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Pilgern in Berlin. Seyran Ates und Jörg Steinert auf dem Jakobsweg von Schöneberg nach Marienfelde.

© Kitty Kleist-Heinrich

Pilgern in Berlin: Auf dem Jakobsweg von Schöneberg nach Marienfelde

Eine alte Pilgerroute führt durch Berlin. Noch ist der Jakobsweg in der Stadt nicht sichtbar. Aber das soll sich ändern. Gepilgert wird trotzdem.

Gut 2800 Kilometer ist die nordspanische Stadt Santiago de Compostela von Berlins Innenstadt entfernt. Jahr für Jahr machen sich Hunderttausende aus aller Welt auf den Jakobsweg, um das Sehnsuchtsziel pilgernder Menschen zu erreichen. Im vergangenen Jahr wurde wieder ein Rekord erzielt: 347 378 Pilger wurden im Pilgerbüro in Santiago registriert. Dabei gibt es nicht den einen Jakobsweg; die Menschen starten an allen möglichen Orten in vielen Ländern.

Eine der alten Routen, die Via Imperii, führt von Stettin her kommend mitten durch Berlin – von Buch über das Brandenburger Tor nach Marienfelde. Rund 150 Menschen, erfahrene Pilger wie auch Novizen auf diesem Weg, trafen sich am Sonntag im Café und Waschsalon Waschküche in Schöneberg, um einen kleinen Abschnitt der Via Imperii von dort bis zur alten Dorfkirche in Marienfelde zu erlaufen.

Die elf Kilometer lange Strecke, die sich an der historischen Route orientiert, führt unter anderem vorbei an den Bahnhöfen Südkreuz, Priesterweg und Attilastraße. In einem kleinen Pulk startete die Gruppe am Vormittag an der Dudenstraße Richtung Kolonnenbrücke und Kolonnenstraße.

Richtung Santiago de Compostela. Zumindest eine kleine Strecke – von Schöneberg nach Marienfelde – legten 150 Menschen zurück.
Richtung Santiago de Compostela. Zumindest eine kleine Strecke – von Schöneberg nach Marienfelde – legten 150 Menschen zurück.

© Kitty Kleist-Heinrich

Noch ist der Jakobsweg in Berlin nicht ausgeschildert, aber das könnte sich ändern. Vielleicht weist demnächst die typische Muschel, das Erkennungszeichen, den Weg. Im Dezember beschloss in einem ersten Schritt die Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg einstimmig, dass sich der Bezirk für eine Beschilderung innerhalb seiner Grenzen einsetzen soll, so wie es andere Städte in Deutschland machen. Die Mittel sollen durch Spenden aufgebracht werden.

Initiator dieses Vorhabens ist Jörg Steinert, seit vielen Jahren Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg und begeisterter Pilger. Er wandte sich an die Fraktionen: SPD, Grüne und CDU schrieben einen gemeinsamen Antrag. Zusammen mit der Jakobusgesellschaft, deren Beauftragter für die Region Steinert ist, organisierte er auch das gemeinsame Pilgern am Sonntag. Steinert wurde 2015 vom „Pilgervirus infiziert“, wie er sagt. Eigentlich wollte er damals nur eine eine kurze Auszeit nehmen.

Bereits elfmal auf dem Jakobsweg

Seitdem war er bereits elfmal auf verschiedenen Wegen unterwegs. Von Portugal her kommend, ganz im Süden Spaniens, in Sevilla startend oder auf der klassischen Route, dem „Camino Frances“, von Südfrankreich durch die Pyrenäen nach Spanien. Er schreibt auf Facebook unter „Pilgerwahnsinn“ über seine Erfahrungen. Im August soll sein Buch erscheinen. „Nirgendwo fühle ich mich so frei“, sagt Steinert.

2011 organisiert Jörg Steinert die Proteste gegen den Papstbesuch

Für Bekannte aus der queeren Community sei es schon ein wenig verwunderlich gewesen, dass er so für das Pilgern auf dem Jakobsweg, ein katholisches Ritual, entbrannt ist, zumal er 2011 die Proteste gegen den Berlin-Besuch von Papst Benedikt XVI. mitorganisiert hat. „Ich gehe auch nicht aus religiösen Gründen, sondern aus spirituellen“, sagt Steinert, der selber Protestant ist und darauf verweist, dass Martin Luther einst das Pilgern nach Santiago als Narrenwerk bezeichnet hat.

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Im vergangenen Jahr hat die Berliner Frauenrechtlerin, Anwältin und Mitbegründerin der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee, Seyran Ates, sich Steinert und einigen Mitstreitern angeschlossen. Sie gingen in zwei Wochen rund 330 Kilometer auf dem „Camino Podiensis“. „Wir waren eine interreligiöse Friedensgruppe“, sagt Ates. Sie empfand das Pilgern, das Wandern, den Weg als „absolute Entspannung“ und habe eine „große Leichtigkeit“ gefühlt. Das Pilgern sei auch im Islam ein wesentlicher Bestandteil; es gehöre neben dem Glauben an den einen Gott, dem Beten, dem Fasten und dem Spenden zu den fünf Grundsäulen der Religion. In diesem August will sie wieder starten.

Im Zeichen der Muschel. Sie ist das Symbol für den Jakobsweg.
Im Zeichen der Muschel. Sie ist das Symbol für den Jakobsweg.

© Kitty Kleist-heinrich

Frank Leutloff vom Vorstand der Jakobusgesellschaft ist vor zwei Jahren den gesamten Jakobsweg von Berlin aus gegangen. Es war eine der größten Erfahrungen seines Lebens. Für die 2800 Kilometer lange Strecke brauchte er dreieinhalb Monate. Dagegen waren die elf Kilometer am Sonntag ein Klacks.

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