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Ich war ein Berliner. Nun hat nach David Bowie auch Iggy Pop einen Song voller Erinnerungen an seine Zeit in der Mauerstadt geschrieben.

© Rosval/dpa

"Post Pop Depression" und Berlin: Der Champagner war Iggy Pop zu teuer

In seinem neuen Album macht es das alte Rock-Reptil dem früheren Kumpel David Bowie nach und erinnert sich an das frühere West-Berlin.

Hat nun auch er Heimweh nach dem Kurfürstendamm? Iggy Pop, das Rock-Reptil, der wildeste der Wilden? Berühmt-berüchtigt für seine ekstatischen Bühnenshows, noch in fortgeschrittenem Alter mag er vom Stage Diving nicht ganz lassen, auch wenn dabei schon mal er selber oder gar ein Fan zu Schaden kommt. Und ausgerechnet er ein später Leidensgenosse der sich einst nach Berlin verzehrenden Hildegard Knef?

1977 war Iggy Pop mit David Bowie für zwei Jahre nach Berlin gezogen, schlug gemeinsam mit dem Kumpel in der Schöneberger Hauptstraße 155 sein Lager auf, besang hier wie Bowie tolle Platten – und kann offenbar noch heute, rund 40 Jahre später, von der Stadt an der Spree nicht lassen. Wie Bowie in seinen letzten Jahren.

Am Freitag kam Iggy Pops neues Album auf den Markt, „Post Pop Depression“, eine Art Abrechnung womit auch immer, wie der Titel suggeriert. Neun Songs sind darauf zu hören, der siebte aber muss hier in Berlin besonders aufhorchen lassen: „German Days“. Noch nicht im Titel, aber später im Song wird Berlin explizit genannt, in einer einigermaßen überraschenden Assoziationskette: „Berlin and Christ / Champagne in ice“.

Das Haus in der Schöneberger Hauptstraße 155, das seit dem Tod David Bowies zur Erinnerungsstätte wurde, war ab 1977 für zwei Jahre auch Iggy Pops West-Berliner Adresse.
Das Haus in der Schöneberger Hauptstraße 155, das seit dem Tod David Bowies zur Erinnerungsstätte wurde, war ab 1977 für zwei Jahre auch Iggy Pops West-Berliner Adresse.

© Thilo Rückeis

Berlin? Christus? Angesichts des schwierigen Standes, den die christlichen Kirchen in der deutschen Hauptstadt, zumal ihrem östlichen Teil, haben, keine sehr naheliegende Verbindung. Sie hat immerhin den Vorteil, sich mit der folgenden Songzeile nicht ideal, aber akzeptabel zu reimen.

Dieses quasi nur hingetupfte Bild auf Eis lagernder Flaschen charakterisiert Berlin nach Iggy Pops Meinung offenbar besonders gut. Gleich viermal taucht es in dem Song auf, wird nur einmal für den „Christ“-Reim bemüht, aber gleich dreimal mit „overpriced“ parallelisiert. Berlin – das ist offenbar nicht länger das preiswerte, eher dem Gersten- als dem Rebensaft zugeneigte West-Berliner Ökotop der späten siebziger Jahre, das der Sänger einst durchstreifte. Die zitierten Verse scheinen eher auf das aus der Wende entstandene Neue Berlin der Gegenwart zu zielen, der steigenden Mieten, der überteuerten Dienstleistungen, des überzüchteten Glamours.

Ein böser Anti-Song also zu David Bowies „Where are we now?“ von dessen vorletzten Album „The Next Day“? Bowies melancholische Erinnerung an das versunkene West-Berlin mit dem alten Potsdamer Platz, dem KaDeWe und dem „Dschungel“ in der Nürnberger Straße, dem Beschwören der Menschenmassen auf der Bösebrücke am Tage des Mauerfalls. Man könnte dies meinen, hätte Iggy Pop dann aber wohl gründlich missverstanden, dem der nachdenkliche Blick zurück ebenfalls nicht fremd ist, nur präsentiert er ihn eben nicht gefühlvoll wie Bowie, sondern hart und schmutzig, voller „Post Pop Depression“.

Das „Speak easy“ der ersten Strophe, die etwas zwielichtige Bar, in der man nach dem Klopfen erst mal durch ein Guckloch in der Tür beäugt wurde – das spielt keineswegs auf die Türsteher-Kontrollen von Berghain & Co. an, vielmehr hatte Iggy Pop die alte, travestielastige „Lützower Lampe“ in Charlottenburg vor Augen, wie er unlängst im „Zeit-Magazin“ verriet: „Eine kleine Cabaret-Bar mit gutem Bier und zehn Holztischen, wo der Barmann, der Türsteher, und der Typ auf der Bühne ein und dieselbe Person waren.“ Und der „glittering Champagne on ice / garish and overpriced“, das beziehe sich auf den guten alten Rolf Eden, den „Nachtclub-Tycoon“, den „Donald Trump Deutschlands“, wie Iggy Pop enthüllt.

"Ein Spagat zwischen Rolf Eden und Papst Benedikt"

Für ihn, so beschreibt er es, sei das ganze Leben „ein Spagat zwischen Rolf Eden und Papst Benedikt“ gewesen. Denn auch Benedikt gehört für den „Godfather of Punk“ zu Deutschland – wie das Wort „Schnellimbiss“, für Iggy Pop „ein tolles deutsches Wort und sehr retrospektiv“. Auf solch einen Vierzeiler muss man erst mal kommen: „Schnellimbiss / And Pope Benedict / Brilliant brains / And the end of Pain“. Offenbar Ergebnis eines freien, wodurch auch immer stimulierten Assoziierens, wobei „the end of pain“ der „Titel eines wundervollen Buches eines guten deutschen Arztes in Düsseldorf“ sei. Eines Spezialisten für Knochenprobleme, der sich, so Patient Iggy, auch um ihn kümmere und im übrigen „ein Neffe von Papst Benedikt“ sei.

So zielt also der Song „German Days“ keineswegs allein auf die Gegenwart Deutschlands und Berlins, lenkt vielmehr den Blick zugleich zurück in die Vergangenheit, und „diese Balance ist mir wichtig“, sagt der Ex-Berliner.

Der in seinen Mauerstadt-Jahren liebend gerne S-Bahn fuhr und besonders gerne nach Wannsee. Ja, sein größter Hit sei geradezu „eine Hymne auf die Berliner S-Bahn“, die Fahrten hätten ihn zu dem Song inspiriert, wie vor einigen Jahren Ester Friedmann, in den späten Siebzigern Iggys Freundin, wiederum im „Zeit-Magazin“ verriet. „The Passenger“ – ein simpler Bahnkunde.

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