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"Löwenzahn"-Moderator Peter Lustig vor dem Schöneberger Rathaus: "Ein harter Tag"

© Röhlig

Peter Lustig über John F. Kennedy: „Ich habe gar nicht zugehört“

Bei Kennedys Rede war er Tontechniker der Amerikaner. Zum Tod der Fernsehlegende Peter Lustig lesen Sie noch einmal ein Interview über Ost und West, den großen Tag - und eine große Liebe.

Herr Lustig, als John F. Kennedy seine Rede hielt, waren Sie der zweitwichtigste Mann für die Amerikaner in Deutschland. Wie kam das?

Ich war Tontechniker beim American Forces Network in Berlin. Ich habe Kennedys Rede aufgezeichnet und an den Sender gegeben. Aber ich habe Kennedy nicht gesagt, was er sagen soll (lacht).

Standen Sie mit ihrem Mikrofon direkt vor dem Präsidenten?

Nein, die ganzen Mikrofone waren vom Weißen Haus, die hatten Angst, dass jemand eine Bombe am Rednerpult platziert. Ich habe nur das Kabel bekommen, über das die Rede kam, da habe ich meine Technik reingestöpselt. Kennedy hatte ja mehrere Stationen in Berlin, an der Mauer, am Brandenburger Tor und so weiter, und ich musste zusehen, dass ich mit meinem Zeugs rechtzeitig hinterherkomme. Es war ein harter Tag für mich.

Wo waren Sie denn mit Ihrer Technik?

Ich hatte einen Platz auf einem von mehreren Gerüsten, die für die Presse aufgebaut worden waren. Ich war relativ nah dran. Näher bin ich ihm nie gekommen.

Wie war die Atmosphäre vorm Rathaus Schöneberg?

Der ganze Platz bebte. Unten standen 400.000 Menschen, die brüllten. Man konnte sich gar nicht gegen die Begeisterung wehren. Auf dem Gerüst war die Vibration spürbar und ich hatte auch ein bisschen Angst, dass das Gerüst umkippt.

Was viele nicht wissen: Ihre Ehefrau war damals auch dabei, sie stand direkt zu Ihren Füßen …

Der Satz gefällt mir! (lacht) Wir kannten uns damals noch nicht, sie war ja eine Jugendliche, 14 Jahre alt. Und ich 26. Als wir uns kennenlernten, kamen wir ziemlich schnell auf Kennedy zu sprechen. Wir schauten uns an und sagten: Wie, du warst auch da? Wir haben dann versucht zu rekonstruieren, wer wo stand. Und tatsächlich, meine Frau stand direkt unter dem Gerüst.

Wie fanden Sie Kennedy?

Ich war nicht so politisch, dass ich den jetzt geliebt hätte oder Aversionen gegen ihn entwickelt hätte. Der war halt der Präsident und der war okay.

Ahnten Sie an diesem Tag, welche Tragweite die Rede haben würde?

Ich habe ja gar nicht zugehört, der sagte da vorne was, der Gute, ich dachte, naja, wird schon richtig sein. Als Techniker musste ich gucken, dass ich das Zeug gut rüber zum Sender kriege. Ich konnte nicht über den Inhalt nachdenken.

Aber der Satz muss Sie doch auch ergriffen haben, oder?

Als der Satz kam, habe ich mich schon gefreut. So ganz taub ist man dann ja doch nicht. Das hat doch das Selbstbewusstsein der Berliner unheimlich gestärkt. Wir sind wer! Um das zu begreifen, musste erst der oberste Ami kommen und sagen: Ihr seid toll, Jungs, sogar ich bin ein Berliner.

Wie waren die amerikanischen Kollegen, waren das alles Soldaten?

Das waren tolle Jungs, vor allem die sogenannten Anouncer, also die Ansager. Die waren ganz locker, hatten nicht viel am Hut mit Vaterlandsverteidigung, sondern wollten in Berlin eine gute Zeit haben. Mit einigen hatte ich auch in der Freizeit Kontakt. Ich liebte die Amis natürlich auch, weil ich im PX einkaufen konnte, ich bekam den guten Whisky, Lucky Strike und die großen T-Bone-Steaks.

Die Rede in Berlin war Kennedys letzte vor großem Publikum, im November wurde er ermordet.

In Deutschland war es Abend, ich war damals im Sender. Stopp, keine Show mehr, hieß es. Das Programm wurde jäh unterbrochen, dann ein paar Minuten Stille, bis die Moderatorin sagte: Präsident Kennedy ist tot. Ein Schock.

"Der Lustig kann vor der Kamera reden"

Jahre später sind Sie als Erklärer in der ZDF-Kindersendung Löwenzahn berühmt geworden.

Komisch, ja. Da sitzt einer vor dem Präsidenten als Tontechnikus und auf einmal macht der eine Sendung über Natur, Umwelt und solche Sachen. Naja, das hat sich halt so entwickelt.

Wie denn?

Bei einer Video-Aufnahme mit der Band „Ton Steine Scherben“ war ich Tonmeister, und bei der Arbeit habe ich den Regisseur kennengelernt. Wir haben uns unterhalten und nachdem wir die abgedreht hatten, sagte der Regisseur: Also dieser Lustig, wenn man dem ein rohes Ei auf der Glatze grillt, müsste das ein hübsches Bild geben. Und das haben wir dann gemacht, für den Jugendfunk, wurde nie gesendet, war zu schweinisch irgendwie. Aber so fing das an, später haben wir zusammen eine Kindersendung für den Bayrischen Rundfunk gemacht und anderes.

