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Blumengarten mit Blick vom Gutshaus zur Havel: Max Slevogt malte dieses Bild im Jahre 1912.

© Repro: mit freundlicher Genehmigung des Westfälischen Landesmuseums in Münster

Paradies am Spandauer Havelufer: Musen und Memoiren in Neu-Cladow

Johannes Guthmann schuf sein Arkadien an der Havel. Ein Buch erzählt von seinen illustren Gästen. Der Bezirk will das „Schlösschen“ als Kulturort neu beleben.

Diese Szene blieb Johannes Guthmann zeitlebens in Erinnerung. Es war an einem herrlichen Sommerabend im Juli des Jahres 1912. Seine illustren Gäste plauderten auf der Terrasse des Gutshauses Neu-Cladow, ein frühklassizistisches, von alten Parkbäumen umrahmtes Gebäude oberhalb der Havel. Kerzen flackerten, vom Blüthnerflügel im Musikzimmer drang leise ein Beethovensches Adagio durch die offenen Fenster. Da sprang der impressionistische Maler Max Slevogt auf, postierte sich mit Staffelei, Pinseln und Farben in der Tür, murmelte eine Entschuldigung, man möge sich nicht stören lassen, aber er wolle den Augenblick im Bilde verewigen, und legte los: In einer Stunde und zehn Minuten war das Gemälde des Freundeskreises fertig.

Paradiesisch - auch heute. Blick zur Café-Terrasse des Gutshauses Neu-Kladow.
Paradiesisch - auch heute. Blick zur Café-Terrasse des Gutshauses Neu-Kladow.

© Kitty Kleist-Heinrich

Der Kunsthistoriker, Schriftsteller und Sammler Johannes Guthmann hat die spontane Aktion 1948 in seinem Buch „Schöne Welt – Wandern und Weilen mit Max Slevogt“ geschildert. Elf Jahre lang, von 1910 bis 1920/21, scharte Guthmann einen Kreis von Menschen um sich, die zum Who is Who der pulsierenden Kunst,- Theater- und Musikszene der Reichshauptstadt gehörten oder ihr Leben der Wissenschaft, Politik und Wirtschaft gewidmet hatten. In geselliger Runde trafen sie sich in seinem „Schlösschen“ am Rand des südlichsten Spandauer Ortsteiles Kladow – heute mit „K“, damals mit „C“ geschrieben.

Der Blick schweift von der Café-Terrasse zur lässig dahinfließenden Havel

Steht man heute auf der Terrasse des Gutshauses zwischen neoklassizistischen Säulen oder vor der Ostfassade, die in warmem Ockergelb verputzt ist, so schweift der Blick wie einst über den sanft gewellten Park hinab zur lässig dahinfließenden Havel und den grünen Linien des Grunewalds. Das Gebäude gehört seit langer Zeit dem Land Berlin, es wurde zur NS-Zeit von der Wehrmacht genutzt, nach dem Krieg von der Arbeiterwohlfahrt. Es erlitt etliche Blessuren, hat aber dank der Sanierung 2017 wieder seine einstige Eleganz zurückgewonnen. Ein Café & Restaurant lädt zum Verweilen ein, und der Bezirk Spandau will das Gutshaus sowie dessen Park ab 2021 als Kulturort weiterentwickeln. „Durchaus im Geist von Johannes Guthmann“, sagt der zuständige Amtschef Ralf F. Hartmann.

Zugewandter Gastgeber: Johannes Guthmann (1876-1956), porträtiert von Max Slevogt.
Zugewandter Gastgeber: Johannes Guthmann (1876-1956), porträtiert von Max Slevogt.

© Repro: mit freundlicher Genehmigung des Landesmuseums Mainz.

In einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche suchte Guthmann nach dem sinn- und identitätsstiftenden „zeitlos Schönen“. Er wollte Kunst, Natur und Leben im Geist der klassischen Moderne an einem inspirierenden Ort der Muße und der Musen vereinen. Kunst war für ihn Lebensmittel, nicht Dekor.

In Kladow begann ein einzigartiges Kapitel der Berliner Kulturgeschichte

Als der schlanke, stets neugierig in die Welt blickende Schöngeist im 34. Lebensjahr ins Gutshaus einzog, begann dort mit ihm ein einzigartiges Kapitel der Berliner Kulturgeschichte. Inmitten der Flusslandschaft schuf er seinen „Musenhof“, sein Arkadien. Er war als Gastgeber „spiritus rector“ heiterer Tafelrunden, beobachtete die Menschen um ihn herum genau und schilderte sie in seinen späteren Erzählungen treffend.

Daran erinnert nun unterhaltsam und tiefgründig das neue Buch der promovierten Kunsthistorikern und Theaterwissenschaftlerin Miriam-Esther Owesle. Titel: „Mimen, Musen und Memoiren. Illustre Gäste in Neu-Cladow“ (be.bra-Verlag, 18 €). Für die Pläne des Bezirks kommt der reich illustrierte Band gerade recht. Die Geschichten und Anekdoten machen klar, welches bewahrenswerte Kleinod die Havelhöhe schmückt.

