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Hilfe für arme Kinder. Die Jugendämter sind seit Jahren überlastet.

© Jörg Carstensen/dpa

Personalmangel und Anstieg der Fallzahlen: Jugendämter in Berlin schlagen Alarm

Die Jugendämter suchen dringend nach Fachkräften und haben mit steigenden Fallzahlen zu kämpfen. Ein Überblick über die Herausforderungen.

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Darum haben Jugendämter in Berlin mehr zu tun

Jede Gesellschaft baut auf die nachfolgende Generation. In einer Großstadt wie Berlin mit hoher Scheidungsrate, prekären Wohnverhältnissen und vielen Eltern mit seelischen Problemen brauchen aber viele Menschen Hilfe vom Staat. Hier greifen vor allem die Jugendämter. „Wir haben eine kontinuierlich steigende Belastung“, sagt etwa Falko Liecke, (CDU), stellvertretender Bezirksbürgermeister und Stadtrat für Jugend und Gesundheit in Neukölln.

Viel mehr zu tun als früher haben die Mitarbeiter für die Auszahlung des Unterhaltsvorschusses. Wenn Väter nicht zahlen, springt das Amt ein, und seit 2017 auch für über Zwölfjährige, und bis zum 18. Lebensjahr. „Da haben wir einen Anstieg der Fallzahlen um 60 Prozent“, sagt Liecke. Bearbeitet würden jetzt vor allem die Fälle der Mütter, die von den Zahlungen abhängig sind, also jene, die nicht ALG-II-Leistungen beziehen.

Neukölln muss zudem Jugendliche weiter im betreuten Jugendwohnen halten, obwohl die jungen Leute zumeist selbstständig ihren Alltag planen und auch eine eigene Wohnung finanzieren könnten. Doch es gibt keine Wohnungen auf dem Markt. Die Höhe der Kosten, die gespart werden könnten: eine halbe Million Euro pro Jahr für rund 40 Jugendliche. Zugleich werden keine Plätze für nachrückende, bedürftige junge Menschen frei. Auch – kostengünstigere – Pflegefamilien fehlen, obwohl sie für die Entwicklung vieler gerade jüngerer Kinder wertvoll wären. Kinderschutz ist auch ein Thema. Das ist Neukölln wichtig, immer mehr Fälle werden gemeldet, aber auch hier fehlt Personal. Wie berichtet, hat sich der Notstand in den bezirklichen Jugendämtern weiter verschärft. In Berlin ist jede fünfte Stelle unbesetzt.

Warum selbst Neueinstellungen nicht gleich helfen

Berlin solle sich bitte dringend ein Beispiel an Hamburg nehmen, appelliert Falko Liecke. Die Hansestadt zahlt Neueinsteigern eine Gehaltsstufe höher. Ein Sozialarbeiter, verheiratet, zwei Kinder, beginnt in Berlin als Neueinsteiger in der Angestellten-Gehaltsgruppe E9 mit 2100 Euro netto. „Und dabei muss er Entscheidungen fällen, bei denen es teils um Leben und Tod geht.“ Überhaupt: selbst wenn Personal gefunden werde, wären nicht die Probleme gelöst. Berufseinsteiger seien Mitte Zwanzig, unerfahren, stünden plötzlich in einer Problemfamilie, seien oft überfordert. „Bis jemand eingearbeitet ist, dauert es zwei, drei Jahre“, sagt Neuköllns Jugendstadtrat. Wichtig seien Supervision, Fortbildungen, die allerdings Zeit kosten.

Kostenfaktor: Hilfen zur Erziehung

Die Finanzhilfen zur Erziehung, die junge Menschen in schwierigen Lebenslagen unterstützen und Familien entlasten sollen, haben in Berlin eine neue Rekordhöhe erreicht.2018 werden für diese – im Sozialgesetzbuch verankerten – Leistungen voraussichtlich 605 Millionen Euro ausgegeben. Fachlich zuständig sind die Jugendämter der Bezirke. Damit haben sich die öffentlichen Ausgaben im Vergleich zu 2006, als auch bei den Sozialausgaben kräftig gespart wurde, fast verdoppelt. Eine detaillierte Kostenanalyse für 2018 wird es wohl erst am Jahresende geben, die Bildungs- und Jugendverwaltung des Senats befindet sich noch in Abstimmungen. 2017 wurden in Berlin je tausend Einwohner 32,3 Hilfen zur Erziehung gezählt. Besonders hoch waren die Fallzahlen in Marzahn-Hellersdorf (48,8) und Neukölln (37,3). Aber auch in Lichtenberg, Tempelhof-Schöneberg. Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte lagen sie über dem Durchschnitt.

