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Ingenieur und Physiker Frank Mirtsch entwickelt seit 1976 speziell gewölbte Bleche. Einige findet man in Modellen von Miele-Waschmaschinen. Jetzt hat er ein neues Patent, das er Hausgeräteherstellern zeigen will.

© Kai-Uwe Heinrich

Professor aus Pankow: Der Mann, der die Waschmaschine revolutionierte

Der Physiker und Ingenieur Frank Mirtsch aus Berlin-Pankow hat sein Berufsleben speziellen Wölbungen für Bleche gewidmet. Ein Besuch in seiner Werkstatt.

Auf den ersten Blick sind innovative Ideen oft unsichtbar. Im Alltag verstecken sie sich in Deckenlampen, Auspuffen oder Waschmaschinentrommeln. Die Trommeln der Firma Miele haben eigentümliche Dellen – damit schleudert die Maschine angeblich schneller und schont die Wäsche.

Entdeckt hat diese Technik kein hundert-köpfiges Forschungsteam im Silicon Valley, sondern der Physiker und Unternehmer Frank Mirtsch und seine „Dr. Mirtsch Wölbstrukturierung GmbH“ in Pankow. Das Unternehmen produziert Bleche, Pappen und Kunststoffe, die eine besondere Struktur aus Sechsecken oder Würfeln haben.

In der Berliner Straße, Tramstation Masurenstraße, vorbei am Gebrauchtwagenhändler, sitzt Mirtsch mit seinem Familienunternehmen. Im Büro: Kaffee, Kekse und Blechkonstrukte in allen Formen. Seit 1993 vertreibt Mirtsch von hier seine Materialien an größere und kleinere Abnehmer.

Daimler verbaut das Sechseck-Blech in Autos genauso wie Siteco in Lampen. Auch das Dach des Sportstadions in Odessa besteht daraus. Warum entscheiden sich derartig verschiedene Unternehmen für ein und dasselbe Material?

Viele Vorteile bei gewölbten und gedellten Blechen

Zum einen sind strukturierte Bleche stabiler als glatte. Das macht sie ressourcenschonend – sie können dünner sein und den gleichen Effekt erzielen. Außerdem lärmen sie weniger und blenden nicht, wenn Licht auf sie fällt. Das Dach des Sportstadions in Odessa soll resistent gegen Hagel und leichter als glattes Blech sein, außerdem soll es vorbeiziehende Flugzeuge nicht blenden.

Mirtsch ist Forscher durch und durch. Ausladend spricht er über die Überschneidungspunkte von Philosophie und Physik: „Man muss dem System Freiheit geben“, sagt er immer wieder. Was ein wenig nach Revolution klingt, ist tatsächlich schwer formellastig. Mirtsch erklärt, dass die Wabenform nicht durch eine Presswalze entsteht, sondern durch Überdruck. Andere Firmen hätten versucht, die Strukturen mithilfe von Pressen nachzuahmen – bei Weitem nicht so erfolgreich.

Trommel einer Waschmaschine mit den patentierten Blechen der Dr. Mirtsch Wölbstrukturierung GmbH aus Berlin Pankow. Gründer und Inhaber Prof. Dr. Frank Mirtsch entwickelt diese Strukturen auch für Fassaden oder Autoteile zum Beispiel.
Trommel einer Waschmaschine mit den patentierten Blechen der Dr. Mirtsch Wölbstrukturierung GmbH aus Berlin Pankow. Gründer und Inhaber Prof. Dr. Frank Mirtsch entwickelt diese Strukturen auch für Fassaden oder Autoteile zum Beispiel.

© Dr. Mirtsch Wölbstrukturierung GmbH

„Außerdem sparen wir Energie, da sich das Blech von allein wölbt“, sagt Mirtsch. Im Wölbungsversuch wird ein hohler Blechzylinder über eine Spirale aus flexiblem Material gespannt. Dann wird Überdruck auf das Metall ausgeübt. Da die Spirale, die das Blech stützt, flexibel ist, bildet es von selbst eine sechseckige Struktur aus. „Wir versuchen, die Natur nachzuahmen“, sagt Mirtsch. Auch Schildkrötenpanzer bilden die Sechseckstruktur von allein und sind dadurch besonders stabil.

Auch kleine Firmen können Geld für Forschung bekommen

Um seine Forschung finanzieren zu können, ist Mirtschs Firma, wie etwa 20.000 andere kleinere und mittelständische Unternehmen, zusammengeschlossen im Forschungsnetzwerk Mittelstand der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen Otto von Guericke e.V. (AiF).

