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Berlin: Pavo Banac (Geb. 1940)

Priester durfte er nicht werden. Aber Kellner

Die Leute sagten nicht: „Wir gehen heute essen“, sie sagten: „Wir gehen zu Pavo.“ Und wenn sie das „Galija“ in Charlottenburg betraten, mittags oder abends, im Frühling oder im Herbst, kam Pavo ihnen schon entgegen, schüttelte ihre Hände, begleitete sie zu den mit weißem Leinen gedeckten Tischen, brachte ihnen ein erstes Getränk und fragte nach dem Befinden, der Familie, dem letzten Urlaub. Ein Ehepaar reiste täglich aus Lichtenrade an, Handwerker aßen während ihrer Pausen schnell große Portionen, Rathausangestellte lockerten ihre Krawatten, eine Dame von mindestens 80 setzte sich immer auf denselben Platz, und einst kam auch Wolfgang Neuss Tag für Tag herunter aus seiner Wohnung, die über dem Restaurant lag, und als er die Treppen hinab nicht mehr schaffte, stieg Pavo mit einem Teller zu ihm hinauf.

Die Leute brachten Pavo Blumen zu seinem Geburtstag und schenkten ihm Bilder, die er an die Wände des Lokals hängte. Er briet ihnen Gänse zu Weihnachten, lud sie ein zu Faschingsfesten und Fischessen, schob Tische und Stühle an den Rand und tanzte mit ihnen, und manchmal, spät am Abend, erzählte er.

Von den Zypressen in Kroatien, die in den postkartenblauen Himmel ragen. Vom Meer, das sich im Sonnendunst kräuselt. Von den Felsen, die Schatten auf den weichen Sand des Strandes werfen. Von den uralten Olivenbäumen auf den sanften Hügeln und dem Gut, das seinen Eltern gehörte und das sie unter Tito verloren. Von seinem Vater, der starb, als er zehn war und seiner Mutter, die ein Leben lang ihre kroatische Tracht trug und wollte, dass er Priester wird. Weshalb er nach Zagreb ging, um Theologie zu studieren. Doch da die Religion die Köpfe nur verneble, entschieden die Funktionäre, Pavo dürfe höchstens eine Ausbildung zum Kellner machen.

Aber weil sein Kopf nur ihm und nicht der Partei gehörte, beschloss er, nach der Lehre zu fliehen. Zweimal versteckte er sich auf einem Schiff, das nach Italien fuhr. Zweimal wurde er verraten. Für den dritten Versuch schnallte er sich einen Rucksack um und robbte durch den Wald hinüber auf die österreichische Seite. Mit nichts als einer Garnitur Wäsche zum Wechseln saß er in einem Kölner Auffanglager und musste fast darüber lachen, dass er, dank der Genossen, zügig Arbeit als Kellner fand. 1967 ging er nach Berlin ans Kempinski, übernahm dann ein Restaurant in der Fasanenstraße und eröffnete 1970 das „Galija“.

Es lief bestens, immer mehr Gäste nahmen Platz auf den Samtbänken, betrachteten die Schiffsdrucke an den mahagonigetäfelten Wänden und ließen sich am Tisch ganze Fische von Pavo zerlegen.

Er spendete für Kirchen und schickte seiner Familie Geld. Im Sommer segelte er, wie in seinen Kindheitstagen, um die Inseln des Mittelmeers. Er bezahlte seinem Sohn aus der zweiten gescheiterten Ehe eine amerikanische Schule und kaufte ihm ein Auto. Er gab die Summe, die nötig war, um das elterliche Gut, das die Seinen zurückerhalten hatten, nach dem Balkankrieg wiederaufzubauen. Er stellte vor allem kroatisches Personal ein und beschäftigte es bis zur Rente. Er sagte: „Ich kann den Laden nicht schließen, ich muss doch für meine Leute da sein.“ Er lernte Angie kennen, ließ sich von ihr ins Theater und in Konzerte führen, war sich vollkommen sicher, dass dieser dritte Versuch klappen würde.

Dann kam der letzte Winter, im März noch schlitterten die Kinder über die vereisten Bürgersteige und Pavo hustete. Eine Grippe eben, dachte er und schonte sich nicht. Aber es war wohl doch das Herz, sagen die Ärzte, und niemand kann so recht daran glauben, denn alle sehen Pavo noch vor sich, mit seinem dichten Haar, elegant und aufrecht und voller Leben.

Die Tür des „Galija“ steht offen und wankt im Wind, der durch die Otto-Suhr-Allee weht und an der Markise über der Terrasse zerrt, auf der ein Turm übereinandergestapelter Gartenstühle steht. Eine Dame tritt in das Restaurant: „Haben Sie wieder geöffnet?“ Ein junger Mann putzt die Fenster, ordnet Papiere, telefoniert. „Noch nicht“, sagt er. Aber in Kürze wird es mit dem „Galija“ weitergehen. Tatjana Wulfert

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