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Schönheit und Medizin. Das Sanatorium Beelitz-Heilstätten wusste beides perfekt zu verbinden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Pavillons für die Pfleglinge: Bier nur für Besucher

In den Beelitz-Heilstätten herrschte ein strenges Regiment, aber es half. Ein Buch würdigt das alte Sanatorium.

Auch den Dichter Matthias Claudius hatte es erwischt: „Ich bin mir selber nicht mehr gleich, bin recht ein Bild von Not, bin Haut und Knochen, bloß und bleich, und huste mich fast tot“, reimte er. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts zählte man 160 000 Tuberkulosetote pro Jahr in Deutschland. Berlin mit seinen beengten Arbeiterquartieren war besonders betroffen. Berlins Landesversicherungsanstalt handelte. 1894 wurde vor den Toren der Hauptstadt ein Areal erschlossen, um 1200 Patienten gleichzeitig Linderung, womöglich Heilung zu verschaffen. Die Beelitz-Heilstätten wurden gegründet. Wie über die Jahrzehnte entwickelt und gebaut wurde, was daraus geworden ist und wie sich der Ort heute präsentiert, ist Inhalt eines großartigen, faszinierend bebilderten Buches geworden (Peter R. Pawlik/Irene Krause: Beelitz-Heilstätten. Heilpalast – Lost Place – Neue Stadt. Geymüller Verlag. 320 S., über 500 Abbildungen, Karte, 39 Euro).

Die größte Lungenheilstätte im Deutschen Reich

Besucher steigen nach einer dreiviertel Stunde mit dem Zug von Berlin am restaurierten Bahnhof Beelitz-Heilstätten aus. Sie sollten ein paar Stunden einplanen, um all das zu bestaunen, was hier auf einer Fläche von rund 210 Fußballfeldern versammelt ist. Anfang des 20. Jahrhunderts war dies mit 60 Gebäuden die größte Lungenheilstätte im Deutschen Reich. In der ersten Bauphase verwirklichten die Architekten Heino Schmieden und Julius Boethke die gewünschten Pläne. Zunächst entstanden „Pavillonkrankenhäuser“ und das Männersanatorium. Der unsanierte Bau zeigt beispielhaft, wie viel Wert man damals auf Schönheit legte. Ein Mix aus gotischen Blatt- und ionischen Säulenkapitellen ist zu bewundern, mit grün-weißen Fliesenböden und geschnitzten Drachenköpfen unterm Dach.

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Die Bauten der ehemaligen Lungenheilanstalt Beelitz-Heilstätten werden denkmalgerecht saniert.
Die Bauten der ehemaligen Lungenheilanstalt Beelitz-Heilstätten werden denkmalgerecht saniert.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Kuren in den Beelitz-Heilstätten zeigten Wirkung. Eine Statistik weist aus, dass 1909 insgesamt 1458 weibliche „Pfleglinge“ einquartiert waren, 87 Prozent konnten als geheilt oder wesentlich gebessert entlassen werden. Ausgeklügelte Hygienemaßnahmen und harte Regeln brachten messbare Erfolge. Ein Kranker teilte einem Freund schriftlich mit: „Diese Karte habe ich im Liegen schreiben müssen, hier ist es sehr streng. Für jeden Patienten 2 Aufseher, doller wie in Moabit.“ Während Besuchern im „Hotel und Restaurant Berliner Kindl“ auch Bier ausgeschenkt wurde, war Pfleglingen Alkoholgenuss untersagt.

Im Ersten Weltkrieg mussten die Lungenkranken für verwundete Soldaten Platz machen. 1915 wurden in den zu Lazaretten umfunktionierten Gebäuden 900 Soldaten gepflegt. Die Bevölkerung von Werder war aufgerufen, ihnen Äpfel und Erdbeeren zu bringen. 1916 wurde der Gefreite Adolf Hitler wegen einer Verletzung durch Granatsplitter hier behandelt.

Ab 1926 wurden die Gebäude vergrößert, hier und da Stockwerke aufgesetzt. Die Einzigartigkeit der Kuranlage blieb lange erhalten, wenn auch einige Gebäude gegen Ende des Zweiten Weltkriegs durch Artilleriebeschuss beschädigt wurden. Die Sowjets übernahmen die Heilstätten. Von ihrer Zeit zeugt etwa die fast intakte, überlebensgroße Statue eines Sanitäters.

1994 zogen die Russen ab, das Gelände war dem Vandalismus preisgegeben. Kupfer und andere Metalle wurden entwendet, Fenster eingeschlagen, Leitungen zerstört. Regenwasser floss durch undichte Dächer. Dabei hatte der Ort enormes Potenzial. Investoren kamen mit diffusen Plänen – und gingen. „Das Areal war zwei Nummern zu groß, um es mittels eines großen Wurfs zu entwickeln“, schreibt der Architekturkritiker Falk Jaeger im Buch.

Im "Alpenhaus" wachsen Bäume

Inzwischen tut sich etwas. Einzelne Gebäude sind schon restauriert, im einstigen Werkstattgebäude entstanden Wohnungen. Das Direktorenhaus kann sich wieder sehen lassen. die Liegehalle dient als Kassenbereich des Baumkronenpfads. Von oben sieht man auf das 1945 ausgebrannte „Alpenhaus“, aus dem längst Bäume wachsen. Das alte Heizkraftwerk mit dem 45 Meter hohen Wasserturm bekommt seinen Glanz zurück, daneben wird das Turbinenpumpenhaus wiederaufgebaut. Hier soll ein „Erlebniscafé“ einziehen. Die Pförtnerhäuser mit schönem, grünen Fachwerk sind bereits wieder bewohnt. Anderes ist unwiederbringlich verloren. Die Kegelhalle zerfällt, die Rettung des Bäckereigebäudes wird ein Kraftakt.

In Beelitz-Heilstätten soll ein Quartier für rund 5000 Menschen entstehen. Die Entwickler versuchen, Altes zu bewahren und Neues behutsam einzufügen. Ob das gelingt, ist zumindest fraglich. Wie kann verhindert werden, dass der Ort nicht zum abgeschotteten Luxusviertel wird?

Noch ist der morbide Charme des Lost Place zu spüren. Die Aufsätze im Buch, die Fotos, Baupläne und all die Postkarten lassen Leser tief in die Geschichte von Beelitz-Heilstätten eintauchen. Der voluminöse Band ist zu schwer, um ihn zur Ortserkundung mitzunehmen. Doch für die Vor- und Nachbereitung ist er ein Glücksfall.

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