Kunsthistorikerin Miriam-Esther Owesle hat die Geschichte des Gutshauses intensiv erforscht.
Kunsthistorikerin Miriam-Esther Owesle hat die Geschichte des Gutshauses intensiv erforscht.

© privat

Keiner kennt die Geschichte des Gutshauses besser als Miriam-Esther Owesle. Leidenschaftlich hat sie besonders die Ära Johannes Guthmanns erforscht und darüber 2014 ein erstes Buch mit dem Titel: „Neu-Cladow und nichts anderes“ geschrieben. Sie leitet die von ihr 2015 gegründete Guthmann-Akademie, ein gemeinnütziges Forum für Berlins Kunst- und Kulturgeschichte, organisiert im Gutshaus „Neu-Cladower Salons“, Ausstellungen, Seminare, Lesungen und musikalische Soiréen. Zahlreiche Unterstützer der Guthmann-Akademie haben den Druck des neuen Buches mitfinanziert.

Guthmann wäre heute ein Netzwerker, der Künstler zusammenbringt

„Guthmann wäre heute Netzwerker“, sagt sie. „Er brachte Künstler zusammen.“ So den Dramatiker Gerhart Hauptmann und die Schauspielerin Lucie Höflich. Beide lernten sich 1912 beim Lustwandeln im Neu-Kladower Park kennen. Lucie Höflich avancierte später zum Publikumsliebling in vielen weiblichen Hauptrollen von Hauptmanns Bühnenstücken.

Mit einem "Seine-Dampferchen" setzte die Familie über

Doch wie kam Johannes Guthmann überhaupt zu seinem Paradies? Das Gutshaus, mutmaßlich von David Gilly erbaut, stand ja schon seit 1800 am Havelufer. Erster Besitzer war der Kabinettsrat Anastasius Ludwig Menken. Dessen Tochter Louise Wilhelmine – die Mutter des späteren Reichskanzlers Otto von Bismarck – verbrachte dort ihre Jugend. 1887 erwarb der Berliner Zementfabrikant und Mitbesitzer des Rüdersdorfer Kalksteinwerkes Robert Guthmann das Gut als Sommerdomizil. Mit einem aus Paris herbeigeschafften „Seine-Dampferchen“ setzte die Familie nach Kladow über, erinnerte sich später Robert Guthmanns Sohn Johannes an diese Kindheitsabenteuer.

1909 überließ der Vater dem Sohn das Wohnrecht auf Neu-Kladow. Der zog dort mit seinem Lebensgefährten, dem Historiker und Autor Joachim Zimmermann, ein. Als wohlbestallter Privatier konnte er nun seinen Lebenstraum verwirklichen.

Diener auf der Terrasse von neu-Cladow - ein Gemälde des Berliner Impressionisten Max Slevogt von 1912.
Diener auf der Terrasse von neu-Cladow - ein Gemälde des Berliner Impressionisten Max Slevogt von 1912.

© Repro: mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz.

Zwei renommierte Architekten wurden engagiert. Paul Schultze-Naumburg, Mitbegründer des Werkbundes und Alfred Grenander, der Gestalter vieler Berliner U-Bahnhöfe im Jugendstil und Neoklassizismus. Beide sollten das Gutshaus behutsam umbauen. Dabei entstanden auch die Torhäuser zum Park sowie die Veranda mit geschwungenen Freitreppen. Und zur Gestaltung des Parks mit seinen romantischen Wiesentälern zog Guthmann den „Staudenzüchter-Papst“ Karl Foerster zu Rate. Sogar ein „Natur-Theater“ ließ er im Park anlegen, mit Amphitheater-Rängen. Max Reinhardt, der legendäre Intendant des Deutschen Theaters, machte sich auf den Weg zum kleinen Paradies in Kladow, um das Vorhaben mit Tipps zu fördern.

Max Liebermann war außer sich. Dackel Männe war weg

Es begann das Jahrzehnt des Neu-Kladower Kreises. Extravagant ging’s schon beim Einweihungsfest um 1910 zu, als US-Künstlerin Isadora Duncan auf einem Floß, das am Ufer vorbeiglitt, antike Ausdruckstänze aufführte. Danach kamen die Gäste. Zum Beispiel Max Liebermann. Der Maler und Präsident der Berliner Secession hatte sich gleichfalls 1910, fast in Sichtweite, am Wannsee einen Landsitz geschaffen, nun war er neugierig auf Neu-Kladows Schönheiten, von denen so viele schwärmten. Er kam mit Frau, Tochter und „Männe“, dem Dackel. fand das Haus „wunderbar“, den naturbelassenen Park aber chaotisch. Vielleicht auch, weil „Männe“ dort entwischte und sich am Gartentor von Arbeitern füttern ließ, während ihn Herrchen aufgeregt suchte.

