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Polizeigeschichte: Vom Verbrecheralbum zur Fernsehfahndung

Am 1. April 1811 wurden die Kriminalermittler des Berliner Stadtgerichts der Polizei unterstellt – die Geburtsstunde der Kripo. Einige Meilensteine der Polizeigeschichte haben die Arbeit der Ermittler entscheidend beeinflusst.

An den Besuch im Polizeipräsidium am Alexanderplatz erinnerte sich Charlie Chaplin mit Schaudern. Auf Fotos, die ihn am 11. März 1931 mit dessen Chefs beim Tee zeigen, wirkt er entspannt, aber da stand ihm das Kriminalmuseum noch bevor: „Photographien von Ermordeten, Selbstmördern und menschlichen Entartungen und Abnormitäten jeder erdenklichen Art. Ich war dankbar, als ich das Gebäude verlassen konnte.“

Gäste aus Hollywood auf Visite bei der Polizei sind heute kaum vorstellbar. Chaplin aber, zur Premiere von „City Lights“ nach Berlin gekommen, reizte der Blick auf die dunklen Bereiche der Gesellschaft, den Zusammenhang von Armut und Verbrechen. Und es dürfte ihn der hervorragende Ruf der Berliner Polizei gelockt haben, den sie zur Weimarer Zeit gerade in der Verbrechensbekämpfung errungen hatte. Welch ein Unterschied zu den Anfängen der Kriminalpolizei, der in den ersten Jahrzehnten, ja man kann fast sagen, im ersten Jahrhundert ihres Bestehens ein erheblicher Mangel an Professionalität anhing. Und das lag nicht nur am zu geringen Personalbestand.

Der allerdings war zu Beginn winzig: Gerade mal sechs Mann war die erste Kriminalistentruppe der Berliner Polizei stark. Sie hatten auch schon vorher ermittelt – fürs Stadtgericht. Doch als dessen Präsident Dietrich Friedrich Karl von Schlechtendahl neuer Polizeichef wurde, befahl Friedrich Wilhelm III. mit Kabinettsorder vom 12. Februar 1811, dass die „kriminalpolizeylichen Geschäfte, mit den dazu bisher bestimmten Officianten, den sogenannten Kriminal-Kommissarien und Kriminal-Sekretairs, zur Polizey, wohin sie eigentlich gehören, übergehen.“

Das daraus folgende „Berliner Polizeireglement“ vom 1. April 1811, wie es meist genannt wird und das aktuell der Anlass ist für die Feiern zu „200 Jahre Kriminalpolizei“, war also ein Vertrag zwischen Polizei und Justiz über die künftige Kompetenzverteilung. Mehr eine Umstrukturierung als ein wirklicher Neubeginn – die erste von zahlreichen Reformen, mit denen der Staat die gerade in Zeiten sozialer und wirtschaftlicher Krisen steigende Kriminalität in den Griff zu bekommen versuchte. Zwar durften die Kriminalisten bei Observationen bald auch wie ihre heutigen Kollegen in Zivil auftreten, bei Bedarf ausgewiesen durch eine Medaille, den Vorläufer der Kripo-Marke. Aber bis zu modernen Strukturen war es noch ein weiter Weg, in dessen Stationen sich häufig die Wendepunkte der politisch-sozialen Entwicklung widerspiegelten.

So erforderte der nach der Revolution 1848 erfolgte Aufbau einer Schutzpolizei zugleich die strukturelle Arbeitsteilung zwischen ihr und der älteren Kriminalpolizei, ein immer aufs Neue, nie endgültig formulierter Dualismus. 1854 gelang es Wilhelm Stieber, dem ersten Chef der Berliner Kripo, diese zur eigenständigen Abteilung im Präsidium zu erheben. Kurz nach der Reichsgründung 1871 wiederum erhielten die Reviere der Schutzpolizei zusätzlich einen auf Kriminalität spezialisierten Kollegen.

In jüngerer Zeit reflektierte die Bildung des Landeskriminalamtes 1994 solch einen Wendepunkt: Unter dem jahrzehntelangen Vier-Mächte-Status war dies nicht möglich gewesen. Und die nächste Reform steht bereits bevor: Noch im Frühjahr sollen die auf Betrugsdelikte spezialisierten Beamten aus den Direktionen abgezogen und dem Landeskriminalamt zugeordnet werden, eine Zentralisierung, mit der man auf den Wandel in diesem Kriminalitätsfeld reagiert: Angesichts der Möglichkeiten des Internets spielt der klassische, örtlich begrenzt aktive Scheckbetrüger nur noch eine untergeordnete Rolle, wenngleich sein Delikt nicht ganz so antiquiert ist wie der um 1900 grassierende Paletotdiebstahl in Restaurantgarderoben. Auch Kriminalität ist eben Modeschwankungen unterworfen, wer raubt heute schon noch eine Bank aus.

Die Polizei versuchte diesen Variationen der kriminellen Energie zu folgen, ihnen auch vorzubeugen, mit unentwegt verfeinerten Methoden und Instrumenten. Anfangs bereitete allein schon die exakte Identifizierung der Straftäter Mühe. Seit 1876 gab es immerhin das „Verbrecheralbum“ mit Lichtbildern und Beschreibungen von Kriminellen. Damit war die Berliner Kripo führend in Deutschland. Die Anthropometrie, mit der sich Personen durch eine Reihe von Körpermaßen halbwegs zuverlässig identifizieren ließen, wurde aber 1896 in Berlin nur deswegen eilig eingeführt, weil Sachsen Gleiches plante und Preußen Erster sein wollte. Bei der Einführung der auf den Fingerabdruck setzenden Daktyloskopie 1903 aber lag Preußen knapp hinter Sachsen.

Bei anderen kriminalistischen Techniken hatte Berlin eindeutig die Nase vorn. 1902 wurde erstmals eine Mordkommission gebildet, zuvor war bei Kapitalverbrechen erst umständlich nach einem Bearbeiter gesucht worden. 1926 stellte die Kripo das vom Leiter der Mordinspektion Ernst Gennat ersonnene „Mordauto“ vor, einen auf die Bedürfnisse der Ermittler zugeschnittenen, mit allem erforderlichen Gerät ausgestatteten Wagen. Neu war auch die kriminalpolizeiliche Beratungsstelle, die 1921 ihre Arbeit aufnahm.

Ebenso wurde die erste kriminalistische DNA-Untersuchung Deutschlands in Berlin in Auftrag gegeben, 1988 bei den Ermittlungen zum Mord an der 21-jährigen Claudia Mrosek. Und auch die erste TV-Fahndung der Kriminalgeschichte fand in Berlin statt, am 7. November 1938: Tage zuvor war an der Straße nach Schwanenwerder ein Taxifahrer erschossen worden, der Täter hatte einen Mantel zurückgelassen. Theo Saevecke, Kommissar in Gennats Mordinspektion, hatte die Idee, den Mantel im Fernsehen zu zeigen. Nach Ankündigung der Sendung in der Presse waren die öffentlichen Fernsehstuben gut gefüllt, und tatsächlich meldete sich kurz danach ein Mann, der den Mantel als den eines Mitarbeiters erkannte. Ob sein Hinweis der Sendung zu verdanken war, blieb unklar, zumal das Bild recht verschneit gewesen sein soll. Doch so oder so: Ede Zimmermann war nur ein Epigone.

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