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Das Reichtagsufer - ohne Gedenkkreuze für die Maueropfer.

© Merle Collet

Update

Protest gegen EU-Flüchtlingspolitik in Berlin: Aktionskünstler entfernen Gedenkkreuze für Mauertote

Die Gedenkkreuze am Spreeufer neben dem Reichstag sind weg. Eine Künstlergruppe will sie an die EU-Grenze gebracht haben, um auf "neue Mauern um Europa" hinzuweisen.

Die Künstlergruppe "Zentrum für politische Schönheit" hat sieben weiße Gedenkkreuze für die Berliner Mauertoten am Spreeufer gestohlen und nach eigenen Angaben an die EU-Außengrenzen gebracht. Wenige Tage vor den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestages des Mauerfalls wollen die Künstler darauf hinweisen, dass an den EU-Außengrenzen in den vergangenen Jahren rund 30.000 Menschen ums Leben gekommen seien. Diese "illegalen EU-Außengrenzen" seien abzureißen - "nicht mit warmen Worten, sondern mit Bolzenschneidern", sagt Philipp Ruch, künstlerischer Leiter der Gruppe. Man wolle mit der Aktion eine "Initiative für den Ersten Europäischen Mauerfall" starten, so die Aktivisten.

Diebstahl wurde Montagmorgen bemerkt

Unklar ist, wann die Kreuze abmontiert wurden - der Diebstahl wurde nach Angaben der Polizei am Montagmorgen gegen 8.30 Uhr bemerkt. Die weißen Kreuze befanden sich über elf Jahre lang am Reichtagsufer zwischen Paul-Löbe-Haus und Reichstagsgebäude - von Berlintouristen viel besucht und viel fotografiert. Am Montagmorgen schwankt die Stimmung am Reichstagsufer zwischen Entrüstung und Verständnis.

Eine Rentnerin sagt, es mache sie "fassungslos", dass die Kreuze entwendet worden seien: "Sie gehören an einen Ort, wo sie konkret an die Opfer des Mauerbaus erinnern", sagt sie. Zehn Meter weiter stehen mehrere Polizisten vom Zentralen Objektschutz - auch sie rätseln, wie die Kreuze mitten im Regierungsviertel offenbar unbemerkt entwendet werden konnten.

Zwei Touristinnen können das Anliegen der Künstler zumindest im Ansatz nachvollziehen: "Nicht allen geht es so gut wie uns. Es sollte durchaus auf politische und wirtschaftliche Grenzen hingewiesen werden." Man hätte die Kreuze aber nicht stehlen müssen, sagen die Frauen. "Wenn man die Kreuze einfach reproduziert hätte, wäre das sinnvoller gewesen."

Henkel: Diebe sollten sich schämen

Berlin Innensenator Frank Henkel (CDU) brachte weniger Verständnis für die Aktion auf: "Mit dem Entfernen der sieben weißen Gedenkkreuze ist ein neuer Höhepunkt politischer Geschmacklosigkeit erreicht. Wer im Nachhinein die Opfer der SED-Diktatur verhöhnt, sollte sich in Grund und Boden schämen." Die Senatskulturverwaltung kritisierte den Diebstahl als respektlos: "Prinzipiell ist es wichtig, auf das Schicksal von Flüchtlingen an den EU-Grenzen hinzuweisen. Wir sollen uns aber hüten, unterschiedliche Formen von Unrecht gleichzusetzen oder aufzurechnen. Im konkreten Fall verbietet es der Respekt vor den Maueropfern und Angehörigen, dass die Kreuze eigenmächtig entfernt wurden", sagte ein Sprecher.

Staatsschutz ermittelt wegen schweren Diebstahls

Der Verbleib der Kreuze ist unklar. Auf der Website der Gruppe wurden Fotos veröffentlicht, auf denen Flüchtlinge mit den Kreuzen - oder mit originalgetreuen Kopien - posieren; die Fotos sollen vor der spanischen Enklave Melilla in Marokko entstanden sein. Andere Fotos zeigen die Kreuze an Stacheldrahtzäunen - nach Angaben der Aktivisten sind diese Bilder in Bulgarien und Griechenland entstanden.

Die Polizei ermittelt von Amts wegen besonders schweren Diebstahls; wegen der offensichtlich politischen Motivation wurde der Polizeiliche Staatsschutz mit den Ermittlungen beauftragt.

Aktivisten sammeln Spenden im Internet

Die Aktivisten kündigten an, am kommenden Freitag mit gemieteten Bussen zur EU-Außengrenze fahren zu wollen, um beim "Abriss der europäischen Außengrenzen" zu helfen. Finanziert werden soll die Aktion über Crowdfunding, eine entsprechende Internetseite wurde bereits eingerichtet. Nach Bekanntwerden der Aktion schnellte das Spendenaufkommen in die Höhe: Am Montagvormittag gab es nach Angaben der Aktivisten vier Anmeldungen und Spenden in Höhe von 771,- Euro. Bis zum Montagnachmittag waren mehr als 5.000 Euro an Spendengeldern eingegangen, 20 Personen hatten sich für die Busreise angemeldet. Kommen bis Freitag 5.900,- Euro zusammen, so die Kalkulation der Künstlergruppe, könnte ein mit 55 Personen vollbesetzter Bus aus Berlin losfahren.

Das "Zentrum für politische Schönheit" tritt seit mehreren Jahren mit kreativ-provokanten Aktionen in Erscheinung. So sollte 2012 eine ganze Rüstungsfabrik in einen Betonsarkophag eingegossen werden; vor vier Jahren schichteten die Aktivisten einen Berg von über 16.000 Schuhen vor dem Brandenburger Tor auf, um an die Rolle der Vereinten Nationen beim Massaker von Srebrenica zu erinnern.

Weiße Kreuze erinnern seit 1971 an Mauertote

Die weißen Kreuze wurden am 13. August 1971, am zehnten Jahrestag des Mauerbaus, von der Initiative "Berliner Bürger-Verein" gestiftet. Sie erinnern an Menschen, die bei dem Versuch ums Leben kamen, die Mauer zwischen Ost- und Westberlin zu überwinden. Die sieben Kreuze sind beidseitig mit den Namen von insgesamt 13 Maueropfern beschriftet, eine vierzehnte Inschrift ehrt die anonymen Maueropfer. Weitere weiße Kreuze standen an der Gedenkstätte Berliner Mauer in Gesundbrunnen; nach Angaben eines Sprechers wurden die Kreuze aber bereits vor mehreren Jahren eingelagert.

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