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Die Rettungsstellen müssen sich auf den Ernstfall vorbereiten - und zügig mit dem Coronavirus infizierte Patienten isolieren.

© Kai-Uwe Heinrich

Report aus der Rettungsstelle: Wie sich Berlins Notaufnahmen für den Covid-19-Ansturm rüsten

Zehn-Stunden-Schicht mit Gesichtsmaske, abgesperrte Flure, täglich Krisenstab: Die Kliniken arbeiten im Corona-Modus. Ein Besuch in Berliner Rettungsstellen.

Schnittwunde, Handgelenksbruch, Magenleiden, desorientierter Senior, Ohnmacht, noch mal Schnittwunde, desorientierte Seniorin – alles Neuzugänge einer Berliner Rettungsstelle innerhalb einer Abendstunde.

„Und alle völlig zu Recht bei uns“, schwärmt der diensthabende Arzt. „Normalerweise wären noch zehn Bagatellfälle hier, Leute mit bisschen Wehwehchen und viel Zeit.“ Derzeit kämen auch weniger Patienten nach Schlägereien oder Autounfällen, dazu das aktuelle Besuchsverbot – endlich könne man sich auf die Medizin konzentrieren. Und dann sagt der Arzt einen Satz, dessentwegen er letztlich darum bitten wird, anonym zu bleiben: „Corona sei Dank!“

„Alle die Luft haben, ab auf die Intensivstation“

Dabei weiß der Rettungsmediziner, dass das Virus seine Klinik wohl bald auf eine Probe stellen dürfte: „Alle Kollegen, die jetzt ein bisschen Luft haben, werden für die Intensivstation geschult.“ Epidemiologen warnen vor einem „Massenanfall von Infizierten“, wie es in den Pandemie-Plänen der Bundesregierung heißt.

Gesundheitsminister Jens Spahn spricht von der „Ruhe vor dem Sturm“, Angela Merkel davon, dass Schulen, Kneipen, Läden geschlossen und Ausgangsbeschränkungen wirksam bleiben müssten.

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Weltweit wurden bis Montag fast 725.000 Coronavirus-Infizierte registriert, die Dunkelziffer ist wohl vielfach höher. In Deutschland gibt es bald 60.000 bekannte Fälle, 3000 Betroffene mussten ins Krankenhaus, fast 460 – zuvor schon schwer erkrankte – Patienten starben. Die Viren, offiziell Sars-CoV-2 genannt, können das Lungenleiden Covid-19 verursachen.

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Wegen der Furcht davor, sagt der Rettungsstellenarzt, wagten sich nur noch Notfallpatienten in die Notaufnahmen, und der Lockdown sorge dafür, dass auf den Straßen weniger Schlimmes passiere: „Seit Merkels Rede haben wir circa 25 Prozent weniger Fälle – so können wir uns auf Covid-19 vorbereiten.“

In einem dramatischen Appell hatte die Kanzlerin die Bundesbürger am 18. März auf Solidarität und Disziplin eingeschworen. Seitdem, heißt es auch in verschiedenen Kliniken, seien die Wartezimmer leerer. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci, SPD, befürchtet gar, dass fatalerweise selbst Menschen mit Herzinfarkten aus Angst vor einer Infizierung zu Hause blieben.

Papierkram hält Pflegekräfte von der Arbeit ab

Die Sorge vor der Infektion könnte den Kliniken die nötige Zeit geben, eine Katastrophe abzuwenden. Denn fast überall fehlten zuletzt Pflegekräfte, waren Sanierungen nötig, hielt Papierkram hoch qualifiziertes Personal von Sinnvollerem ab. „Die Chancen stehen nicht schlecht, dass wir das schaffen“, sagt Hendrike Stein. Seit 16 Jahren leitet die Chirurgin die Rettungsstelle des landeseigenen Vivantes-Klinikums in Berlin-Neukölln, eine der größten Notaufnahmen des Landes.

Chefärztin Hendrike Stein leitet die Rettungsstelle im Vivantes-Klinikum Neukölln.
Chefärztin Hendrike Stein leitet die Rettungsstelle im Vivantes-Klinikum Neukölln.

© Hannes Heine

Auch Stein sagt, es kämen 15 Prozent weniger Patienten, zudem seien im Haus planbare Behandlungen verschoben worden – insgesamt aber werde die Arbeit nicht weniger. Wer kann, soll demnächst meist auf den Intensivstationen helfen: Was ist an den Beatmungsgeräten zu beachten? Welche Dokumente sind trotz der von Minister Spahn angekündigten Papierkramvermeidung noch Pflicht? Wie lassen sich Covid-19-Fälle von anderen Patienten trennen?

