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Ein neuer Zug der neuesten S-Bahn-Baureihe 483/484 in Berlin (April 2021).

© Jörn Hasselmann

Update

Parlament beschloss Fahrzeugpool: Neue S-Bahnen gehören künftig Berlin

Berlin wird künftig Eigentümer der neuen S-Bahn-Wagen sein. Das Abgeordnetenhaus hat am Donnerstagabend ein entsprechendes Gesetz erlassen.

Die Einigkeit im Berliner Parlament war selten so groß wie bei diesem Gesetz. Die neuen S-Bahn-Wagen sollen nicht mehr der Bahn oder einem anderen Verkehrsunternehmen gehören, sondern der Stadt.

Am Donnerstagabend beschloss das Abgeordnetenhaus eine "Landesanstalt für Schienenfahrzeuge Berlin" - per Gesetz. Bei den Beratungen im Vorfeld hatten sich alle Parteien dafür ausgesprochen, lediglich die AfD hatte sich enthalten.

Denn alle Abgeordneten können sich gut an das Desaster erinnern, das die Deutsche Bahn 2009 durch ihren völlig übertriebenen Spartrip angerichtet hatte. Wagen wurden verschrottet, Werkstätten geschlossen, bei der Wartung geschlampt – bis Behörden einschritten. 75 Prozent der Züge mussten wegen Sicherheitsmängeln aufs Abstellgleis.

Im Sommer vor zwölf Jahren musste ein Notfahrplan in Kraft treten, die Berliner S-Bahn war in die größte Krise ihrer Geschichte geraten. Die Folgen sind noch heute spürbar

Als Rot-Rot-Grün 2016 antrat, versprach die Koalition, dass sich so etwas nicht mehr wiederholen darf. Es wurde beschlossen, den Betrieb auszuschreiben, und zwar in drei Losen. So soll ein Monopol verhindert werden.

Die Landesanstalt soll Züge für die Nord-Süd-Bahn die kaufen

Zweiter Punkt dieses Plans ist die Gründung eines landeseigenen "Fahrzeugpools". Vorbild ist hier unter anderem Niedersachsen, das Loks und Wagen für den Regionalverkehr gekauft hat und den Gewinnern der Ausschreibung diese dann zur Verfügung stellt. Diese "Landesanstalt Schienenfahrzeuge Berlin" soll für zwei der drei Teilnetze die Waggons kaufen, und zwar für die Nord-Süd-Bahn und die Stadtbahn.

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Die Ausschreibungen laufen. In diesen sind Betrieb und Beschaffung sowie Instandhaltung getrennt. Es werden also einerseits Unternehmen gesucht, die ab 2027 die Linien in diesen beiden Losen betreiben und andererseits Firmen, die diese neue Züge beschaffen und 30 Jahre instand halten. Es gibt also zwei Einzellose für die beiden Teilnetze, zusammen also vier. Geboten werden kann sowohl auf einzelne Lose als auch auf das Gesamtpaket. Der Senat will mindestens 1308 Waggons, also 327 Halbzüge kaufen. Sollten die derzeit diskutierten Verlängerungen von Strecken nach Velten, Finkenkrug, Stahnsdorf, Rangsdorf tatsächlich realisiert werden, können weitere 852 Waggons (213 Halbzüge)  bestellt werden. Auch für die Siemensbahn, die 2029 eröffnet werden soll, werden Züge benötigt.

Den Ring behält die Deutsche Bahn

Es ist die größte Reform in der fast einhundertjährigen Geschichte der S-Bahn. Klar ist, dass die Bahn als bisheriger Monopolist "not amused" ist. Nur für das erste Teilnetz, den Ring, bleibt die Bahn bis auf weiteres Betreiber und Eigentümer. Seit dem 1. Januar sind die ersten neuen Züge auf der S47 als Teil des Ringnetzes in Fahrt. Bis 2023 sollen die restlichen Wagen der Baureihe 483/484 nach und nach geliefert werden.

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Als nächste Linie soll im Sommer 2022 die S46 umgestellt werden, im Oktober 2022 die S8 und 2023 dann die Ringbahn. Grundlage ist hier noch der Verkehrsvertrag zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg mit der Bahn, der am 1. Januar 2021 in Kraft trat.

Es soll der letzte Vertrag dieser Art bleiben, so der politische Wunsch. "Mit dem Gesetz lösen wir einen weiteren Punkt aus unserer Koalitionsvereinbarung ein", hatte der Grünen-Abgeordnete Harald Moritz bei den Beratungen zu dem Gesetz gesagt.

Die Befürworter erwarten mehrere positive Effekte durch den Abschied vom DB-Monopol: Die neuen Züge werden billiger, weil "Monopolpreise verhindert" werden. Zudem sollen der Betrieb und die Waggons zuverlässiger funktionieren als in der Vergangenheit. Da der Kauf und die Instandhaltung gekoppelt sind, werden die Waggons auf Langlebigkeit hin  konstruiert, so der Hintergedanke - manche sagen "Hoffnung" -  des Senats. 

Auch die Züge für das erste Los Ring/Südost gehen nach Ablauf von 15 Jahren in den landeseigenen Fahrzeugpool über, dies ist vereinbart. Insgesamt wurden 106 neue Züge bestellt, 85 vierteilige und 21 zweiteilige. Zusammen sind es also 382 Waggons. Jeweils fünf Züge der beiden Baureihen fahren seit dem 1. Januar. Hier ist sich die Koalition nicht so sicher, Harald Moritz hegt die Befürchtung, dass man die Züge übernehmen müsse, "ohne Einfluss auf die Instandhaltung zu haben", wie er vor Wochen im Parlament sagte. 

"Einstieg in die Kommunalisierung der S-Bahn"

Für den Grünen-Abgeordneten Moritz ist das Modell "der Einstieg in die Kommunalisierung der S-Bahn". Kritiker, darunter Gewerkschaften und Mitarbeiter der DB, befürchten dagegen eine Zerschlagung der S-Bahn. Der SPD-Abgeordnete Sven Heinemann hatte im Parlament versichert, dass mehr Wettbewerb weder zu einer "Zerschlagung" der S-Bahn noch zu einer Gefährdung des Betriebes oder zu Nachteilen für die Mitarbeiter führen werde.

Wegen der großen Einigkeit im Vorfeld war am Donnerstag keine Debatte mehr über das Gesetz und den Fahrzeugpool vor der Abstimmung angesetzt.

Für die U-Bahn wird die Gesellschaft übrigens nicht zuständig sein. Die BVG darf ihre Wagen selbst kaufen.

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