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Leiharbeiter werden in den Berliner Kliniken wegen des Personalmangels dringend gebraucht.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Pflegenotstand in Berliner Kliniken: Kalayci treibt Leiharbeitsverbot in der Pflege voran

Krankenhäuser und Pflegeheime brauchen Zeitarbeitskräfte. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci will gegen das Leasing vorgehen.

Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) möchte die Leiharbeit in der Pflege verbieten lassen. Das kündigte Kalayci am Montag im Beisein von Klinik- und Heimbetreibern an. Ein solcher Eingriff in die Unternehmens- und Arbeitnehmerfreiheit lässt sich nur auf Bundesebene regeln: Kalayci sagte, sie kläre nun im rot-rot-grünen Senat, wann Berlin eine Bundesratsinitiative starten wird. Aus Hamburg und Schleswig-Holstein wurde Unterstützung signalisiert.

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Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte sich vor einigen Wochen dahingehend geäußert. Die höheren Summen, die wegen neuer Bundesgesetze für die Pflege an die Kliniken gehen sollen, dürften nicht zum Ausbau der Leiharbeit führen. Extrakosten, die durch Einsatz von Leiharbeitern anfallen, sollen nicht von den Krankenkassen bezahlt werden.

Hintergrund ist eine Neuregelung für 2020: Generell sollen Pflegekosten nicht mehr mit den Pauschalen ausgezahlt werden, die jedes Krankenhaus pro Diagnose und Patient bekommt. So sollen auch jene Kosten berücksichtigt werden, die anfallen, wenn ein Patient länger – als in der Fallpauschale vorgesehen – im Krankenbett bleibt.

Bekannt ist, dass Pflegekräfte aus Kliniken und Heimen von Leasing-Firmen abgeworben werden. Diese verleihen ihr Personal dann zu höheren Kosten. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, die vor allem Pflegeheimbetreiber vertritt, teilte mit, Leiharbeit raube Heimen und ambulanten Diensten dringend benötigtes Personal und verteuere Pflege unnötig.

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) erhält für ihren Vorstoß Unterstützung aus Hamburg und Schleswig-Holstein.
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) erhält für ihren Vorstoß Unterstützung aus Hamburg und Schleswig-Holstein.

© Christoph Soeder/dpa

Judith Heepe, die Pflegedirektorin der Charité, sagte, Pflege sei Teamarbeit, die Patienten bräuchten eingespielte Kollegen – die hohe Fluktuation gefährde die Versorgungsqualität. Wie berichtet, hat die Universitätklinik aus Personalmangel vergangene Woche einen Aufnahmestopp für eine Kinderkrebsstation verhängt.

Andere Branchenvertreter berichteten, dass Leiharbeiter versuchten, Nacht- und Wochenendschichten zu entgehen. Die würden so vom Stammpersonal erledigt, was zu Frust führe – und es Zeitarbeitsfirmen erleichtere, neue Kräfte abzuwerben.

Hohe Fluktuation in der Pflege

Bundesweit sind, so Hochrechnungen, maximal zwei Prozent des Pflegepersonals bei Zeitarbeitsfirmen angestellt. In Berlin liege der Durchschnitt bei sieben Prozent, sagte Marc Schreiner von der Berliner Krankenhausgesellschaft. In einigen Fällen würden 30 Prozent einer Schicht durch Leiharbeiter besetzt.

Circa 45.000 Pflegekräfte sind in Berlin tätig, ausgebildetes Personal gibt es allerdings mehr. Zahlreiche Studien haben deutlich gemacht, dass Pflegekräfte nach einigen Jahren den Job wechseln. Als Gründe dafür geben sie Zeitdruck, Wechselschichten, Bürokratie und geringe Bezahlung an.

Insofern trägt die Unzufriedenheit der Stammbelegschaften dazu bei, dass sich die Mitarbeiter von Leasing-Firmen abwerben lassen. Dort sind die Löhne höher und das Schichtsystem weniger rigide. Am Montag war unklar, ob die Gewerkschaften – wie erwartet wird – Kalaycis Initiative unterstützen.

Leiharbeitsverbot als Eingriff in die Berufsfreiheit

Kritik kam aus der Zeitarbeitsbranche. Thomas Hetz vom Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister sagte: Zeitarbeit in der Krankenpflege sei 2018 sogar rückläufig gewesen, zudem wechsele das Personal wegen der besseren Arbeitsbedingungen zu Leasing-Firmen.

Der Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen teilte mit, ein Verbot greife massiv in die Berufsfreiheit ein, zudem verschärfe es die Personalnot. Viele der noch flexibel tätigen Pflegekräfte würden dann wohl den Beruf wechseln. Je nach Schätzung fehlen in Deutschland zwischen 50 000 und 100 000 Pflegekräfte. Einen Überblick über Berlins Heime gibt es im Magazin „Tagesspiegel Pflege“. Im Tagesspiegel-Shop oder telefonisch unter 030-29021-520.

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