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Die Chefin der Berliner Polizei: Barbara Slowik.

© REUTERS

Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik: "Keiner berichtet, dass wir erfolgreich arbeiten"

"Noch immer berichten die Medien lieber über die Gewalt", sagt die neue Polizeichefin. Ein Gespräch über Terror und gefühlte Sicherheit.

Ein Interview macht in Berlin die Runde. Berlins Polizeipräsidentin hat mit "Zeit Online" über gefühlte Sicherheit, Mediendarstellung und Anis Amri gesprochen.

Frau Slowik, wann macht die Polizei gute Arbeit: Wenn die Menschen sicher sind, oder wenn sie sich sicher fühlen?

Dass sie sicher sind, ist die Grundlage. Es ist aber auch unsere Aufgabe, ein Sicherheitsgefühl in der Gesellschaft herzustellen.

Folgt das eine aus dem anderen? Müssen Ihre Beamten also nur für Sicherheit sorgen und dann kommt das Gefühl?

Das ist eine Frage, die mich beschäftigt, seit ich mein Amt als Polizeipräsidentin angetreten habe. Die Kriminalitätszahlen von 2017 sind im Zehnjahresvergleich hervorragend. Wir haben ganz erstaunliche Rückgänge in Bereichen, die die Bevölkerung direkt betreffen, Wohnungseinbruch und Taschendiebstahl etwa. Die Wahrscheinlichkeit, in Berlin Opfer einer Straftat zu werden, ist so niedrig wie zuletzt 1998. Es bleibt aber ein Gefühl der Unsicherheit. Das beste Beispiel ist der Hardenbergplatz am Bahnhof Zoo. Es gab dort Gewaltvorfälle, aber die Zahlen sind ganz klar: Es gibt keine Grundlage, den Platz zu einem kriminalitätsbelasteten Ort zu erklären, an dem man verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen dürfte. Und doch fühlen sich die Menschen dort nicht sehr sicher.

Warum?

Ich denke aus zwei Gründen: Über einzelne brutale Gewalttaten wird spektakulär berichtet. Die werden in allen Medien wiederholt, so dass eine Straftat als vielfache Bedrohung wahrgenommen wird. Und zum anderen verändern sich Stadtbilder. Der Hardenbergplatz war immer schon ein Platz mit Menschen aus sozialen Randgruppen: Obdachlose, Alkoholabhängige. Nun kommen junge Männer aus dem arabischen Raum dorthin, durch einen neuen Schnellimbiss. Das ist für viele dort ein ungewohntes Bild. Das verunsichert sie.

Was tun Sie gegen diese Verunsicherung?

Wenn ich dafür sorge, dass auf dem Hardenbergplatz eine mobile Wache steht, erzeuge ich damit sehr bewusst gefühlte Sicherheit. Der Platz ist nicht unsicher. Die Zahl der Straftaten ist nahezu unverändert. Das war eine bewusste Maßnahme, um gefühlte Sicherheit zu erreichen. Um den Bürgerinnen und Bürger und Touristinnen und Touristen zu signalisieren: Hier passt die Polizei auf. Noch immer berichten die Medien übrigens lieber über die Gewalt und nicht darüber, dass wir erfolgreich etwas getan haben. Am Alexanderplatz gab es ebenfalls eine große Unsicherheit, ausgelöst durch die vielen Gewalttaten dort bis hin zum Mord. Auch über diese Taten wird breit berichtet. Aber über den wirklich beeindruckenden Wandel, der nun unter anderem durch die neue Polizeiwache und eine Ermittlungsgruppe in Gang gekommen ist, der Rückgang von Straftaten, wird kaum geschrieben.

Ist die Berichterstattung also wichtiger als das, was die Polizei tut?

Nein, die klassische Polizeiarbeit ist natürlich die Grundlage. Und es gilt: Auch wenn Sie uns nicht sehen, sind wir da. Nicht um zu überwachen, sondern mit Zivilstreifen, die Straftaten verhindern sollen und für Festnahmen qualifiziert sind.

