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Die "Meuterei" von innen.

© Christian Mang/REUTERS

Update

Polizei meldet 60 Festnahmen: So verlief die Räumung der Berliner „Meuterei“

Großes Polizeiaufgebot, viel Protest: In einer Stunde wurde die Kreuzberger Kollektivkneipe „Meuterei“ geräumt. Das Drumherum: Demos, Pyrotechnik, Autobrände.

Das Ende der „Meuterei“ war in einer Stunde erledigt, der Protest beschäftigte die Berliner Polizei noch den Rest des Tages und der Nacht: Am Donnerstagmorgen wurde die linke Kreuzberger Kollektivkneipe geräumt. Vor allem im Rahmen der Protestdemonstrationen hat es insgesamt 60 Festnahmen gegeben, wie die Berliner Polizei, die mit 1100 Beamt:innen im Einsatz war, am Freitag mitteilte.

Grund dafür seien unter anderem Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch sowie Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz. Bis zum späten Donnerstagnachmittag nahm die Polizei zunächst 36 Personen, darunter 14 Frauen und 22 Männer, vorläufig fest.

Am Donnerstagabend kamen dann bei zwei weiteren Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit der Räumung standen, 24 Festnahmen hinzu, wie eine Polizeisprecherin am Freitagmorgen sagte. Zudem habe es in der Nacht zu Freitag noch einzelne Sachbeschädigungen unter anderem an Fahrzeugen gegeben. Hier muss ein Zusammenhang aber noch geprüft werden.

In der Nacht zu Donnerstag hatte es auch schon mehrere Brandanschläge auf Autos und Vandalismus an Gebäuden gegeben, die möglicherweise im Zusammenhang mit der Räumung stehen. Am Reinickendorfer Ordnungsamt wurde ein Brandsatz entzündet.

Das seit 2009 existierende Lokal „Meuterei“ hat seit 2019 keinen gültigen Mietvertrag mehr, weswegen der Eigentümer im vergangenen Sommer vor dem Berliner Landesgericht einen Räumungstitel erwirkt hatte. Für die linke Szene ist der Fall der „Meuterei“ ein weiteres Symbol von Verdrängung und Gentrifizierung.

Die Polizei hatte sich auf massiven Widerstand vorbereitet: Um 8.06 Uhr betrat die Gerichtsvollzieherin das Haus in der Reichenberger Straße 58, begleitet von mehreren Polizist:innen. Kurz zuvor waren Einsatzkräfte mit Motorsägen und anderem Werkzeug durch die Tür verschwunden. Über den Hintereingang verschafften sie sich Zugang zu den Räumen. Bereits am Mittwochnachmittag hatten Einsatzkräfte die Straße weiträumig abgesperrt, es galt ein striktes Betretungs- und Versammlungsverbot.

Aus einer Dachgeschosswohnung dröhnt eine Vuvuzela

Der Protest formierte sich daher an den Rändern der Sperrzone: An der Kreuzung Reichenberger Straße, Ecke Lausitzer Straße, war gegen 7.30 Uhr ein Demonstrationszug mit mehreren hundert Menschen eingetroffen, der gegen sechs Uhr in Neukölln gestartet war.

Zu dem Protestzug aufgerufen hatte das Kollektiv der Kneipe „Syndikat“, die im vergangenen August geräumt worden war. „So eine Betreuung, fast eins zu eins, würden wir uns in Kitas und Krankenhäusern wünschen, nicht auf Demos“, kommentierte ein Mitglied des Syndikat-Kollektivs bei der Kundgebung die anwesenden Polizist:innen.

Polizeibeamte auf der Reichenberger Straße vor der "Meuterei".
Polizeibeamte auf der Reichenberger Straße vor der "Meuterei".

© Paul Zinken/dpa

Die Polizei sprach am Nachmittag von etwa 800 Demonstrierenden. Sprechchöre wie „Die Kneipen denen, die drin saufen“ und „Alle zusammen gegen die Räumung“ schallten auf die leere Straße vor der Kneipe.

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Auch direkte Anwohner:innen protestierten. Eine Frau trommelte aus ihrem Fenster lautstark auf einen Topf und beleidigte vorbeigehende Polizist:innen. Aus einer Dachgeschosswohnung dröhnte eine Vuvuzela. Bis auf einzelne Nebeltöpfe und Böller blieb es im Bereich vor der Kneipe weitgehend friedlich.

Polizeibeamte begleiten am Kottbusser Tor Demonstranten, die gegen die Räumung der Szene-Kneipe "Meuterei" protestieren.
Polizeibeamte begleiten am Kottbusser Tor Demonstranten, die gegen die Räumung der Szene-Kneipe "Meuterei" protestieren.

© Paul Zinken/dpa

Am Kottbusser Tor versuchten etwa zwei Dutzend Aktivist:innen, die Kreuzung zu blockieren und ein Banner zu entrollen. Die Polizei nahm mehrere Menschen fest. In der Kneipe selbst befanden sich zwei Frauen, die Polizeibeamte kurz nach Beginn der Räumung herausführten. Der Polizei zufolge wurden sie kurzzeitig festgenommen, um ihre Personalien festzustellen. Sie seien wegen Hausfriedensbruchs angezeigt und anschließend wieder entlassen worden.