Wie kamen Sie dann zum ZDF?

Eines Tages hatten die in Mainz die Idee, selbst was für Kinder zu machen, die ARD hatte ja die „Sesamstraße“ und „Die Sendung mit der Maus“. Die kamen auf mich, weil sie gesagt haben, der Lustig kann doch vor der Kamera reden. Außerdem ist er Ingenieur, der weiß also, wovon er spricht. Der erste Produzent hat mir gesagt: Gehen sie erstmal ein Toupet kaufen. Aber ich bin so geblieben wie ich war, ich habe nicht eingesehen, warum ich auf einmal schrecklich viele Haare haben sollte. Die Kinder haben es gemocht, auch die Erwachsenen. Ich wollte das eigentlich gar nicht machen, ich wollte ein braver Techniker sein. Aber man hat mich nicht gelassen. So war das.

"Löwenzahn" gibt es schon eine Weile nicht mehr. Aber als Großvater von neun Enkeln müssen sie immer noch ganz schön viel erklären, oder?

Wenn die Enkel da sind, ja. Ich mache das auch immer noch sehr gerne. Einmal hat meine Enkelin Nina, da war sie fünf oder sechs, bei uns Löwenzahn geguckt. Als wir den Fernseher nach der Sendung ausgeschaltet haben, ist sie hinter den Apparat gekrochen und hat gesagt: Opa, du kannst jetzt rauskommen.

Wie würden sie Ihrer Enkelin die deutsche Teilung näher bringen?

Oh, das ist schwierig, da müsste ich eine Geschichtsstunde geben. Ich müsste mit dem Krieg anfangen, dann zu den Besatzungsmächten kommen und dann zur Mauer. Krieg alleine müsste ich schon erklären; was das überhaupt bedeutet. Als ich meinem Sohn mal erzählt habe, dass ich richtigen Hunger hatte, dass nichts zu essen da war, konnte der das gar nicht begreifen. Oder Bomben, das ganze Kriegsgewirr. Da müsste ich also ganz viel reden. Und irgendwann würde ich dahin kommen, dass der gute Ami aus der einen und der böse Russe aus der anderen Richtung kam. Dann haben sie das große Hackebeil genommen und Deutschland geteilt. Vielleicht würde ich meiner Enkelin auch gar nichts vom Krieg erzählen und ganz einfach sagen: Werde ein guter Mensch, damit dir so etwas nicht passiert.

Wie war Ihr Verhältnis zu Ost-Berlin?

Ich war oft da. Als die Mauer gebaut wurde, ist ein Kommilitone von mir im Osten geblieben, den Kontakt habe ich gehalten und ihm immer wieder Sachen gebracht, die er brauchte. So habe ich die Archenhold-Sternwarte in Treptow mitfinanziert. Dieser Kommilitone ist dort irgendwann Direktor geworden, und ich habe ihm alles Mögliche gebracht, was gefehlt hat, Schrauben zum Beispiel. Ich kriege immer noch Angst, wenn ich an so eine Vopo-Uniform denke, da sträubt sich bei mir alles. Irgendetwas Verbotenes hatte ich eigentlich immer im Auto. Teilweise war ich jede Woche drüben – als Kleinkurier der Freiheit.

Haben sie den Ost-Berlinern auch manchmal die Welt erklärt?

Nein, das musste ich nicht. Die haben ja alle westdeutschen Rundfunk gehört. Die durften nur den Zeiger nicht auf der Frequenz stehen lassen, das wäre aufgefallen.

Sie haben zehn Jahre lang auf Mallorca gelebt, danach zehn Jahre lang in Schleswig-Holstein – jetzt sind Sie und Ihre Frau wieder in Berlin. Wie kam das?

Wir sind beide Großstadtkinder, sie ist in Berlin geboren, ich in Breslau, das sind ja eh die größeren Berliner (lacht). Wir haben uns an unsere Wurzeln erinnert und für einen alten Menschen ist das auch besser, man hat die Apotheke um die Ecke und die Kneipe.

Was halten Sie heute von den Amis?

Das sind schon seltsame Menschen. Man spürt, dass sie alte Siedler sind: Manchmal sind sie schrecklich doof, manchmal schrecklich innovativ – einfach probieren, diese Einstellung gefällt mir. Die Mischung fasziniert mich bis heute. Ich mag die Amis.

Was hätten Sie zu dem Angebot gesagt, die Rede von Barack Obama in der letzten Woche als Tontechniker zu begleiten?

Ich hätte das gar nicht mehr machen können. Technisch hat sich so viel verändert. Wenn ich die Geräte von heute sehe, weiß ich gar nicht, was das für Dinger sind. Aber die Ohren habe ich noch, natürlich. Ich schimpfe immer noch zu Hause vorm Fernseher, wenn ich höre, dass der Ton falsch gepegelt wird.

Das Gespräch führten Jana Giola Baurmann und Marc Röhlig. Das Gespräch erschien anlässlich des 50. Jubiläums des Kennedy-Besuchs am 26. Juni 2013 in unserer Reihe "Ich bin ein Berliner".

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