War es schon immer Teil der polizeilichen Strategie, Sicherheitsgefühl zu erzeugen, oder ist das ein neuer Anspruch an Sie?

Die Polizei Berlin konnte das in den letzten Jahren gar nicht leisten. Weil es aller Ressourcen bedurfte, die objektive Sicherheit herzustellen. Wir sind jetzt erst in der Lage, uns auch um das Sicherheitsgefühl zu kümmern. Ich glaube aber auch, dass sich die Gesellschaft deutlich verändert hat durch Globalisierung und Digitalisierung und dass das einen Teil der Bevölkerung grundsätzlich verunsichert. Deshalb meine ich, das ist ein Anspruch der neueren Zeit.

Eine Tat, die das Sicherheitsgefühl der Berlinerinnen und Berliner nachhaltig verändert hat, ist der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz heute vor zwei Jahren. Hat er auch die Polizei verändert?

Er hat sie erschüttert. Ich denke, sie hat den Einsatz auch deshalb so gründlich aufgearbeitet. Wir werden im Februar einen Bericht zur Einsatzbewältigung veröffentlichen und was wir daraus gelernt haben. Etwa wie wir die psychosoziale Notfallversorgung verbessern können und die Infrastruktur für Hinweise aus der Bevölkerung.

Bis heute ist nicht geklärt, ob die Polizei Chancen ungenutzt ließ, um den ihr bekannten Islamisten Anis Amri vor seiner Tat aufzuhalten. Beamte, die im Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus aussagen, können sich an erstaunlich wenig erinnern. Wäre es nicht auch Ihre Aufgabe, hier die Aufklärung voranzutreiben?

Ich bin der Auffassung, dass wir umfassend aufarbeiten, auch in den Untersuchungsausschüssen. 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus meiner Behörde sind nach wie vor ausschließlich mit der Aufarbeitung beschäftigt.

Es ist aber noch immer offen, warum Amri im Sommer 2016 vom Schirm der Behörden verschwand. Und alle neuen Erkenntnisse, die es in jüngerer Zeit gab, beruhen auf Medienrecherchen. Erst zwei Jahre nach dem Anschlag räumt der LKA-Chef ein, dass es V-Leute der Polizei in Amris Umfeld gab. Der Untersuchungsausschuss wartet noch auf 900 Aktenordner. In der Öffentlichkeit entsteht dadurch der Eindruck einer Salamitaktik.

Ich bin wirklich der Ansicht, dass wir umfassend aufklären. Aus meiner Sicht ist jetzt alles auf dem Tisch.

Trotzdem kommen immer wieder Dinge heraus, die ein neues Licht auf den Fall Amri werfen. Vergangene Woche ist bekannt geworden, dass Amri im Herbst 2016 einen Sprengstoffanschlag mit einem Komplizen, dem Franzosen Clement B., plante. Nach Informationen des Generalbundesanwalts hat das Berliner LKA das nur durch Zufall verhindert: Sie hatte bei einem Dritten eine Gefährderansprache durchgeführt, als B. dort war. Daraufhin setzte sich B. ab. Ist das eine gute Nachricht für das LKA oder ist das peinlich?

Das Verfahren liegt beim GBA und beim BKA, das würde ich gerne so belassen und dazu nichts sagen.

Der Anschlag hat auch an der Personalstruktur im LKA einiges geändert.

Wir haben das Personal im Islamismusdezernat nahezu verdoppelt. Wir haben die Gefährderbearbeitung zentralisiert, um alle von diesen Personen begangenen Straftaten gesammelt zu bearbeiten, um konzentrierter zu einem Haftbefehl zu kommen. Also genau das, was uns bei Amri nicht gelungen ist. Wir nutzen das Tool Radar ITE, um die Gefährlichkeit von Gefährdern bundeseinheitlich zu bewerten. Und wir arbeiten enger mit der Bundespolizei zusammen, um Gefährder abzuschieben. Wir haben neue Qualitätsstandards im Umgang mit Gefährdern. Da ist viel passiert, das dazu führt, dass wir ein schärferes Bild haben.