Flatterband, Warnschild, Schleusentür zum Covid-19-Flur

„Es gibt ein anderes Gemeinschaftsgefühl“, sagt Stein. „Mehr Pragmatismus bei den Entscheidern.“ Für die Ärztin begann eine neue Zeitrechnung. Aus sieben Stunden Nachtruhe wurden fünf, aus einer Rettungsstelle wurden zwei: eine für Covid-Patienten, eine für Nicht-Covid-Patienten. Stein hat einen der Trakte räumen lassen, Flatterband und Warnschilder an die Schleusentür gehängt: Covid-Bereich – Zugang nur mit angelegter Maske. Auch wenn alle Ärzte, Pflegende, Wachleute schon eine tragen.

[Aktuelle Entwicklungen der Coronavirus-Pandemie können Sie hier im Newsblog verfolgen.]

Ein Blick in den abgesperrten Covid-19-Flur: ein Dutzend leere Betten, eine Schwester schiebt ein Gerät hinter einen Vorhang, gefüllte Desinfektionsmittelspender.

Stein ist gerade in ihr Büro gegangen, da klopft es. Herein kommt eine Augenärztin, auf deren Station keine Patienten mehr sind – alle Termine verschoben. Nun soll sie sich mit der Hektik der Rettungsstelle vertraut machen. In den Notaufnahmen kommt es darauf an, rechtzeitig Infizierte zu erkennen.

In Neukölln komme jeden Tag jemand mit Fieber oder Atemnot an, berichtet Stein, der trotz permanenter Corona-Nachrichten nicht an eine Infektion denke. Stein lässt Verdachtsfälle testen, weil die Analyse des Abstrichs aber Tage dauern kann, kommen die Patienten zudem in einen Computertomografen: „So sehen wir Veränderungen an der Lunge.“

Schutzmasken werden weggeschlossen

Wieder klopft es, ein Pfleger mit einer Box neuer Masken unterm Arm. Vor der Krise nahmen sich die Mitarbeiter im Laufe der Schicht fünf, sechs, sieben Einweg-Masken aus dem Stationslager. Nun erhält jeder eine pro Tag, die acht, neun, zehn Stunden halten muss – und nach der Schicht von feuchtem Atem nass ist. „Beliebt macht man sich nicht“, sagt Stein. „Es gibt Streit, wenn ich erkläre, dass wir nicht bei jedem hustenden Patienten eine Hochsicherheitsmaske ausgeben können.“ Die Box bleibt bei der Chefin.

Schon immer systemrelevant. Pflegekräfte waren auch vor der Coronakrise knapp.
Schon immer systemrelevant. Pflegekräfte waren auch vor der Coronakrise knapp.

© Kitty Kleist-Heinrich

Unstrittig, deutsche Kliniken gehören zu den besten der Welt. Ebenso unstrittig: Über Jahre wurden massenhaft Pflegestellen gestrichen, Klinikgebäude vernachlässigt. Die Pandemie erreicht ihren Höhepunkt erst noch, doch Schutzmasken, Handschuhe, Desinfektionsmittel sind schon knapp. Aus privaten, kirchlichen, staatlichen Häusern heißt es, dass Einweg-Artikel zum Wiederverwenden gewaschen und Behandlungen, bei denen auch Kittel üblich waren, nicht immer in Vollmontur durchgeführt werden.

Die Corona-Pandemie verdeutlicht die Probleme des Gesundheitswesens, die Personalnot, das steigende Durchschnittsalter der Patienten, die Finanzierung. Vereinfacht gesagt bekamen Kliniken bis 2003 von den Krankenkassen pro Behandlungstag einen Betrag. Die Versicherungen fanden, das kostete zu viel, schon weil Ärzte ihre Patienten lieber länger als kürzer im Krankenbett beobachten wollten.

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Bundesregierung und Kassen führten die Fallpauschalen ein: Seitdem gibt es je nach Diagnose fixe Beträge, die den tatsächlichen Aufwand oft nicht decken. Lukrativ sind planbare OPs, die nun wegen der Pandemie verschoben wurden. Dass es für Covid-19-Behandlungen ausreichend Geld geben wird, ist bislang ein vages Versprechen der Bundesregierung.

„Schwierige Bedingungen bei Massenanfall von Verletzten“

Neuköllns Krankenhaus ist für 600.000 potenzielle Patienten in Südberlin da. In einem Katastrophenfall wäre es für Verwundete vom Flughafen Schönefeld zuständig. Bedenklich, dass in internen Unterlagen 2015 stand: „Schwierige Bedingungen bei Massenanfall von Verletzten.“ Vergangenes Jahr kamen fast 80 000 Patienten in Steins Notaufnahme an, ausgelegt war sie einst für 25.000 Patienten im Jahr.