Handwerker vernageln Türen und Fenster mit Spanplatten

Um kurz nach neun Uhr war die Räumung abgeschlossen. Die Proteste am Rande der Sperrzone dauerten bis etwa elf Uhr an. Kurzzeitig formierte sich ein spontaner, angemeldeter Demonstrationszug, drehte eine Runde um die Sperrzone. An der Kreuzung von Reichenberger und Manteuffelstraße trafen die etwa 150 Demonstrierenden auf eine Polizeikette, die den Weg zur Sperrzone blockierte. Es blieb allerdings friedlich.

Gegen zwölf Uhr gab die Polizei die gesperrte Zone wieder frei. Fast zeitgleich vernagelten Handwerker die Türen und Fenster der „Meuterei“ mit Pressspanplatten, davor positionierten sich einige Mannschaftswagen der Polizei.

Bürgermeisterin und Bezirkspolitik erklären sich solidarisch

Monika Herrmann (Grüne), Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, sagte dem Tagesspiegel, dass das Bezirksamt die Räumung der „Meuterei“ und anderer alternativer Lebensorte bedauere. „Orte wie die Meuterei gehören ebenso zum Bezirk wie Wagenplätze und Hausprojekte. Es ist bitter, dass wir keine Handhabe haben, um den Fortbestand zu sichern.“ Ähnlich hatte sich auch die Mehrheit der Bezirksverordnetenversammlung am Mittwochabend positioniert.

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Mehrere Abgeordnete der Linke waren als Beobachter:innen bei der Räumung anwesend, darunter die Landesvorsitzende Katina Schubert und der Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser. Meiser kritisierte die Sperrzone am Rande der Kundgebung als „unverhältnismäßig“. In Zukunft müssten gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um kleine Gewerbebetriebe wie die „Meuterei“ besser zu schützen. Insgesamt waren laut Polizei am Donnerstag rund 1100 Beamt:innen im Einsatz, sowohl vor der Kneipe als auch im übrigen Stadtgebiet.

Hunderte Autonome ziehen bei „Tag X“-Demo durch Berlin

Nach Angaben von Sprecherin Anja Dierschke waren unter den 36 Festnahmen am Donnerstag auch die beiden Frauen in der Kneipe. Den anderen Personen werden unter anderem versuchte schwere Körperverletzung, Beleidigung oder Sachbeschädigung vorgeworfen.

Für Donnerstagabend riefen Autonome zu einer „Tag X“-Demo gegen die Räumung auf. Sie kündigten an, „Chaos stiften“ zu wollen. Unzählige Polizeiautos standen am Abend in der Eberswalder Straße bereit, auch in den Nebenstraßen. Gegen 20 Uhr setzte sich der Zug mit Rufen wie „Bullenschweine raus aus den Kiezen“ in Bewegung. Die Polizei zählte etwa 900 Teilnehmende, andere Schätzungen gingen von 1500 bis 2000 Menschen aus.

Die autonome Demo am Donnerstagabend in Berlin.
Die autonome Demo am Donnerstagabend in Berlin.

© Christian Mang/REUTERS

Die Route sollte im Zickzack durch Prenzlauer Berg zum Alexanderplatz führen – auch vorbei am angeblichen Wohnhaus des Hauseigentümers der „Meuterei“. Nach etwas mehr als einer Stunde wurde es am Rosa-Luxemburg-Platz etwas hektisch, dann wurde die Demonstration aufgelöst. Immer wieder wurde Pyrotechnik abgebrannt, doch ansonsten blieb sie offenbar weitgehend friedlich.

13 Autos an acht Orten brannten in der Nacht vor der Räumung

In der Nacht zu Donnerstag hatte es mehrere Anschläge gegeben, die möglicherweise mit der Räumung in Zusammenhang stehen. Der Polizei zufolge brannten 13 Autos an acht Orten in Mitte, Prenzlauer Berg, Lichtenberg, Friedrichshain und Reinickendorf. Vor dem Ordnungsamt in Reinickendorf brannten zudem Reifen, die Fassade wurde beschädigt. Die Polizei prüfe eine mögliche Verbindung zu der Räumung, ermittle aber ergebnisoffen, sagte Polizeisprecher Thilo Cablitz am Morgen.

In Mitte nahm die Polizei in der Nacht drei Verdächtige fest, die in der Nähe eines brennenden Autos Wände besprüht haben sollen. Auf der linken Plattform Indymedia gab es zudem ein mutmaßliches Bekennerschreiben zu mehreren Anschlägen auf die Fensterscheiben von Büros und Gewerbeflächen verschiedener Immobilienunternehmen, mit explizitem Bezug zur Räumung der „Meuterei“. Zu den Brandanschlägen äußerten sich die Verfasser:innen allerdings nicht. (mit dpa)

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