Weil Sie das Personal dort verdoppelt haben, hat das anderswo Löcher gerissen. Es wurde zum Beispiel eine Mordkommission aufgelöst, um das Islamismusdezernat zu verstärken. Sind diese Löcher inzwischen gestopft?

Die Politik hat neue Stellen geschaffen und die Ausrüstung verbessert, etwa durch schusshemmende Westen und Maschinenpistolen in den Funkwagen. Aber noch sind die Bereiche Betrug und Organisierte Kriminalität schwächer aufgestellt, als wir das gerne hätten.

Die erste mobile Polizeiwache im Spandauer Ortsteil Staaken - da kam sogar die Polizeichefin Barbara Slowik persönlich.
Die erste mobile Polizeiwache im Spandauer Ortsteil Staaken - da kam sogar die Polizeichefin Barbara Slowik persönlich.

© André Görke

Aber die Bekämpfung von organisierter Kriminalität ist Ihnen doch aktuell besonders wichtig?

Es gibt einen Schwerpunkt des Senats, um kriminelle Strukturen zu bekämpfen. Neben der Polizei arbeiten unter anderem auch die Staatsanwaltschaft, die Steuerfahndung und Jugendämter daran. Als Polizei setzen wir in den Schulen an, mit Anti-Gewalt-Kursen bei Achtjährigen. Dann geht es von Programmen für jugendliche Intensivtäter über die Bekämpfung von organisierter Kriminalität bis hin zur Abschiebung. Und dafür bin ich angetreten, dass wir dort ausreichend Stellen bekommen. Wir werden sehen, was da noch verhandelt wird.

Warum wird das erst jetzt Thema?

Berlin kommt aus einer Zeit ganz knapper Ressourcen und die letzten zwei Jahre waren klar dominiert von der Aufarbeitung des Anschlags auf dem Breitscheidplatz. Der Mord an Nidal R. und der Überfall auf einen Geldtransporter haben nun diese Strukturen zum Thema gemacht. Getan wurde schon immer viel, auch in diesem Bereich. Unser LKA leistet da hervorragende Arbeit. Wir haben nach jahrelangen Ermittlungen 71 Immobilien von Clanmitgliedern beschlagnahmt. In Berlin gibt es dabei auch etwas einzigartiges, das sind die Phänomenstreifen: Beamte, die engen Kontakt zu den Großfamilien haben, auch zu den kriminellen Teilen, und eine Vertrauensstellung haben, aber trotzdem immer in ihrer Rolle als Polizist bleiben. All diese Stellen müssen aber noch besser zusammenarbeiten, da brauchen wir einen Schulterschluss.

Mit so viel Aufmerksamkeit für die organisierte Kriminalität, verstärken Sie damit nicht das Unsicherheitsgefühl? Macht es Ihre Arbeit schwieriger, wenn Sie viel darüber sprechen?

Ich möchte darüber eigentlich gar nicht groß reden. Wir wollen machen. Ich bin froh, wenn der mediale Scheinwerfer wieder auf andere Felder fällt. Denn ich möchte in diesem Bereich einfach arbeiten, gut und schlagkräftig.

Aber wie gelingt es zu vermitteln: Wir arbeiten für eure Sicherheit – aber schaut bitte nicht so genau hin, um welche Gefahren es geht?

Wir müssen Erfolge produzieren. Die kommen an. Die 71 beschlagnahmten Immobilien sind bis Süddeutschland vorgedrungen.

Gehören dazu auch die Erfolgsbilder auf dem Polizei-Twitteraccount, wenn wieder ein Mercedes AMG mit 470 PS beschlagnahmt wurde?

