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Kritik an Idee der Berliner Polizeipräsidentin: „Die Pflicht zur Fahrradregistrierung würde jede Verwaltung sprengen“

Zu Bürokratisch und ineffizient: Barbara Slowiks Vorschlag kommt bei Verwaltung und Verbänden schlecht an. Nur ein CDU-Politiker schließt sich der Forderung an.

Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik beklagt eine zunehmende Aggressivität im Straßenverkehr – auch bei Fahrradfahrern. „Über 50 Prozent der Verkehrsunfälle mit Radfahrern werden von Radfahrern selbst verursacht“, sagte Slowik der „Berliner Morgenpost“.

Um gegen die steigende Rücksichtslosigkeit von Radfahrern vorzugehen, könnten Fahrradkennzeichen ein „wichtiger Aspekt“ sein, sagte Slowik.

Ob sie dazu führen, dass Radfahrer die Regeln im Straßenverkehr besser einhalten, erscheint jedoch fraglich: Zu groß der bürokratische Aufwand und zu klein die Kennzeichen, sagen Kritiker. Doch welche Maßnahmen sind stattdessen sinnvoll?

Polizeipräsidentin Slowik verteidigte ihren Vorstoß am Montag. Sie sagte dem Tagesspiegel: „Das Gefahrenpotenzial von Radfahrenden ist natürlich nicht mit dem von Kraftfahrzeugen zu vergleichen, dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Radfahrende gegenüber zu Fuß Gehenden die stärkeren Verkehrsteilnehmenden sind.“

Es sei nicht immer leicht, teils sogar ausgeschlossen, schwerwiegende Verstöße zu ahnden. „Ich halte es für wichtig, die Diskussion zum Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden offen zu führen und auch über noch nicht vorhandene Möglichkeiten laut nachzudenken.“

Radfahrer verursachen 52 Prozent der Unfälle selbst

Im vergangenen Jahr gab es insgesamt 7854 Radunfälle, rund 52 Prozent davon wurden von Radfahrenden selbst verursacht. Am häufigsten, weil sie auf der falschen Fahrbahn oder nicht richtig in den fließenden Verkehr gefahren sind. Weitere Gründe waren „nicht angepasste Geschwindigkeit“, das Überfahren roter Ampeln und Fahren unter Alkoholeinfluss.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) teilte mit, er könne aus der Statistik keine gestiegene Aggressivität von Radfahrenden ableiten. Die Zahlen bezögen auch sogenannte Alleinunfälle mit ein, wenn Radfahrer etwa wegen Schlaglöchern oder Baumwurzeln auf der Fahrbahn stürzen.

Bei Unfällen zwischen Autos und Radfahrenden sind zu 75 Prozent Autofahrer die Hauptverursacher, bei Unfällen mit LKW liegt der Anteil bei 80 Prozent.

Besonders zur Rushhour: Aggression, Hupen, Schreien, Handgreiflichkeiten

Und dennoch beobachte auch der ADFC besonders zu den Hauptverkehrszeiten aggressive Fahrweisen, Hupen, Schreien oder auch Handgreiflichkeiten. Der Grund ist aus der Sicht des Verbands: der zunehmende Autoverkehr.

Die Lösung: breite Rad- und Fußwege, weniger Autos in Innenstädten und Abbiegeassistenten für LKW. „Wenn man dadurch mehr Menschen aus dem Auto herauslockt, ist allen geholfen“, sagte eine ADFC-Sprecherin.

Eine Kennzeichnungspflicht für Fahrräder hält sie nicht für sinnvoll. Nach einem Unfall müsse nachgewiesen werden, wer das Fahrrad fuhr – die Person, auf die es zugelassen ist, oder jemand anderes.

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Dies sei viel aufwendiger als bei Autos, weil Fahrräder häufiger verliehen werden. In Deutschland gibt es eineinhalb mal so viele Fahrräder – 75 Millionen – wie Autos (48 Millionen). „Die Pflicht, sein Fahrrad registrieren zu lassen, würde jede Verwaltung sprengen“, sagte die ADFC-Sprecherin.

Fahrradkennzeichen: Zu viel Bürokratie für zu wenig Nutzen

Das sieht auch die Verwaltung selbst so: „Wollte man alle Fahrräder der Kennzeichen- und damit zwingend einer Registrierungspflicht unterwerfen, zöge dies unverhältnismäßig hohe Kosten und Personalaufwand nach sich", teilte die Senatsverwaltung für Verkehr mit. Sie betonte, dass insbesondere Radfahrer Rücksicht auf Fußgänger zu nehmen hätten.