Verliebt in Neu-Cladow. Schauspielerin Tilla Durieux gehörte damals zu den Stammgästen auf der idyllischen Havelhöhe.
Verliebt in Neu-Cladow. Schauspielerin Tilla Durieux gehörte damals zu den Stammgästen auf der idyllischen Havelhöhe.

© Repro: mit freundlicher Genehmigung von Jens-Peter Ketels (Wannsee)

Auch Kunsthändler Paul Cassirer kam gerne vorbei, er war Stammgast ebenso wie Schauspielerin Tilla Durieux. Guthmann hatte sie erstmals als Femme fatale in Oscar Wildes Stück „Salomé“ bewundert. Der Journalist Alfred Kerr weinte bei Hofmannsthals Drama „Der Tor und der Tod“ Tränen der Rührung im Naturtheater des Parks, Max Slevogt porträtierte den Pfau inmitten leuchtender Blumenrabatten, und der umtriebige spätere Außenminister Walther Rathenau, damals Aufsichtsratschef der AEG, fand in Neu-Kladow behagliche Ruhe.

Guthmann und sein Lebensgefährte Joachim Zimmermann wollten bei all diesen Rencontres gar nicht im Mittelpunkt stehen. „Es war uns ein Bedürfnis, die Meister, die wir in ihren Werken verehrten, menschlich zu Freunden zu gewinnen“, heißt es in Guthmanns 1955 erschienenen Lebenserinnerungen. „Ihnen lag nicht daran, mehr scheinen zu wollen, als zu sein“, sagt Miriam-Esther Owesle. Sie waren zugewandt, das war wohl ihr Zauber.

Pianist Conrad Ansorge lieferte den Soundtrack von Neu-Cladow

Auch den Pianisten Conrad Ansorge zog es magisch zur Havelhöhe. Er musizierte in den Konzertsälen der Welt – und lieferte im Musikzimmer des Gutshauses „den Soundtrack von Neu-Kladow“, so Owesle. In der Vossischen Zeitung von 1927 fand sie diesen Bericht eines Gastes: „Ansorge setzte sich, um vor fünf, sechs Menschen Liszts ,Erlkönig‘ und die ,Appassionata‘ zu spielen. Worauf der Hausherr beseligt in den Keller lief und ,eine ganz gute’ holte, worauf Ansorge sich mit Schubert revanchierte, worauf noch eine bessere geholt werden musste, und das so fortging, bis die Nebel über der Havel im lichten Goldton wogten.“

Cover des neuen Buches „Mimen, Musen und Memoiren. Illustre Gäste in Neu-Cladow“, be.bra Verlag, 18 Euro. Die Autorin stellt ihr Buch am 19. Juni, 19 Uhr, in der Liebermann-Villa am Wannsee vor. Infotelefon: 80 58 59 00
Cover des neuen Buches „Mimen, Musen und Memoiren. Illustre Gäste in Neu-Cladow“, be.bra Verlag, 18 Euro. Die Autorin stellt ihr Buch am 19. Juni, 19 Uhr, in der Liebermann-Villa am Wannsee vor. Infotelefon: 80 58 59 00

© Repro: Tagessspiegel

Beidseits des Flusses gibt es aus Sicht von Miriam-Esther Owesle eine glückliche Parallele. „Die Liebermann-Villa in Wannsee und das Gutshaus Neu-Kladow sind für Berlin gleichermaßen bedeutend.“ Beide seien Gesamtkunstwerke mit der jeweils typischen Handschrift ihrer Hausherrn, sagt sie – und freut sich über die Pläne des Bezirks zum Gutshaus. Auch Kulturamtschef Ralf F. Hartmann gerät bei diesem Thema ins Schwärmen.

Eine To-do-Liste gibt es schon: Das Gutshaus soll ein Museum und Kulturort für Musik, Theater, Kleinkunst werden. „Endlich können wir die Kunstsammlung des Bezirks aus dem Fundus holen“, sagt Hartmann. Dazu gehören Landschaftsmalereien von der Havel und Art déco-Möbel. Damit will er im Haus ein Ambiente schaffen wie in Guthmanns Tagen. Die Gastronomie soll ins sanierte frühere Verwalterhaus umziehen, für Feste wird die Gutsscheune rekonstruiert, im Park soll ein Rosengarten neu erblühen – sogar das Naturtheater will man wieder anlegen.

Havelblick heute - von der Freitreppe der Veranda aus gesehen.
Havelblick heute - von der Freitreppe der Veranda aus gesehen.

© Kitty Kleist-Heinrich

„Trotz kriegsbedingter Unbilden waren es elf wundervolle Jahre“, blickt Miriam-Esther Owesle auf die Guthmannsche Ära zurück. 1921 bekam seine Halbschwester Mary das Gutshaus vom Vater überschrieben, sie verkaufte es 1928 an die Stadt Berlin. Johannes musste gehen, Er schuf sich im schlesischen Riesengebirge mit seinem Lebensgefährten ein neues Zuhause.

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