Ja genau. Es geht auch um Profilierungsfahrten mit 120 den Ku’damm runter.

Terrorismus und auch organisierte Kriminalität sind oft Thema, machen aber nur einen Bruchteil der Straftaten aus. Welche anderen Bereiche machen Ihnen wirklich Sorgen?

Kfz-Diebstähle. Da hat mich zwar der Rückgang um 15 Prozent gefreut, das führe ich auf die Zusammenarbeit mit dem BKA und den polnischen Kollegen zurück. Aber da müssen wir noch besser werden. Und an den kriminalitätsbelasteten Orten Görlitzer Park und Warschauer Brücke ist die Zahl der Straftaten nicht wie an den anderen zurückgegangen. Wir werden dort mehr Polizeipräsenz brauchen.

Was ist mit Themen wie Taschendiebstahl oder Fahrraddiebstahl? Wer heute sein Fahrrad als gestohlen meldet, bekommt von der Polizei höchstens ein müdes Lächeln. Das schafft nicht gerade Vertrauen.

Ich glaube es gibt verschiedene Bedrohungen, die der Bürger wahrnimmt. Bedrohungen wie Rechtsextremismus, Linksextremismus, Reichsbürger, Islamismus. Davon ist er aber in den seltensten Fällen direkt betroffen. Viel wichtiger ist für ihn der Taschendiebstahl, der Kellereinbruch, der Fahrraddiebstahl. Da sind die Zahlen rückläufig, beim Taschendiebstahl im vergangenen Jahr um 40 Prozent.

Für Fahrraddiebstähle gilt das aber nicht.

Ja, da hatten wir nur einen Rückgang von 1,5 Prozent. Aber da haben wir jetzt eine spezielle Ermittlungsgruppe, über die ich hier leider nicht mehr erzählen kann, um ihre Arbeit nicht zu behindern.

In fast allen Bundesländern werden momentan die Polizeigesetze geändert, die Polizei bekommt mehr Kompetenzen. Auch in Berlin steht das an. Ist das überfällig oder überflüssig?

Ich halte die Einführung von Bodycams für wichtig, auch über unser Pilotprojekt hinaus, für den Schutz der Beamtinnen und Beamten. Es läuft gerade eine politische Diskussion um das Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit. Ich bin weit davon entfernt, zu sagen, dass wir deutlich weitergehende Befugnisse brauchen. Aber dass wir uns die Möglichkeit wünschen, schon zur Gefahrenabwehr Telekommunikationsüberwachung und gezielt auch Videoüberwachung einsetzen zu können, ist kein Geheimnis.

Hätten Sie auch gern den Begriff der drohenden Gefahr als Eingriffsgrundlage wie in Bayern?

Ich finde den Begriff zu unscharf, und bayerische Kollegen sagen mir, dass er ihnen im Alltag auch nicht viel nützt.

Was macht die Berliner Polizei besser als andere?

Wir sind Vorreiter in den sozialen Medien, wo unser Team mit unbehördlicher Sprache viele Menschen erreicht und die Polizei attraktiver macht. Über die Erfolge des LKA gegen die Clanstrukturen haben wir schon gesprochen. Wir bewältigen außerdem jedes Jahr um die 5000 Versammlungen und 250 Staatsbesuche, dazu Großveranstaltungen wie den Tag der Deutschen Einheit. Und wir sind wahrscheinlich die ersten, die Influencer-Marketing einsetzen.

Was?

Wir haben einen YouTuber mit vielen Fans gefunden, einen Influencer, der auf seinem Kanal Berufe vorstellt. Der ist mehrmals bei uns gewesen: an der Polizeiakademie, bei einer Hundertschaft, auf dem Funkwagen. Er verkauft, wie cool und lässig es ist, bei der Polizei Berlin zu arbeiten. Diese drei Videos hatten zusammen drei Millionen Klicks

Dieses Interview ist zuerst bei "Zeit Online" erschienen.

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