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Programm beim Fête de la Musique 2019 in Berlin: Sechs Künstler stellen sich vor

Die jährliche Fête de la Musique spiegelt Berlins bunte Musikwelt. Unter anderem mit Jazz, Folk, Elektro-Pop, Indie und vielen weiteren Musikstilen.

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Musiker aus der ganzen Welt haben Berlin zu ihrem neuen Zuhause gemacht. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Musiker selbst. Hier erzählen sechs von ihnen, was sie hergebracht hat, warum die Berliner Freiheit auch überfordernd sein kann – und worauf sich das Publikum bei ihrem Auftritten auf der Fête de la Musique am 21. Juni freuen darf.

Luca Burgio e Maison Pigalle, Italien

Ich bin seit sieben Monaten in Berlin, und die Stadt hat mich umarmt. Ich habe immer gedacht, dass Musik nur an einem Ort überleben kann, wo es Leute gibt, die Lust haben, sie zu hören. Und das ist für mich Berlin. Das erste Konzert, dass ich hier gespielt habe, war in einer Weinbar in Prenzlauer Berg. Als ich angefangen habe zu spielen, haben die Leute aufgehört zu reden und zugehört. Das kannte ich so nicht. Vielleicht ist das nicht typisch für Deutschland, aber so habe ich dieses Land kennengelernt.

Ich komme aus einem sehr kleinen Ort in Sizilien und habe in Palermo Kunstgeschichte studiert. Sizilien ist schön für den Urlaub, aber für Künstler gibt es dort keine Orte, um zu wachsen. Klar, in Palermo gibt es auch viele tolle junge Menschen, und irgendwann wird die Zeit für Palermo kommen – vielleicht in zehn oder 15 Jahren. So lange will ich nicht warten.

Für mich ist Berlin ein Symbol für unsere Generation. Wenn du eine Geschichte über unsere Generation erzählen willst, dann musst du nach Berlin gucken. Wenn ich ein Lied komponiere, dann ist das wie der Versuch, ein Foto von unserer Gegenwart zu schießen. Berlin ist für mich der perfekte Ort dafür. Die Menschen hier sind so unterschiedlich und so mutig. Ich habe Deutsch gelernt, weil ich der Stadt etwas zurückgeben will und weil ich die Interaktion brauche. Es gibt aber auch Seiten, mit denen ich nichts anfangen kann. Es geht viel um elektronische Musik, aber ich mag das Gemütliche hier, die Bars mit den dunklen Holztresen. Für mich klingt Berlin nach Folk.

Musikstil: Gypsie Jazz & Folk; Auftritt am 21.Juni, 21 Uhr, in der Moving Poets Novilla, Hasselwerderstraße 22 in Niederschöneweide

Martyna Kubicz aka MIN t, Polen

Ich habe mit sieben Jahren angefangen, Konzerte zu spielen. Es war immer mein Traum, irgendwann in Berlin zu leben und Musik zu machen. Ich habe mir das natürlich viel zu romantisch vorgestellt – jeden Abend tolle Konzerte sehen und die Nächte im Berghain verbringen. Als ich dann mit 20 von Breslau hierher gezogen bin, war es doch nicht so bunt und einfach, wie ich mir das vorgestellt hatte. So ein Neuanfang in einer Stadt, in der du niemanden kennst und die Sprache nicht sprichst, hat mich eingeschüchtert. Und dann bist du auch noch in einer Stadt, wo es so viele tolle Musiker gibt. Du musst dich behaupten und sehr hart arbeiten. Als osteuropäische Musikerin ist man außerdem nicht unbedingt auf dem Radar, auch wenn sich das langsam ändert. Mein Ziel ist es, als polnische Musikerin in Deutschland Erfolg zu haben.

Nie ohne mein Cello. Mit 17 Jahren kam Faris Amin aus Ramallah nach Berlin, um an der Barenboim-Said-Akademie Cello zu studieren.
Nie ohne mein Cello. Mit 17 Jahren kam Faris Amin aus Ramallah nach Berlin, um an der Barenboim-Said-Akademie Cello zu studieren.

©  Thilo Rückeis

Das Gute an Berlin ist, dass die Leute offen sind und immer nach neuer Musik suchen. Ich komme eigentlich vom Elektro, aber in Berlin hat sich mein Stil noch einmal verändert, mit mehr Elementen von Jazz und R&B und HipHop. Das gehört auch zu dieser Stadt, sie lässt dich so sein, wie du bist. Wenn ich aus meinem Fenster gucke, dann ist da ein Park, da sitzen alte Leute herum, Kinder spielen, und ein paar Junkies rauchen einen Joint. Irgendwie schaffen es die Leute, friedlich zu koexistieren.

