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Pfarrerin Claudia Scheufele wacht über 1300 Seelen in Rahnsdorf, einem Ortsteil von Treptow-Köpenick.

© privat

Pfarrerin Scheufele über Seelsorge in der Corona-Krise: "Die Senioren waren ganz verwundert, dass sie plötzlich Post bekamen"

Was macht eine Pfarrerin, wenn das Gemeindeleben zum Erliegen kommt? Sie chattet und lässt Briefe schreiben. 

Die Kirchen sind geschlossen, die Chöre verstummt, nur die Glocken läuten noch gelegentlich. Aber nicht mehr zum Gottesdienst. Was macht man in solchen Zeiten als Pfarrerin? Claudia Scheufele ist zuständig für rund 1300 evangelische Christen am südöstlichen Stadtrand in Rahnsdorf, schon seit 24 Jahren. Aufgewachsen ist die 60-Jährige in Prenzlauer Berg. Nach der Schule lernte sie zunächst Krankenschwester.

Sitzen Sie jetzt auch im Homeoffice und erledigen alle Amtspflichten per Mail und Telefon?
Überwiegend. Ich habe jetzt alle Medien eingeschaltet, um meinen Aufgaben nachzukommen. Da spielt das Telefon eine große Rolle, besonders für die älteren Menschen. Wir haben die Telefonnummer des Gemeindebüros zur Hotline ausgebaut, da ist jeden Tag jemand erreichbar. Für die Jüngeren gibt es die anderen Medien, zum Beispiel chatte ich mit den Konfirmanden in einer virtuellen Konfirmandenstunde via WhatsApp zu den Zeiten, in denen sie normalerweise Konfirmandenunterricht haben. Das ist natürlich etwas mühsam, aber mir ist wichtig, dass sie nicht aus ihrem Rhythmus herausfallen. Ich lasse mir Fragen einfallen und rege sie an, über Dinge nachzudenken.

Was belastet denn derzeit die Gemeindemitglieder am meisten?
Es ist schon die Traurigkeit, dass vieles nicht mehr stattfinden kann. Gestern hätten wir Seniorennachmittag gehabt, die Älteren freuen sich immer sehr darauf, wenn sie sich zweimal im Monat treffen können. Aber wir haben versucht darauf zu reagieren und zusammen mit den Konfirmanden die Idee entwickelt, dass wir doch einfach Briefe schreiben könnten an die Senioren, das war eine schöne Erfahrung. Jeder bekam einen Namen und legte dann los. 30 Briefe sind so entstanden. Ich hatte im ersten Moment gedacht, die Jugendlichen können das gar nicht mehr, so Papier beschreiben. Aber sie hatten wirklich Lust darauf und fast alle haben sich hingesetzt. Das Echo war sehr positiv, die Senioren waren ganz verwundert, dass sie plötzlich Post bekamen.

Und die Senioren schreiben jetzt zurück?
Habe ich angeregt, aber ich weiß noch nicht, ob das funktioniert. Da gibt es auch Hemmungen. Eine Dame, weit über 90, hat mich schon angerufen und gefragt: Was soll ich denn jetzt machen, Frau Scheufele? Da hab‘ ich gesagt: Sie brauchen gar nichts machen, Sie können sich einfach dran freuen.

Was machen denn ihre Kirchenmusiker und der Chor?
Das ist wirklich ganz schlimm. Allein der Kirchenchor hat 50 Mitglieder. Die sind jetzt völlig ausgebremst, alle Projekte für dieses Jahr sind auf Eis gelegt. Unser Kantor ist dabei zu überlegen, wie er Material zur Verfügung stellen kann, damit die Sänger weiter üben können.

