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Porno-Regisseurin Erika Lust: "Frauen sind keine Objekte"

Die Filmemacherin Erika Lust zeigt Sex, wie er wirklich ist. An Berlin schätzt sie die queere Szene. Ihre „X-Confessions“ sind Teil des Berlinale-Programms.

Im Soho-House, Berlins Hotel für die urbane Elite, herrscht eine geheimnisvolle Stille, zumindest oben auf den Gängen. Eine Putzfrau klappert leise mit Sektflaschen, da öffnet sich eine Zimmertür. Erika Lust setzt unversehens zur Umarmung an. Ihr Mann kocht einen Tee und macht es sich auf dem Hotelbett bequem, während wir auf der Couch Platz nehmen. Es geht hier um ein Interview zur Berlinale. Denn Erika Lust, unabhängige Pornofilmmacherin aus Barcelona, ist Teil des Festivalprogramms: mit zwei ausverkauften Vorstellungen ihrer Sexfilmreihe „X-Confessions“ am Montagabend im Babylon und einem Vortrag vor internationalen Filmemachern am Mittwoch auf dem Campus „Berlinale Talents“. Erika Lust sagt, sie wolle nichts weniger als die Pornografie neu erfinden.

Erika Lust, wie heißen Sie wirklich?
Erika.

Geht's noch weiter?
Im Ausweis steht Hallqvist; ich stamme ursprünglich aus Schweden. Lust ist der Name meiner Firma; und er transportiert etwas Besonderes für die Leute.

Was sollen die Leute denn denken?
Dass Lust etwas Schönes ist; dass Sex etwas Tolles ist – und das man ihn zusammen wirklich genießen sollte.

Zweifelt denn jemand daran?
Schauen Sie sich die populären Pornoseiten an. Die Filme haben so viel mit Erniedrigung zu tun, insbesondere von Frauen. Sie sind nur dafür da, Männer zu befriedigen. Aber sorry, das hat nichts mit meinem Sexleben tun. Ich möchte auch emanzipiert sein, wenn ich Sex habe.

Braucht Sex eine Revolution?
Es braucht eine neue Vision. Die Pornobranche ist wie die gesamte Filmbranche männerdominiert, nicht nur in den Clips. Sondern insbesondere im Geschäft. Etwa 80 Prozent der populären Sexfilmseiten gehören einer Gesellschaft namens MindGeek; und hier machen Männer Kasse.

Wir wollen aber eine neue Art von Pornografie etablieren, insbesondere in Europa. Aber wir werden im Internet geblockt: Auf Vimeo dürfen wir keine Trailer mehr zeigen, auch andere Plattformen sperren uns. Dabei wollen wir nur, dass auch Frauen Filme produzieren und ihren eigenen Blick auf Sex zeigen. Wir sind keine Objekte, die ihre Brüste in Bikinis auf Instagram zur Schau stellen.

Menschen machen das aber freiwillig. Dazu zwingt sie ja niemand.
Die Zensur findet im Kopf statt. Aber auch im Internet. Sobald sich Menschen natürlich zeigen, in ihrer normalen Nacktheit, werden Bilder gesperrt. Hinzu kommt: Viele Frauen sind schon als Kinder so erzogen worden, dass sie Männern gefallen sollen. Und als Erwachsene werden sie für ihre angeblich sexy Fotos mit Followern belohnt. Es wird Zeit, dieses Frauenbild in Frage zu stellen. Und über die eigene Sexualität nachzudenken.

Wie wollen Sie dazu anregen?
Viele Bilder, die wir in der Öffentlichkeit sehen, sind sexualisiert. Aber reden wir auch öffentlich darüber, welchen Sex wir wollen? Nein, es ist für viele immer noch eine schamvolle Sache. Weil uns schon als Kindern zugerufen wurde: Fass Dich dort nicht an, probier dies nicht aus! Meine beiden Kinder waren ganz überrascht, als ich ihnen erzählt habe, dass ich nicht nur zwei Mal im Leben Sex hatte, um sie zu zeugen. Sondern, weil es mir Spaß macht, mich und andere zu entdecken. Reden wir also mit unseren Kindern. Das wäre ein guter Anfang.

Was macht aus Ihrer Sicht einen besseren Sexfilm aus?
Ein Film ohne Gewalt, auch ohne angedeutete. In unserem Medienkonsum ist Gewalt sehr stark akzeptiert – überall kann man Mord und Totschlag sehen. Warum gibt es nicht viel mehr Filme, in denen einfach guter Sex gezeigt wird? Und es geht ja nicht nur um die Sache selbst, sondern um Kommunikation: Wie reden die Personen miteinander, wie stellen sie einen Konsens her, wie interagieren sie? Guter Sex ist doch nicht, eine Frau mit einem großen Schwanz hart durchzunehmen. Und guter Sex ist auch nicht kategorisiert wie auf den ganzen Tube-Channels: Latinas, Asiaten, Schwarze. Das ist Rassismus.

In Berlin müssen Sie sich ja wohl fühlen. Hier gibt es jedes Wochenende sexpositive Partys oder Events. Nun sind Sie auch noch Teil der Berlinale.
In Berlin kann man freier sein als anderswo – seien Sie froh, dass Sie hier wohnen. Hier gibt es auch eine starke queere Szene, die die Öffentlichkeit mit anderen Sichtweisen auf Sexualität konfrontiert. Mit einem realistischeren Blick darauf.

In einem Film Ihrer Reihe fährt ein Paar in den Urlaub und trifft dort auf ein anderes Paar, das schon sexpositiv am Pool wartet. Sorry, aber ist das wirklich realistisch?
So etwas passiert nicht jeden Tag, schon klar. Mit realistisch meine ich auch etwas anderes: Details, wie der Sex abläuft. Dass eine Frau sich dabei auch mal selbst befriedigt – das ist ja keine Ausnahme und nicht schlimm. Viele Frauen kommen nicht allein deshalb, weil sie von einem ach so tollen Mann penetriert werden. Dass es oft anders läuft, wird nirgends gezeigt. Weil es nicht sein darf?

Polyamorie ist ein Thema bei vielen Filmen der Berlinale. Ist es überhaupt noch cool, nur Sex mit einem Partner zu haben?
Das kann jeder so machen, wie er oder sie möchte. Aber falls jemand nach vielen Jahren feststellt, dass man mal aus der Monogamie ausbrechen will, dann sollte man so frei sein dürfen, es zu tun.

Das war eher ein Nein.
Vielleicht.

Eine letzte Frage: Kann man, wenn man so viel über Sex nachdenkt und redet wie Sie, überhaupt noch einfach guten Sex haben?
Erika Lust lacht. Ihr Mann ruft vom Hotelbett rüber: Klar, gestern hier in diesem Bett!

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