Auch der Vorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland Nordost (VCD), Heiner von Marschall, glaubt nicht, dass verpflichtende Fahrradkennzeichen die Situation verbessern. Die Schilder wären, ähnlich wie Kennzeichen auf E-Rollern, recht klein. „Ich bezweifle, dass jeder die Ziffern auf dem Kennzeichen sieht, wenn der Radfahrer schon weiterfährt.“

Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik hält Fahrradkennzeichen für eine mögliche Maßnahme gegen Regelverstöße von Radfahrern.
Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik hält Fahrradkennzeichen für eine mögliche Maßnahme gegen Regelverstöße von Radfahrern.

© Paul Zinken/dpa

Die Pflicht, sein Fahrrad registrieren zu lassen, wäre zudem für viele eine Hürde, das Auto stehen zu lassen. Und das Gegenteil soll laut von Marschall erreicht werden: „Es wird sicherer, wenn mehr Leute Fahrrad fahren.“ Als unmittelbare Maßnahme für die Verkehrssicherheit spricht sich der VCD-Vorsitzende für stärkere Kontrollen durch die Polizei aus.

„Fahrradfahrer brauchen Zuckerbrot und Peitsche“

Auch Roland Stimpel vom Fuß e.V. nennt den bürokratischen Aufwand und die zu kleinen Schilder als Probleme. „Viele Fußgänger, besonders ältere Personen, fühlen sich hilflos und ausgeliefert. Sie wünschen sich deshalb eine Kennzeichenpflicht – und doch sehen wir als Verband das skeptisch“, sagt Stimpel. Stattdessen bräuchten Radfahrer „Zuckerbrot und Peitsche“. Bessere Radwege als Zuckerbrot, höhere Bußgelder als Peitsche.

„So ließe man alle regeltreuen Radfahrer in Ruhe und bestraft die, die sich nicht an die Regeln halten“, sagt Stimpel. Als Vorbild nannte er Frankreich, wo Fahrradfahrer für das Fahren auf dem Gehweg 135 Euro Strafe zahlen müssen.

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Ähnlich sieht es Henner Schmidt, infrastrukturpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus: „Gegen Fahrradrowdies helfen nur stärkere Kontrollen und höhere Bußgelder.“ Schmidt fordert, dass die Fahrradstaffeln der Polizei verstärkt werden und diese häufiger Kontrollen durchführen. Im Zuge der Novelle der Straßenverkehrsordnung sollten höhere Bußgelder beschlossen werden.

Fahrradregistrierung: CDU-Sprecher für Kennzeichen-App

Für die Kennzeichenpflicht ist hingegen Oliver Friederici. Der Verkehrsexperte der CDU-Fraktion sieht darin eine Handhabe gegen Verkehrsverstöße von Radfahrern – aber nur, wenn dies bundeseinheitlich geschehe. Die Kritik an zu kleinen Kennzeichen kann Friederici nicht nachvollziehen. „Lieber eine kleine Chance, ein kleines Schild zu sehen, als gar keine.“

Und der Einwand der umständlichen Bürokratie lasse sich durch eine App umschiffen: „Auf keinen Fall dürfen die Leute wie bei der Autoanmeldung in der Ferdinand-Schultze-Straße anstehen“, sagt Friederici. „Einfach App runterladen, registrieren und fertig.“

Polizeipräsidentin Slowik verteidigte ihren Vorstoß. „Das Gefahrenpotenzial von Radfahrenden ist natürlich nicht mit dem von Kraftfahrzeugen zu vergleichen, dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Radfahrende gegenüber zu Fuß Gehenden die stärkeren Verkehrsteilnehmenden sind“, sagte Slowik dem Tagesspiegel.

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Es sei nicht immer leicht, teils sogar ausgeschlossen, schwerwiegende Verstöße zu ahnden. „Ich halte es für wichtig, die Diskussion zum Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden offen zu führen und auch über noch nicht vorhandene Möglichkeiten laut nachzudenken.“

Eine Polizeisprecherin erklärte am Montag zur von der Polizeipräsidentin angestoßenen Debatte: „Eine zunehmende Aggressivität im Berliner Straßenverkehr lässt sich nicht durch eine Statistik belegen, sondern entspricht der Wahrnehmung von Dienstkräften.“ Sie verwies auf den Ausbau der Fahrradstaffeln und neue Staffeln auf den Polizeiabschnitten.

Mit Blick auf breite Kritik an Kennzeichen für Fahrräder sagte sie: „Die Diskussion um geeignete Maßnahmen kann und sollte auch auf andere Möglichkeiten erweitert werden.“

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