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Trotziger Auftritt. Die Neonazis Sebastian T. (links) und Tilo P. im Amtsgericht Tiergarten

© Frank Jansen

Polizisten dürfen nur eingeschränkt aussagen: Richterin stoppt Hauptverhandlung gegen Neuköllner Neonazis

Die Serie rechter Anschläge in Neukölln ist nicht aufgeklärt, Sebastian T. und Tilo P. sind allerdings wegen Heß-Graffiti angeklagt. Doch der Prozess stockt.

Von Frank Jansen

Die Strafverfolgung der mutmaßlichen Serientäter in Neukölln bleibt mühsam. Das Amtsgericht Tiergarten setzte am Montag den gerade erst begonnenen Prozess gegen die Neonazis Sebastian T. (34) und Tilo P. (37) wegen Schmierereien aus, weil Polizisten nur eingeschränkt aussagen durften. 

Die Beamten hatten T. und P. im August 2017 wegen des Verdachts observiert, für viele rechtsextreme Angriffe in Neukölln verantwortlich zu sein. Seit 2016 wurden im Bezirk mehr als 70 einschlägige Straftaten verübt, darunter 23 Brandstiftungen. Die Serie wühlt Berlin auf, Polizei und Staatsanwaltschaft stehen unter Druck.

Bei der Observation bekamen die Polizisten immerhin mit, dass die Neonazis Parolen sprühten, mit denen Rudolf Heß, der Stellvertreter von Adolf Hitler in der NSDAP, als Märtyrer glorifiziert wird. 

Die rechte Szene behauptet, Heß sei am 17. August 1987 im Kriegsverbrechergefängnis Spandau ermordet worden. Seit vielen Jahren schmieren und demonstrieren Neonazis Mitte August, um an den Altnazi zu erinnern. Auch Sebastian T. und Tilo P. wurden offenkundig aktiv.

Polizei froh über "Zufallsfund"

Obwohl es sich bei den beobachteten Schmierereien von T. und P. nur um einen, wie es in der Polizeisprache heißt, „Zufallsfund“ handelte und kein härteres Delikt festgestellt wurde, waren die Sicherheitsbehörden froh, die Neonazis wenigstens wegen der Propagandastraftaten vor Gericht bringen zu können. 

In der Anklage sind zwölf Delikte genannt, zwei weitere wurden nicht zugelassen. Doch jetzt stockt der Prozess, vermutlich für mehrere Wochen. Richterin Marieluis Brinkmann will mit der Senatsinnenverwaltung über erweiterte Aussagegenehmigungen für die im Prozess geladenen Polizeizeugen sprechen. Sebastian T. und Tilo P., beide groß, kräftig und auch im Gerichtsgebäude aggressiv, konnten zurückfahren nach Neukölln.

Observation lief fünf Monate

Die Observation von T. und P. hatte im Mai 2017 begonnen und lief fünf Monate. In der Nacht zum 19. August beobachteten die Beamten, wie die Neonazis in den Ortsteilen Gropiusstadt, Rudow und Buckow reihenweise Parolen sprühten und Aufkleber anbrachten. Am Montag schilderte ein Polizist vier Delikte.

Der Beamte und seine Kollegen sahen, wie Sebastian T. gegen ein Uhr früh im Einfahrtsbereich eines Supermarktes „MORD AN HESS!“ sprühte. Tilo P. habe die Straße „aufmerksam in Augenschein genommen“, sagte der Polizist.

Die Neonazis fuhren mit ihrem Pkw weiter, die Polizisten hinterher. Der Zeuge berichtete am Montag, T. und P. hätten an einem Reiterhof eine Parole zum Mord an Rudolf Heß gesprüht. Und mit einer Pappschablone das Konterfei des einstigen Nazi-Politikers. Anschließend seien in der Hugo-Heimann-Straße an einem Parkhaus wieder das Abbild von Rudolf Heß und eine Mordparole gesprayt worden. 

Es folgte die vierte Tat, nach Aussage des Polizeibeamten sprayte Tilo P. an ein Haus der evangelischen Gemeinde einen Mordspruch sowie das Konterfei von Heß durch die Schablone.

Richterin mit der Geduld am Ende

Auf die Frage der Richterin, mit welchen Kollegen er unterwegs war, antwortete der Polizist nicht und verwies auf die beschränkte Aussagegenehmigung. Marieluis Brinkmann blickte skeptisch, beim nächsten Zeugen war sie mit ihrer Geduld am Ende. 

Der Polizeibeamte konnte nur berichten, dass Sebastian T. in der Johannisthaler Chaussee an einem Glascontainer einen Aufkleber der AfD anbrachte und an einer Bushaltestelle einen Aufkleber „inhaltlich bezogen auf den Todestag von Rudolf Heß“. Mehr durfte der Beamte nicht sagen, obwohl er die ganze Nacht unterwegs war. Da reichte es der Richterin.

Brinkmann setzte den Prozess aus, zwei weitere Zeugen wurden ohne Aussage weggeschickt. Für die Richterin zeichnete sich zudem ab, dass weitere Polizisten auch nur einen Teil ihrer Erlebnisse berichten dürfen. Erst recht die geladenen Beamten, die als „codiert“ angekündigt sind. Die Namen werden durch Nummern ersetzt.

Gezerre um die Anklage

Die Polizei tut sich offenbar schwer, weil sie weder ihre Einsatztaktik mit mutmaßlich mehreren Observationsteams preisgeben will noch das Risiko eingehen möchte, die rechte Szene könnte Beamte enttarnen und bedrohen. Sie wären dann „verbrannt“. Angesichts der enorm personalaufwendigen Observationen von Extremisten, Terroristen und Schwerkriminellen würde jeder Ausfall eines Beamten die Polizei empfindlich treffen. Von der Senatsinnenverwaltung war am Montag keine Stellungnahme zu bekommen.

Das Verfahren wegen der Heß-Schmierereien war schon vor Prozessbeginn schwierig. Die Staatsanwaltschaft klagte T. und P. in 14 Punkten an, nur drei ließ das Amtsgericht Tiergarten im Januar zu. Bei diesen Straftaten hatten die Neonazis im Namen „HESS“ die Buchstaben SS als Doppelsigrune gesprüht. Das war das Symbol der Nazi-Organisation SS, die in Auschwitz und weiteren KZ Millionen Menschen ermordet hatte.
Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein. Im Juni ließ dann das Landgericht doch fast die komplette Anklage zu. Nur zwei Punkte wurden gestrichen. Da ging es um Aufkleber von AfD und NPD, die der Angeklagte Sebastian T. angepappt hatte.

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