollen Ideen und Ansichten über die Grenzen der Unterkünfte hinaus ermöglicht werden.

Halbouni erzählt, sonderlich viel Austausch habe es jedoch nicht gegeben. Die Männer treffen sich in den Waschräumen und reden, und zwar über andere, existentiellere Dinge als Kunst: Wie sie an Arbeit und an eine Wohnung kommen können zum Beispiel. Ab 13 Uhr wird der Hof der Unterkunft von Kindern geflutet. Nach 13 Uhr habe er kaum noch Ruhe zum Arbeiten gehabt. Und er sei kein Pädagoge.

Das Projekt soll positiv stören

"Es ist kein soziales Projekt, sondern ein Kunstprojekt", ergänzt Ricarda Mieth von der "Künstlerinnengruppe msk7", welche "Residenzpflicht" ins Leben gerufen hat und die Stipendien für die Kunstschaffenden vergibt. "Das Projekt soll Farbe in die Unterkünfte bringen und stören, im positiven Sinne." Halbouni hat sich mit den Kindern beschäftigt. Er ist zufrieden, hat gerne an dem Projekt teilgenommen.

"Mir reicht es schon, wenn sich die Kinder in 20 Jahren an den Typen erinnern, der im Heim ein Flugzeug gebaut hat." Die Männer und das Sicherheitspersonal machen Scherze: "Wann fliegt dein Flugzeug endlich?" Die Kinder wollen sich reinsetzen und von Halbouni wissen, wie es ist, dieses Fliegen.

Einen Monat lang hat Halbouni in dem Bauwagen auf dem Geländer der Unterkunft gelebt.
Einen Monat lang hat Halbouni in dem Bauwagen auf dem Geländer der Unterkunft gelebt.

© Thilo Rückeis

"Die fliegenden Träume" hat er sein Kunstwerk getauft. "Weil wir alle von einem besseren Ort träumen." Er selbst ist 2008 aus Damaskus nach Dresden gekommen, hat dort Kunst studiert, ist Meisterschüler, freischaffender Künstler. 2017 ist er bundesweit bekannt geworden, als er drei Busse vor der Frauenkirche in Dresden hochkant aufgestellt hat, später auch vor dem Brandenburger Tor.

Er wollte damit an Krieg und Vertreibung in seiner Heimat Syrien erinnern. Nun sei er, nach elf Jahren, noch immer nicht in Deutschland angekommen, fühle sich hier nicht zuhause. Gerne würde er zurückfliegen, aber es sei halt Bürgerkrieg.

"Ich bin hier ein Alien"

Damals, vor dem Krieg, da seien sie eine schöne "Dresdner Enklave in Damaskus" gewesen. Halbouni hat die doppelte Staatsbürgerschaft, seine Mutter ist Deutsche. Er hat den Militärdienst in Syrien verweigert, auch daher könne er nicht zurück. Das verjährt nach 42 Jahren, oder er müsste sich freikaufen. Aber er kenne in Syrien auch niemanden mehr, alle seien geflohen. In Deutschland missfalle ihm die Anonymität, die Kälte, und dass es kaum öffentliches Leben gebe, man würde sich kaum einander in die Wohnungen einladen.

Hier im Heim könnten er und seine Kunst keine Lösungen für die existentiellen Probleme der Geflüchteten bieten. "Ich bin hier ein Alien", sagt Halbouni am letzten Tag seiner Residenz. Er wirkt erschöpft, es regnet, er sehnt sich nach etwas mehr Ruhe. Ab dem 31. Mai wird die rumänische Comic-Zeichnerin Andreea Chirica in dem Bauwagen leben. Ebenfalls in Marzahn, in einer Unterkunft in der Paul-Schwenk-Straße 17. Wer die Kunstschaffenden besuchen möchte, muss sich beim Pförtner melden und einen Ausweis vorzeigen.

Halbouni wird sein Flugzeug wieder zerlegen und anschließend entsorgen. Vor Ort stehenbleiben darf es nicht - Kinder könnten sich ohne Aufsicht darin verletzen. Das Projekt verfolgen und erfahren, welche Künstler gerade wo mit dem Bauwagen stehen, kann man auf der Website residenzpflicht.berlin/stipendiaten/

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