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Winfried Freudenberg (29.8.1956 - 8.3.1989, oben rechts) wird in der Gedenkstätte Berliner Mauer geehrt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Per Ballon nach West-Berlin: Winfried Freudenberg war das letzte Opfer des DDR-Grenzregimes

Mit einem selbstgebauten Ballon und einem ausgetüftelten Plan wollte ein Ost-Berliner 1989 in die Freiheit fliegen. Rekonstruktion eines Fluchtversuchs.

Sie wollten gemeinsam fliehen. Träumten von einem neuen Leben in Freiheit, weit weg von der Einengung, der Überwachung und dem ständigen Mangel in der DDR. Dafür waren der Ingenieur Winfried Freudenberg und seine Frau Sabine bereit, ihr Leben mit einem waghalsigen Plan aufs Spiel zu setzen. Mit einem Ballon, den sie über Monate heimlich in ihrer Zwei-Raum-Wohnung in Prenzlauer Berg zusammenbauten, wollten sie über die innerstädtische Grenzanlage nach West-Berlin fliegen.

Es war ein exakt ausgetüftelter Plan, bei dem an alles gedacht, bei dem alles bedacht und berechnet wurde. Für dessen Verwirklichung Winfried Freudenberg sogar den Arbeitsplatz gewechselt hatte, um beim Berliner VEB Energiekombinat Zugang zu den Reglerstationen zu bekommen, wo es das für den Ballonaufstieg nötige Erdgas gab.

Ein kurzer Flug in die Freiheit sollte es werden - doch er endete im März 1989 mit dem Tod des 31-jährigen Winfried Freudenberg und einer wochenlangen Stasi-Haft für seine junge Frau.

Beim lange herbeigesehnten Start in der Märznacht wird das Paar kurz vor dem Abflug ihres primitiven Ballons von der DDR-Volkspolizei überrascht. Die schon an einem einfachen Gestell angeschnallte Ehefrau springt im letzten Moment ab, doch ihr Ehemann will nicht aufgeben und schießt allein mit dem Ballon in die Höhe.

Eine fatale Entscheidung, denn ohne das Gewicht der Frau stimmt die Gewichtsbilanz nicht. Der aus einfachen Plastikplanen zusammengeklebte Ballon steigt viel höher als erwartet und treibt dann von Norden nach Süden über West-Berlin, das unerreichbar tief unter Winfried Freudenberg vorübergleitet. Zudem funktioniert die Vorrichtung nicht, die als Ventil gedacht war, um das Gas dosiert abzulassen.

Von der DDR-Volkspolizei überrascht

Stattdessen erleidet er einen weiteren Rückschlag. Bis auf 5000 Meter geht es hoch, als Freudenberg auch noch eine Tasche mit Ballastmaterial verliert - die dort oben herrschende Eiseskälte muss den nur dünn bekleideten Flüchtling ausgekühlt haben. Ob er halb erfroren den Halt auf dem abgesägten Besenstiel verliert, der ihm als Sitz dient, oder beim Versuch abstürzt, die schon wieder auf DDR-Gebiet zutreibende Ballonhülle aufzuschlitzen, bleibt ein Rätsel. Freudenberg jedenfalls stürzt aus großer Höhe in einen Zehlendorfer Vorgarten. Seine Frau wird noch in derselben Nacht in Ost-Berlin verhaftet.

Caroline Labuschs Buch trägt den Titel "Ich hatte gehofft, wir können fliegen".
Caroline Labuschs Buch trägt den Titel "Ich hatte gehofft, wir können fliegen".

© promo

Freudenberg war das letzte Opfer des unmenschlichen Grenzregimes. Ein halbes Jahr später hätte das Paar einfach über die Grenze gehen können. Hatten sie die Zeichen der Zeit nicht gesehen? War der Fluchtplan die Verzweiflungstat eines unpolitischen Ehepaares, das nicht bemerkte, dass schon längst eine entschlossene Opposition gegen die totalitäre Herrschaft der SED heranwuchs und junge Menschen mutig gegen die Unterdrückung im Mauerstaat angingen? War der Ballonbau die tollkühne Aktion eines vor Ideen sprühenden Ingenieurs, dem seine Frau nicht rechtzeitig Einhalt gebot? Oder gab es noch andere Motive dafür, auf so aberwitzig tollkühne Weise fliehen zu wollen, in einer Zeit, als der Eiserne Vorgang schon durchlässig wurde und DDR-Bürger schon weit gefahrloser über Ungarn nach Österreich flohen?

[Das Buch: von Caroline Labusch "Ich hatte gehofft, wir können fliegen. Die Geschichte einer tragischen Flucht im Frühling 1989" erscheint im Penguin Verlag, München. 304 S., 14 Euro]

Caroline Labusch hat sich fast 30 Jahre danach auf Spurensuche begeben, um das Rätsel dieser Ballonflucht zu lösen. Ihr Buch „Ich hatte gehofft, wir können fliegen“ ist eine spannende Recherche über Verzweiflung, Wagemut und Selbstüberschätzung im Schatten eines totalitären Regimes.

Die Drehbuchautorin hat dazu auf aufwendige Weise die Akten der Flucht gesichtet, die damals auf beiden Seiten der Berliner Mauer für großes Aufsehen sorgte. Sie hat mit Angehörigen der Familie Freudenberg und ehemaligen Freunden gesprochen sowie mit Fachleuten und Polizisten, die im Frühjahr 1989 mit dem Fall befasst waren.

Vor allem aber gelang es Caroline Labusch, Winfried Freudenbergs längst unter anderem Namen lebende Ex-Frau ausfindig zu machen und mit ihr darüber zu sprechen, wie es damals wirklich war.

Herausgekommen ist ein aufschlussreiches Buch, das sich auf durchaus spannende Weise immer tiefer eingräbt und den damaligen Vorgängen nähert und zu einem überraschenden Ergebnis kommt. Eine Spurensuche, die 30 Jahre nach dem Mauerfall auch für jüngere Menschen noch einmal eindrücklich spürbar macht, zu welchen Verzweiflungstaten der alltägliche Totalitarismus der DDR-Führung ihre Bürger trieb.

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