Die Unternehmen erhalten Förderung für ihre Projekte, bereitgestellt durch das Bundeswirtschaftsministerium. Außerdem profitieren sie untereinander von ihrem Erfahrungsschatz und tauschen sich über Ergebnisse untereinander aus. Der Fachbegriff dafür nennt sich „vorwettbewerbliche industrielle Gemeinschaftsforschung“ (IGF), das Konzept aus Deutschland ist weltweit einzigartig.

Derzeit fördert das Ministerium die AiF mit etwa 169 Millionen Euro pro Jahr. 500 Forschungsvorhaben bewilligt sie damit jährlich. Um 300 weitere, die bereits befürwortet sind, finanzieren zu können, wünscht sich die AiF allerdings mindestens 210 Millionen von der Bundesregierung.

Foto: promo
Aus dem Archiv von 2006: Waschmaschinenenmontage bei Bosch-Siemens-Hausgeräte-Werk in Spandau (BSH). Heute gehört BSH dem Bosch-Konzern allein. An dem Standort wird fast nur noch geforscht und entwickelt. Die Montage findet unter anderem am BSH-Standort Nauen im Havelland statt.

© promo

Frank Mirtsch forscht aktuell an drei Vorhaben und sucht neue Industriepartner. Seine großen Entdeckungen machte er aber bereits 1976 und 1992. Nach seinem „handfesten“ Maschinenbaustudium zog es Mirtsch zur Physik. Er arbeitete an seiner Doktorarbeit, als in einem wichtigen Experiment eine physikalische Reaktion entstand.

Druck wirkte auf einen dünnen Kupferzylinder, der von innen mit Ringen abgestützt war. Die Wand dellte sich ein, das Experiment war hinüber – und vier Monate Arbeit dahin. „Meine Frau wurde mit ihrer Doktorarbeit schneller fertig als ich“, sagt Mirtsch.

Es dauerte mehr als zehn Jahre, bis Mirtsch wieder an seinen Blechen forschte. In der Zwischenzeit arbeitete er in der Industrie, beschäftigte sich in den 80er Jahren in Bottrop mit der Ölgewinnung aus Kohle – ein Vorhaben, das in den 90er Jahren wegen fehlender Rentabilität eingestellt wurde.

Schließlich wurde er Professor für Thermische Verfahrenstechnik an der TFH heute Beuth Hochschule für Technik in Berlin. „Es fehlte mir, dort forschen zu können“, sagt Mirtsch. Dann erinnerte er sich an seine Entdeckung. Er tüftelte und experimentierte, bis er die bestimmenden Faktoren für den Wölbungsprozess auf eine Formel bringen konnte.

Heute hat die Dr. Mirtsch Wölbstrukturierung GmbH mehr als 30 Patente angemeldet. Nachdem auf einer Messe in Hannover 1992 ein Vertreter von Miele auf seine Produkte aufmerksam wurde, nahmen Mirtschs Geschäfte Fahrt auf. 1992 gründete er die Firma, heute liefert er die gewölbten Strukturen weltweit aus. Entwickelt und produziert wird aber immer noch in Pankow.

In Spandau tüfteln 450 Forscher an Waschmaschine und Trockner

Gleichwohl ist er in Berlin mitnichten allein auf diesem sehr speziellen Feld der Industrie unterwegs: Im "Technologiezentrum für Wäschepflege" in der Spandauer Siemensstadt entwickelt Europas größter Haushaltsgerätehersteller BSH Waschmaschinen und Wäschetrockner für den Weltmarkt. Das Unternehmen (früher Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH) mit Zentrale in München beschäftigt knapp 61.000 Mitarbeiter und betreibt 40 Fabriken in Europa, den USA, Lateinamerika und Asien.

In Berlin arbeiten immerhin rund 950 Mitarbeiter, davon 450 meist Hochqualifizierte mit 26 Nationalitäten in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen.

Dazu kommen rund 100 Studierende. In dem Technologiezentrum laufen mehr als 1000 Waschmaschinen rund um die Uhr. Mit deren Abwärme werden Gebäude beheizt. Es geht um Einsparung weniger Tropfen Wasser und Kilowattstunden Strom. Einige der Waschmaschinen werden in dem anderen BSH-Standort der Region, in Nauen im Kreis Havelland, endmontiert. Mitarbeit: Kevin P. Hoffmann

Anima Müller

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