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Die Tulpe kommt aus Holland? Wenn es nur so einfach wäre.

© Evert Elzinga/ANP/dpa

Pflanzenwelt in Berlin: Woher kommen die Blumen?

Noch bietet die Erde in vielen Beeten einen tristen Anblick. Doch bald blüht es üppig – dank blumiger Einwanderer.

Von Markus Lücker

In den Parks, in den Gärten und selbst auf den Küchentischen wird es bald endlich wieder grün und bunt: Der Frühling kommt und mit ihm die typisch europäischen Frühlingspflanzen. Tulpen, Schneeglöckchen, Hyazinthen – der Anblick ist so erfreulich wie altvertraut. Doch was da bald so herrlich blüht, sind oft gar keine einheimischen Traditionsgewächse, sondern eine Ansammlung von botanischen Kulturimporten. Wissenschaftler und Händler brachten viele der Blumenarten erst in den vergangenen Jahrhunderten nach Zentraleuropa. Im vergangenen Jahr haben die Berliner Bezirke mehr als 250 000 Euro für Blumen ausgegeben. Für 2018 liegt der Betrag nur unwesentlich niedriger.

Das Schneeglöckchen

So zart wie ein Seidentüchlein und trotzdem widerspenstig. Ist die Eiche der Baum der Deutschen, so spricht keine Blume mehr zur germanischen Seele. Während sich andere Blumen noch in ihren Zwiebeln verkriechen, lässt das Schneeglöckchen seine Blüte bereits willensstark in der Winterkälte hängen. Nur kommt Galanthus, so der wissenschaftliche Name, eigentlich aus Italien und vom Balkan.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist die Blume in Deutschland noch völlig unbekannt. Erst 1588 taucht sie im Garten des Gelehrten Joachim Camerarius in Nürnberg auf. Mit der Renaissance entsteht ein neues Interesse an der Pflanzenwelt. Ärzte gehen für ihr Studium nach Frankreich und Italien. Wieder zu Hause, legen sie Gärten an, um die Heilwirkung mitgebrachter Pflanzen zu erforschen. Beim Schneeglöckchen vergebens: die Blume enthält giftige Alkaloide und wandert in die Lustgärten der Oberschicht.

Die Tulpe

Kommt aus Holland? Falsch. Zentralasien ist die Heimat der Pflanze. Dort wächst das Blümlein unauffällig auf Grashöhe. Angepasst an nächtliche Steppenwinde sind auch die Zuchtformen abgehärtet gegen die Kälte des europäischen Winters. Der Weg der Tulpe führt von Persischen Gärten zu den Sultanen in der Türkei.

Das verrät auch der Name. Tülband bezeichnete im Türkischen den Turban. 1554 reist der kaiserliche Gesandte Augerius Ghislain de Busbecq nach Adrianopel, das heutige Edirne. Dort wird ihm die fremdartige Pflanze angeboten. Wegen der Ähnlichkeit zwischen Kopfbedeckung und Blüte überträgt Busbecq das Wort für Turban fälschlicherweise auf die Blume.

In Europa angekommen, löst die Tulpe in Holland eine Spekulationsblase aus. Unter Historikern wird die Dramatik der Tulpenmanie jedoch mittlerweile angezweifelt. Lange hielt sich das Bild von Zwiebelpreisen, die für ein Eigenheim reichten. Nach dem Tulpencrash von 1637 ertränken sich angeblich die bankrotten Spekulanten in den Kanälen. 2007 rekonstruiert die Londoner Professorin Anne Goldgar: alles Übertreibung. Die meisten Legenden gehen wohl auf satirische Lieder aus der Zeit zurück.

Die Hyazinthe

Richtig Urgermanisch wirkt sie ja nicht mit ihrer extravaganten Form. Der Name stammt aus Ovids Metamorphosen: Hyakinthos, Geliebter des Sonnengotts Apoll. Bei einem Sportunfall donnert dem Jüngling ein Diskus ins Gesicht und bringt ihn um. Aus dem Blut lässt Apoll die Hyazinthe sprießen. Doch Ovids Geschichte meint vermutlich eine völlig andere Pflanze. Im 16. Jahrhundert wird der Name auf unsere Hyazinthe übertragen.

Die Hyazinthe ist ein weiterer Türkeiimport über die Mittelmeerroute. Zuvor wurde die Blume in den Gärten von Aleppo und Bagdad kultiviert. Der Gesandte Busbecq schreibt in seinen Reiseberichten aus der Türkei, wie er Kopfschmerzen vom Duft der vielen Blüten bekommt. In Deutschland wird die Blume zur Trendpflanze. 1815 werden vor Berlin felderweise Hyazinthen gezüchtet. 4,5 Millionen Pflanzen wuchsen hier jährlich heran – ein beliebtes Ferienziel. Um 1900 verdrängt die wachsende Stadt jedoch das Blumenmeer.

Die Narzisse

Wieder Ovid: Nachdem sich der Jüngling Narkissos danebenbenommen hat, verflucht ihn die Rachegöttin Nemesis. Narkissos verliebt sich in sein eigenes Spiegelbild und welkt zu einer Blume dahin – so der Mythos der Narzisse. Doch geht es hier gar nicht um die in Deutschland verbreitete gelbe Osterglocke, sondern um die Narcissus poeticus, die weiße Narzisse.

Je nach Definition verteilen sich zwischen 15 und 35 Narzissenarten rund um das Mittelmeer. Mit den hiesigen Temperaturen kommen lediglich die gelbe und weiße Variante klar. Aber auch die sind bis ins 16. Jahrhundert in Deutschland weitestgehend unbekannt. Nur der um 1200 geborene Regensburger Bischof Albertus Magnus berichtet von einer „narcissus“, die dem Porree ähnlich sei. Wie schon häufiger in der Geschichte scheitert der Invasor bei seiner natürlichen Ausbreitung zunächst an der Rheingrenze. Doch die Oberschicht schätzt die unterschiedlichen Narzissenarten und importiert sie für ihre Gärten.

Ähnlich ist die Geschichte der Krokusse. Die Frühlingsklassiker sind ursprünglich im Mittelmeerraum bis Vorderasien verbreitet. Nur eine Art schafft es über die Alpen bis ins südliche Bayern vorzudringen. Erst die aufkommenden Gartenanlagen bringen die Krokusse auch in den Rest des Landes.

Was sonst noch so blüht

Forsythien? China. Magnolie? Amerika. Und im Sommer wird es noch exotischer. Bereits die Azteken schätzten die Studentenblume für ihre berauschende Wirkung. Begonien wurden von Jamaika nach England gebracht. Wer bei Frühjahrsblumen tatsächlich Wert darauf legen sollte, dass keine Einwanderer mitblühen, dem bleiben hauptsächlich Primeln, Stiefmütterchen und Gänseblümchen. Na dann: Auf einen bunten Frühling.

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