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Der U-Bahnhof Hallesches Tor in Berlin-Kreuzberg.

© Kai-Uwe Heinrich

Als vor mir jemand im Gleisbett lag: „Der Mann schreit, Passanten stehen starr an der Kante“

In einem U-Bahnhof fällt ein Mann ins Gleisbett. Unser Autor hat das am Halleschen Tor in Kreuzberg erlebt – und nicht lange gezögert. Hier seine Erinnerungen.

Von Frank Jansen

An der U-Bahnstation Kottbusser Tor ist ein 30-Jähriger in der Nacht zu Mittwoch vor die U-Bahn geschubst worden und gestorben. Auch ohne Fremdeinwirkung stürzen immer wieder Menschen ins Gleisbett. Unser Autor hat als Zeuge so eine Situation erlebt – und schildert, was dabei in ihm vorging.

Der U-Bahnhof Hallesches Tor ist kein romantischer Ort. Vor allem die Station im Keller für die Linie 6, vor allem abends. Menschen stranden, die Bierflasche ist ihr letzter Halt, der Bahnsteig wirkt klebrig. Die ganze Halle erscheint trotz langwieriger Bauarbeiten noch unfertiger als tagsüber.

Hier ist es dann auch passiert. Ich komme spät aus der Redaktion, laufe die Treppe zum Bahnsteig hinunter, von unten Geschrei. Ein zerzauster Mensch ist ins Gleisbett gefallen, vielleicht ein Junkie, jedenfalls wirkt der Mann desorientiert, aggressiv. Die elektronische Anzeigetafel zeigt nur noch eine Minute an, dann kommt die U-Bahn. Der Mann schreit weiter, Passanten stehen starr an der Kante.

Ich springe die letzten Stufen der Treppe hinunter und rufe einem Mann zu, er solle mir helfen. Wir reichen dem Mann im Gleisbett unsere Hände, er tappt heran, wir ziehen und zerren ihn auf den Bahnsteig. Kurz danach rauscht die U-Bahn rein. Sind Sie verletzt, soll ich einen Krankenwagen rufen? Der Mann schreit, „verpiss dich“, „keinen Krankenwagen“, „hau ab“. Er schwankt zur gegenüberliegenden Bahnsteigkante, pöbelt weiter.

"Der hat bestimmt 'n Messer dabei und sticht Sie ab“

Ich zögere. Noch mal helfen? Da erscheint ein älterer Mensch vom Servicepersonal der BVG, er sieht müde aus, sehr müde. „Lassense den in Ruhe“, sagt der Mann in der blauen Uniform, „der hat bestimmt 'n Messer dabei und sticht Sie ab“. Ich bin unschlüssig. Soll ich zusehen, wie der derangierte Schreihals wieder ins Gleisbett fällt?

Doch ich muss mir die Frage nicht beantworten. Zwei Security-Männer erscheinen, stämmige Kerle in neongelben Westen, gravitätischer Schritt. Sie rahmen den armen Kerl ein, mehr kriege ich nicht mit. Meine U-Bahn kommt. Bloß weg hier.

Der junge Mann, der am Gleisbett mit angepackt hat, südländisch sieht er aus, steigt in denselben Waggon. Ich bedanke mich für seine Hilfe, er lächelt, wir klatschen uns ab. Noch ist Berlin nicht verloren. Aber das Erlebte hängt mir nach. Ein paar Monate später holt mich das Hallesche Tor am Nollendorfplatz wieder ein. Abermals ist es Abend, abermals ein U-Bahnhof im Untergeschoss, als plötzlich wieder Geschrei ertönt.

Soll ich mich von U-Bahnhöfen fernhalten?

Auf dem Boden kreiselt mir ein Messer entgegen, zwei dunkelhaarige Männer verfolgen einen kleinen, ausgezehrt wirkenden Mann. Wieder ein Junkie? Er fällt. Einer tritt zu. Ich pfeife auf zwei Fingern, brülle „Aufhören!“, hebe mein Smartphone, „ich rufe jetzt die Polizei!“.

Sie lassen tatsächlich von dem Mann ab. Und wieder ist da ein BVG-Mitarbeiter. Hat die Polizei schon alarmiert. Ich sollte mich abends fernhalten von U-Bahnhöfen, denke ich. Oder gerade nicht?

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