In Polen ist die Atmosphäre gerade eine völlig andere. Das war auch ein Grund, warum ich nach Berlin gezogen bin. Ich mache mir um die Freiheit von Künstlern in Polen Sorgen, viele werden jetzt schon ihrer Stimme beraubt. Berlin ist für mich auch eine Flucht davor. Und trotzdem hoffe ich, dass es sich in Polen wieder zum Guten wendet.

Musikstil: Elektro-Pop;Auftritt am 20. Juni, 21.15 Uhr, in der Freiheit 15 in Köpenick

Adelle Nqeto, Südafrika

Ich hätte nie gedacht, dass ich die Welt auf Grund meiner Musik bereisen werde. Ich habe in Pretoria Politik studiert und dachte immer, dass ich deswegen irgendwann die Möglichkeit haben werde herumzureisen. Dann kam es aber anders. Letztes Jahr war ich für ein Künstlerstipendium vom Goethe-Institut für zehn Tage in Berlin. Ich mochte die Stadt sofort und bin dann im Winter hergezogen. In Südafrika ist die Musikszene ziemlich klein, und mir war klar, dass ich das Land verlassen muss, wenn ich weiterkommen will. Außerdem ist es in Südafrika schwierig, mit Kunst oder Musik Geld zu verdienen.

Wenn du hier jemandem sagst, dass du Musikerin bist, ist niemand überrascht. In Südafrika kommt da immer sofort die Frage: „Ok, aber was ist denn dein richtiger Beruf?“ Ich glaube, in Deutschland wird die Kunst auch deswegen mehr wertgeschätzt, weil die Menschen die Kapazität dafür haben. Das ist eine ökonomische Frage. In Südafrika sind die Leute sehr damit beschäftigt, ihr Leben zu bestreiten. Viele meiner Freunde hätten gerne eine künstlerische Richtung eingeschlagen, sind dann aber doch in einen klassischen Beruf gegangen, weil es einfach viel zu riskant ist.

Martyna Kubycz aka MIN_T aus Polen, Künnstlerin bei der Fête de la Musique.
Martyna Kubycz aka MIN_T aus Polen, Künnstlerin bei der Fête de la Musique.

© Credit: Andreas Labes.

Deswegen hat es mich total überrascht, wie gut man in Deutschland als Künstlerin in den bürokratischen Prozess eingebunden ist. Dass ich vor einem Konzert erst mal ein Gema-Formular ausfüllen muss und das System wirklich funktioniert, finde ich super. Das zeigt auch, dass der Job als Künstler ernst genommen wird und eine Legitimität hat. Aber Berlin hat auch seine Tücken. Du musst hier ziemlich genau wissen, was du willst, sonst wirst du abgelenkt. Ich kenne so viele Leute, die mit einer Idee kamen und dann doch in einem ganz anderen Bereich gelandet sind. Ich glaube, es hilft mir sehr, dass ich genau weiß, was ich will.

Musikstil: Folk-Pop; Auftritt am 21. Juni, 20.30 Uhr, im Be’kech Anticafé, Exerzierstraße 14 in Wedding

Emma Elisabeth, Schweden

Berlin ist zwar nicht weit weg von Schweden, aber es könnte kaum unterschiedlicher sein. Ich habe drei Jahre in Stockholm gelebt, die Stadt ist aufgeräumt und unfassbar schön. Stockholm gibt dir ziemlich genau vor, wie du zu sein hast. Es gibt einen akzeptierten Rahmen, in dem du existieren musst. Einfach das totale Gegenteil von Berlin. Hier fühle ich mich freier. Wenn ich mir morgens überlege, als Einhorn rauszugehen, dann würde das niemanden interessieren.

Ich bin 2010 nach Berlin gekommen und habe gleich eine Agentin gefunden. Das war der Anfang von allem. Du hast hier eine sehr kreative Gemeinschaft, man lernt ständig tolle Künstler kennen, das ist etwas, was in Stockholm so nie passieren würde. Wenn du in Berlin ein Konzert spielst, kannst du davon ausgehen, dass die Leute dir wirklich zuhören, das Publikum ist respektvoll, und das gilt für alle Genres. Ich würde sagen, in dem Punkt ist sich das schwedische und deutsche Publikum sehr ähnlich.

