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Berlin: Peter Willmeroth (Geb. 1936)

Er reiste in die Vereinigten Staaten, um sich Einkaufszentren anzuschauen

So etwas hatte man in Deutschland Anfang der siebziger Jahre noch nicht gesehen. In Scharen standen die Menschen vor dem gewaltigen Gebäude in der Münchner Leopoldstraße und staunten über die fast fensterlose Fassade, auf der in Rot und Orange und Gelb die Sonne aufging, und hinter der sich die ganze große Welt des Konsums auftat. Schon der Name ein Versprechen: „Schwabylon“, ein Wortgefüge aus dem Stadtteil der Bohèmiens und der sagenhaften Stadt am Euphrat. Alles konnte man in diesem riesigen Reich machen: eine römische Therme besuchen, einkaufen, wohnen, arbeiten, essen, ins Kino gehen, Roulette spielen und sich im „Yellow Submarine“ vergnügen, einem Nachtlokal, das umgeben war von einem Wasserbecken, in dem dreißig Haie schwammen.

Peter Willmeroth hatte Anteil an diesem ersten deutschen Einkaufskomplex nach amerikanischem Vorbild. Er begutachtete den Standort, hatte Ideen zur Nutzung des Areals, beaufsichtigte die Sanierung und Vermietung der Ladenflächen. Ihn faszinierte die Vorstellung, sich ein Paar Schuhe auszusuchen oder eine Hose, zwischendurch einen Kaffee zu trinken und dann, da es spät geworden war, im selben Gebäude schnell noch eine Flasche Milch und ein Brot einkaufen zu können.

Nach dem „Schwabylon“ kam das „Motorama“, in dem ein Autohaus neben dem anderen lag, nach dem „Motorama“ das Zentrum in der Berliner Siemensstadt, dann das „Europa-Center“ und das „Kurfürstendamm-Karree“. 1980 gründete Peter Willmeroth seine eigene Firma, „msc“, entwickelte und modernisierte mehr als 30 Einkaufszentren von Hamburg bis nach Moskau.

Dabei war er kein spröder Rechner, dessen Krawattentuch immer korrekt saß. Er hatte Architektur studiert, Möbel entworfen, in einer Augsburger Galerie zeitgenössische Malerei ausgestellt. Er war mit der Künstlergruppe „Die Ecke“ nach Ost-Berlin gefahren und hatte wilde Feste im „Berliner Ensemble“ gefeiert. Er lud Freunde ein in sein Wochenendhaus in der Nähe von Landsberg am Lech, wo sie lange Nächte hindurch redeten und feierten und am Tage durch die Wälder ritten. Er liebte die Musik, den Wein, George Grosz und die Frauen und zeugte zwei Söhne. 1975 war er der erste Mann in Deutschland, der das Sorgerecht für ein uneheliches Kind erhielt.

Er zog von München nach Berlin. Er sah Ben Wagin auf einer Demonstration vor dem Reichstag, trat auf ihn zu und sagte: „Mach weiter so“, eine lebenslange Freundschaft entstand. Er reiste in die Vereinigten Staaten, um sich die neuesten Einkaufszentren anzuschauen.

Während einer seiner Aufenthalte in Miami Beach begegnete ihm Ati. „Auf keinen Fall gehe ich zurück nach Deutschland, und heiraten werde ich auch nie“, hatte sie gesagt. Nach zehn Tagen verlobten sich die beiden, nach fünf Monaten gingen sie zum Standesamt. „Wir geben euch ein Jahr“, sagten die Leute. Aber nach 32 Jahren saßen sie noch immer gemeinsam unter den Apfel- und Walnussbäumen in ihrem Garten bei Bozen und blickten auf die Dolomiten, weit weg von den breiten Straßen der Städte, den Einkaufsgalerien, den Baustellen und dem Büroalltag, legten hin und wieder ihr Klettergeschirr an und stiegen 3000 Meter in die Höhe. Sie liefen durch die Gassen von Venedig und reisten nach Laas in Südtirol, wo er sich Stücke des reinsten weißen Marmors aussuchte und daraus Skulpturen schuf.

Und sie fuhren nach Brandenburg. An einem Tag, vor Jahren, spazierten sie um den Seddiner See. „Dort“, sagte Peter Willmeroth und wies auf den Friedhof von Kähnsdorf, bestanden mit Birken, „dort möchte ich begraben werden.“ Es gab nichts, was auf den Krebs hingewiesen hätte. Vor kurzem noch war er den Pisciadu in den Dolomiten hinaufgestiegen und über Kreta gewandert und hatte mit Ati wohl so etwas wie Glück empfunden. Tatjana Wulfert

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