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Inzwischen wurden Millionensummen in Bauten und Technik investiert. „Apparate, Medikamente, Schutzmaterial ist das eine, wichtiger ist motiviertes Personal“, sagt Rettungsstellenchefin Stein. „Bei uns in der Notaufnahme geht es gerade so, doch auf den meisten Intensivstationen fehlen Leute.“

Nach Pflegeprotesten hatte Minister Spahn 2019 festgelegt, dass eine Intensivpflegekraft pro Tagesschicht maximal 2,5 Patienten zu versorgen haben sollte. Nicht nur in Berlin, sagen Klinikmanager, sei dies schon vor der Coronakrise nicht einzuhalten gewesen, so viele Pflegende gebe es nicht. Spahn hob die Verordnung nun vorerst auf.

Entscheidend für das Ausmaß der Pandemie wird sein, wie viele Intensivbetten mit Beatmungsgeräten und geschultem Personal es gibt – in Berlin waren es im Januar 1045 solcher Plätze, dann wurden Maschinen bestellt und frühere Intensivschwestern auf die Stationen zurückgebeten. Inzwischen dürfte es 1300 dieser Intensivbetten geben. Was, wenn nicht Hunderte, sondern Tausende einen Beatmungsplatz brauchen?

Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci will eine Covid-19-Klinik auf dem Messegelände eröffnen.
Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci will eine Covid-19-Klinik auf dem Messegelände eröffnen.

© Kay Nietfeld/dpa

Die große Mehrzahl der Fälle wird nicht so schwer verlaufen, aber medizinische Hilfe brauchen. Senatorin Kalayci lässt deshalb eine Ad-hoc-Klinik auf dem Messegelände errichten. Noch steht nicht fest, woher die bis zu 800 Mitarbeiter dafür kommen sollen. Vielleicht wird das Covid-19-Zentrum auch nicht wie geplant im April, sondern im Mai eröffnet. Im Senat suchen sie noch einen Betreiber: Möchte Vivantes?

Zentrale Informationen zur Coronakrise in Berlin:

In Neukölln klopft es wieder an Steins Tür, ein Pfleger bringt vier Kisten mit je 1500 Einweg-Handschuhen. Auch die werden eingeschlossen, der Kollege muss weiter, ein Patient wartet. Senat und Bundesregierung setzen voll auf das Engagement der Mitarbeiter in den Kliniken. Was ist mit den Arztpraxen? Offenbar hatten die keine Vorräte an Schutzmaterial angelegt, viele niedergelassene Mediziner empfangen gerade keine Patienten. Und die Gesundheitsämter? Jede fünfte Stelle in Berlins öffentlichem Gesundheitsdienst ist unbesetzt.

„Immerhin“, sagt Stein, „sind die Wege zwischen den Disziplinen kürzer, die Hierarchien ein bisschen flacher geworden.“ Jeden Tag 12.30 Uhr trifft sich Stein mit anderen Chefs zum hausinternen Pandemie-Stab: Wie viele neue Fälle gibt es, wer braucht Personal, was sagt aktuell das Robert-Koch-Institut?

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Maximalversorgung? „Wollen wir aufrecht erhalten“

Bislang verspricht das deutsche Gesundheitswesen jedem Versicherten eine Behandlung auf dem Stand der Forschung. „Alle haben sich an eine Art Maximalversorgung gewöhnt“, sagt Stein. „Wir hoffen natürlich, die aufrechterhalten zu können.“ Schon vor der Pandemie aber mussten in Neukölln unerfreuliche Entscheidungen getroffen werden, wenn 30 Patienten in einer Stunde ankamen: demente Heimbewohner, Opfer von Messerstechereien, überforderte Familien nach Haushaltsunfällen.

Wer zuerst drankommt, wird nach einem Triage-System entschieden, von „trier“ – französisch für „sortieren“. Erfahrene Pflegende teilen die Patienten dabei in Dringlichkeitsstufen ein: Verdacht auf Schlaganfall wird gleich behandelt, Platzwunden später.

Die Furcht vor Covid-19, letztlich vor dem Ersticken, macht vor den Helfern nicht halt. Vergangene Wochen, das sagte ein Amtsarzt, seien zehn Prozent der nachweislich mit Corona infizierten Berliner im Gesundheitswesen beschäftigt gewesen. Doch ohne die Ärzte und Pflegenden in den Krankenhäusern, das werden die nächsten Wochen zeigen, funktioniert kein Krisenplan.

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