Berlin ermöglicht es dir, viel Zeit in deine Musik zu investieren. Würde ich in London leben, müsste ich mindestens noch drei Part-Time Jobs zusätzlich machen. Ich arbeite nebenbei als Musiklehrerin und bin so in der Lage, die Musik in mein Leben zu integrieren, das ist eine Besonderheit. Natürlich wird Berlin auch immer teurer, aber ich habe einen tollen Proberaum in Marzahn und das ist ein Luxus, den ich sehr zu schätzen weiß.

Musikstil: Indie-Pop; Auftritt am 21. Juni, 19 Uhr und 21 Uhr, im Bergschloss, Kopfstraße 59 in Neukölln

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Eleonora Reyes aka GOTOPO, Venezuela

Wenn du in Lateinamerika als Mensch mit afrikanischen und indigenen Wurzeln aufwächst, dann wird dir immer wieder suggeriert, dass du nicht gut bist, nicht schön. Das führt dazu, dass man anfängt, das selbst zu glauben. In so einem Umfeld Stolz und einen eigenen Stil zu entwickeln, ist schwierig. Das war auch der Grund, warum ich sehr weit weg gehen musste, um meinen Weg als Musikerin gehen zu können. Die Musikszene in Lateinamerika funktioniert außerdem ganz anders als hier: In den Texten muss es um Romantik gehen oder um Liebe.

Das ist zwar schön, aber ich passe da nicht rein. In meiner Musik beschäftige ich mich mit meinen Wurzeln, meinen Vorfahren, meiner Herkunft und all dem Wissen, was verloren gegangen ist. Ich habe dafür den Begriff „Ancestral Popmusik“ gewählt. Ich wusste, dass das Thema Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit verdient, und dass Berlin ein guter Ort dafür ist. Wenn ich also sage, dass ich mich in Berlin wie ein „Niemand“ fühle, dann meine ich das als etwas Positives. Es fühlt sich gut an, nicht sofort in eine Kategorie gepackt zu werden.

Auch Adelle Nqeto aus Südafrika nimmt an der Fête de la Musique teil.
Auch Adelle Nqeto aus Südafrika nimmt an der Fête de la Musique teil.

©  Susan van Tonder

In Berlin hat mich erstaunt, wie politisch die Menschen sind und wie direkt der Weg von einer politischen Diskussion hin zu Demos und politischen Aktivitäten ist. Das ist toll. In Venezuela ist die Situation kompliziert. Sich politisch zu äußern, ist viel schwieriger, weil du immer mit Konsequenzen rechnen musst.

Musikstil: Ancestral Pop; Auftritt am 21. Juni, 21.15 Uhr, im Be’kech Anticafé, Exerzierstraße 14 in Wedding

Faris Amin, Palästina

Ich kam 2015 aus Ramallah nach Berlin, um hier an der Barenboim-Said-Akademie Cello zu studieren. Ich wusste nichts über die Stadt und wollte ursprünglich eigentlich nicht hier her. Der Kulturschock war riesig. Ich war erst 17, und mich hat die plötzliche Freiheit hier in Berlin überfordert. Ramallah ist ein komplizierter Ort, politisch und sozial. Die Stadt ist voll mit verrückten Gegensätzen. Cello zu spielen, war für mich eine Art, meinen Frieden zu finden. Die Musik hat mir eine eigene Stimme gegeben.

Berlin ist ganz anders. Das hat mich anfangs überfordert. Mittlerweile sehe ich die Freiheiten, die ich hier habe, als etwas Positives. Seitdem ich die Sprache spreche, fühle ich mich sehr viel mehr angekommen. Ich habe mich schon immer für Musik und Kunst außerhalb der Klassik interessiert, und Berlin war ein guter Ort, dem nachzugehen. Ich habe mich selbst herausgefordert, um mit anderen Künstlern aus ganz anderen Gebieten zu kollaborieren.

In Berlin hast du die Möglichkeit, Menschen zu begegnen, die anders sind als du selbst und ich glaube, das hat immer einen positiven Einfluss auf einen. Die Stadt hat mir außerdem eine neue Form von Hoffnung gegeben. Zu wissen, dass in dieser Stadt auch mal eine Mauer stand und Berlin heute so ist, wie es ist, mit Menschen aus der ganzen Welt, gibt mir Hoffnung für Palästina und die anderen Orte, die Konflikten ausgesetzt sind.

Musikstil: Experimentelle arabische Musik; Auftritt am 21. Juni, 19 Uhr, im Be’kech Anticafé, Exerzierstraße 14 in Wedding.

Antonia Märzhäuser

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