Besonders stark gestiegen sind seit 2016 die Ausgaben für stationäre Hilfen, also die Unterbringung junger Menschen in Einrichtungen. „Ein großer Teil des Zuwachses kann dem Personenkreis der jungen Flüchtlinge zugeordnet werden“, heißt es in einem Bericht der Bildungsverwaltung. Es geht um unbegleitete Minderjährige, deren Betreuung, meist bei freien Trägern der Jugendhilfe, besonders teuer ist. Je nach Fall sind es 3000 bis 5000 Euro jeden Monat. Vor allem deshalb stiegen 2017 die öffentlichen Ausgaben für stationäre Hilfen um 11 Prozent auf insgesamt 379,4 Millionen Euro. Das sind zwei Drittel der Gesamtausgaben für alle Hilfen zur Erziehung in Berlin.

Die Hilfen für junge allein Geflüchtete, die ohne ihre Eltern in einem fremden Land über die Runden kommen müssen, ist nicht nur wegen der Komplettversorgung besonders aufwändig, sondern auch wegen der notwendigen Integrationsleistungen. Stark zugenommen haben aber auch die Eingliederungshilfen, die Kindern und Jugendlichen mit Entwicklungsauffälligkeiten und seelischen Störungen zugute kommen. Die Jugendverwaltung betont, dass die steigenden Fallzahlen und Kosten keine Berliner Besonderheit seien, sondern ein Bundestrend.

Seit Jahren bemüht sich der Senat mit bescheidenem Erfolg darum, die Hilfeangebote für Kinder und Jugendliche personell und finanziell in den Griff zu bekommen. In Marzahn-Hellersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg und Reinickendorf sollte jetzt ein Pilotprojekt gestartet werden, um mit Unterstützung externer Gutachter die Hilfen zur Erziehung verwaltungsmäßig zu effektivieren. Doch bisher kam dieses Projekt „zur Geschäftsoptimierung“ nicht voran.

Gleiches gilt für die „verlässliche Ausstattung der Fachkräfte in den Jugendämtern“, wie Jugendstaatssekretärin Sigrid Klebba es im Fachausschuss des Abgeordnetenhauses formulierte. Leider gehe der Fachkräftebedarf im Bereich „Soziale Arbeit“ über die Marktsituation hinaus.

Gesucht: Sozialarbeiter

Sozialpädagogen und Sozialarbeiter werden auf dem „Berliner Karriereportal“ des Senats heftig umworben. Voraussetzung ist ein siebensemestriges Bachelorstudium für Soziale Arbeit oder Sozialpädagogik einschließlich eines Praktikumssemesters. Die Einstiegsgehälter liegen in Berlin bei etwa 2750 Euro brutto.

Soziale Arbeit kann man in Berlin an der staatlichen Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Hellersdorf, den beiden staatlich geförderten kirchlichen Hochschulen – der Evangelischen Hochschule in Zehlendorf und der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Karlshorst – sowie an mehreren privaten Hochschulen studieren.

An der ASH und den kirchlichen Hochschulen gibt es meist deutlich mehr Bewerber als Plätze, ausgewählt wird deshalb nach Abiturnote, teilweise auch nach Vorerfahrungen. An der ASH schließen rund 300 Studierende im Jahr das Bachelorstudium ab, an der Evangelischen Hochschule rund 160 Studierende, an der Katholischen Hochschule waren es 2018 150. An den privaten Hochschulen gibt es in der Regel keinen Numerus Clausus. Dort fallen aber monatliche Gebühren an, 300 bis 500 Euro. Einige bieten duale Studiengänge an, bei diesen werden die Gebühren meist von den Praxisstellen übernommen, in denen die Studierenden die Hälfte der Zeit arbeiten.

Einen neuen dualen Studiengang, der speziell auf die Arbeit in Jugendämtern vorbereitet, haben Senatsjugendverwaltung und Bezirke an der Hochschule für angewandte Pädagogik eingerichtet. Die Studiengebühren werden übernommen, die Arbeitsstunden nach Tarif vergütet. Auch an der ASH soll ein solcher dualer Studiengang eingerichtet werden. Dort gibt es auch ein neues Stipendium für Soziale Arbeit: Das Land Berlin zahlt 20 Studierenden 850 Euro pro Monat.

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