Gibt es auch einen virtuellen Gottesdienst?
Wir haben von Anfang an, also schon am ersten Sonntag, als die Anordnung kam, dass Versammlungen mit mehr als 50 Menschen nicht mehr erlaubt sind, eine 20-minütige Andacht als Livestream ins Netz gestellt. An dem Sonntag sollten sich die Konfirmanden vorstellen. Es gibt im Gemeindekirchenrat einen gewieften jungen Mann, der hat sich um die Technik gekümmert. Das ist natürlich sehr gewöhnungsbedürftig. Man steht dann im Kirchenraum, blickt in die Kamera, nur ein paar Leute vom Gemeindekirchenrat und ein Musiker sind dabei, die Zuhause sieht man ja nicht. Beim letzten Mal waren 50 Haushalte zugeschaltet, mehr als in den normalen Gottesdienst kommen. Es kamen dann Rückmeldungen wie: Ach, das war total schön, wir haben uns so heimatlich verbunden gefühlt. Ich war ja erst ganz unsicher, weil es doch wunderbare Rundfunk- und Fernsehgottesdienste im Angebot gibt, warum sollte ich darüberhinaus noch was produzieren. Aber das stimmt nicht. Wonach sich die Menschen sehnen, ist die gewohnte Verbundenheit.

Es schafft eben doch ein wenig Gemeinschaftsgefühl, in diesen merkwürdigen Zeiten, in denen jeder auf sich zurückgeworfen ist.
Vielleicht ist es auch das Improvisierte, dass die Menschen miteinander überlegen, wie wir das hinkriegen, und dann muss es auch gar nicht perfekt sein. Es kamen auch Rückmeldungen, der Ton habe gewackelt, ein paar Blumen hättet ihr noch aufstellen können. Wir können voneinander lernen und es das nächste Mal besser machen. Wir blenden jetzt auch die Seiten vom Gesangbuch ein, damit zuhause auch alle mitsingen können.

[Dieser Text ist zuerst im Leute-Newsletter für Treptow-Köpenick erschienen. Sie können die Newsletter aus allen zwölf Berliner Bezirken hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Ist das schon die Blaupause für das Osterfest?
Man hofft natürlich immer noch ein bisschen, dass sich die Regelungen lockern, aber ich halte das nicht für realistisch. Und wir wollen dann natürlich alles Mögliche nutzen. Es gibt ja den Vorschlag von der Kirchenleitung, dass alle Bläser zu einer bestimmten Zeit ihr Instrument nehmen und vom Balkon – das wäre dann bei uns in Rahnsdorf eher der Garten – einen Choral blasen. Wir würden gerne einen Trompeter auf unseren Kirchenturm stellen. Vielleicht können wir auch vor der Kirchentür etwas machen, aber da gibt es noch nichts Konkretes.

Thematisieren Sie diese Pandemie auch inhaltlich in den Andachten oder im Gemeindebrief?
Natürlich, ich rede ja nicht an der Realität vorbei. Wir sind in der Passionszeit, da geht es um das Leiden und Sterben Christi und das kann man sehr gut mit der aktuellen Situation verbinden. Ich denke, dass das gemeinsame Gebet und die gegenseitige Fürbitte viele als ausgesprochen entlastend empfinden.

Es gibt aber auch Leute, die sagen: Das ist die Strafe Gottes…
Das ist dann die Frage der Deutung, da wäre ich sehr vorsichtig, so würde ich das nicht auslegen. Schon eher, dass wir aus der Krise lernen, dass wir auf uns zurückgeworfen werden, dass uns leidvolle Erfahrungen zugemutet werden, damit wir unser Leben korrigieren. In der Krise liegt eben auch eine Chance zur Umkehr. Wie erfahren, dass es uns guttut, füreinander einzustehen und dass wir als Christen aus unserem Gottvertrauen viel Kraft schöpfen können.

Wie besorgt sind sie persönlich, dass Sie sich anstecken könnten?
Da ich schon mal als Krankenschwester gearbeitet habe, nehme ich das sehr ernst und gehe achtsam mit mir und anderen um. Ich finde es vor allem wichtig, dass man niemanden drängt, doch mal vorbeizukommen. Wir haben zum Beispiel in der letzten Woche noch die Kirche geputzt, weil es Bauarbeiten gab, da hatte ich aber schon ein schlechtes Gewissen. Ich habe aber nicht wirklich Angst, dass ich mich anstecke. Es kann auch nach wie vor jeder zu mir kommen, immer dienstags um 18 Uhr beim Glockenläuten bin ich in der Kirche, wir können uns dann draußen auf eine Bank setzen oder auch drinnen in der Sakristei, die ist geheizt.

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