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Sozialpalast

© Doris Spiekermann-Klaas

Pallasstraße: Das Wunder vom Sozialpalast

Jahrzehntelang hat es Schlagzeilen gemacht als Wohnmaschine, als städtebauliche Katastrophe: das Haus Ecke Pallasstraße. Die Zeiten sind vorbei. Heute gibt es Wartelisten statt Leerstand. Quartiersmanager und die Bewohner selbst haben das geschafft. 514 Wohnungen, 1500 Menschen auf 2,6 Hektar in guter Nachbarschaft. Nur: Deutsche sind in der Minderzahl.

Stockwerk für Stockwerk nur Verfall. Von der Decke tropft Wasser aus frei liegenden Rohren. Düstere Flure ziehen sich endlos durch den Sozialpalast, Drogendealer verkaufen hier ihre Ware. Es riecht nach Urin, die Lüftung rauscht. Manchmal sind nachts Schüsse zu hören . . .

Das war gestern. Die seelenlose Wohnmaschine, die städtebauliche Katastrophe, das Multi-Kulti-Kiezwohnhaus an der Ecke Pallas- und Potsdamer Straße hat sich gewandelt. Der soziale Brennpunkt aus den Neunzigern, das Haus mit dem großen Leerstand von damals verfügt heute über eine Warteliste für Mietinteressenten. Das Wunder vom Sozialpalast haben auch seine Bewohner geschafft.

Die Nachfrage ist nicht nur für die großen Wohnungen in den niedrigeren Gebäuden an der Potsdamer Straße groß, sondern vor allem für die Ein-Zimmer-Apartments im Hochhaus. „Diese Wohnungen sind am meisten gefragt, danach die mit 3,5 Zimmern“, sagt Sigrid Witthöft, Prokuristin bei der Eigentümergesellschaft Pallasseum Wohnbauten KG. Und es interessierten sich nicht nur Hartz -IV-Empfänger. „Viele besser Verdienende finden genau diese Ecke hier aufregend.“

Ein Gang über den menschenleeren Innenhof der ehemaligen „Wohnanlage am Kleistpark“ – heute heißt das hier offiziell „Pallasseum“. Aus der Luft sieht der Siebziger-Jahre-Bau aus wie eine Zahnbürste: Er überbrückt die Pallasstraße wie ein riesiger Balken und überragt mit seinen drei parallel zur Potsdamer Straße stehenden Riegeln die Altbauten der Umgebung. 514 Wohnungen, 1500 Bewohner, 2,6 Hektar Fläche. An diesem Vormittag: friedliche Ruhe. Anwohnerin Sagra Semiha steht im Innenhof und raucht eine Zigarette, während sie auf ihren Sohn wartet. Die alleinerziehende Mutter dreier Kinder wohnt seit sieben Jahren hier – und das gerne: „Bei uns drüben im Hochhaus über der Pallasstraße ist es ruhig, seitdem es keine Durchgänge mehr durch alle Häuser gibt.“

1998 wollten der ehemalige CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky und Senatsbaudirektor Hans Stimmann das verwahrloste Hochhaus abreißen lassen. Zu diesem Zeitpunkt stand der soziale Wohnungsbau beim Land Berlin und vier Banken in Millionenhöhe in der Kreide. Das ging an die Ehre der Bewohner – und setzte ungeahnte Energien frei. Sie richteten einen Präventionsrat ein, der 1999 durch ein Quartiersmanagement ergänzt wurde. Mit Hilfe der Bewohner setzte die Eigentümergesellschaft ein Sanierungskonzept durch, mit dem Anfang 1999 eine Mietsenkung finanziert und der Wohnblock für drei Millionen Euro saniert wurde. Die Stadtentwicklungsverwaltung übernahm 35 Prozent der Kosten.

Seit 2003 hat das „Pallasseum“ einen Mieterbeirat, dem auch Familie Ordüz angehört, die seit 21 Jahren dort wohnt. Mutter Melek Ordüz ist eine der Betreuerinnen des „KaffeeKlatsch“, einer Art Hauskantine und Mietertreff. Zudem leitet sie seit acht Jahren die kurdisch-türkische Frauengruppe, die sich hier einmal im Monat trifft. „Früher hat man sich untereinander nicht gekannt, heute herrscht hier Zusammenhalt“, sagt die 56-Jährige. Eine eigene Zeitung von Mietern für Mieter informiere über Aktionen wie Trödelmärkte, Grillfeste oder Balkonwettbewerbe. Der wohl größte Erfolg sei eine Aktion während der Fußball-WM 2006 gewesen: Vier Tage hätten die Nationalflaggen der WM-Teilnehmer und die der Länder, aus denen die Bewohner stammen, von den Balkonen geweht und für Aufsehen gesorgt.

Mutter Ordüz kann sich nicht mehr vorstellen, woanders zu leben. „Wo sonst finde ich noch einmal solche Nachbarn?“ Auch zwei ihrer Töchter haben sich hier eine Wohnung gesucht. „Die Räume sind einfach toll geschnitten und günstig. 87 Quadratmeter, vier Zimmer und das für 710 Euro warm! Am Bayrischen Platz kosten vergleichbare Wohnungen 900 Euro“, sagt die 29-jährige Beglin Ordüz-Anaz. Zuerst habe sie mit ihrem Mann im Hochhaus gewohnt. Nach der Geburt ihrer zwei Kinder seien sie in den Seitenflügel gezogen. „Wäre das eine Eigentumswohnung, würde ich sie kaufen.“ Das Einzige was die Familie stört, ist der Lärm im Sommer. „Bei 60 bis 80 Kindern im Hof macht man ungern die Fenster auf, weil man sein eigenes Wort nicht versteht“, sagt Mutter Ordüz.

Sie nennen sich „Spone“, „Sniper“, „Nacken“, „Alpa Gun“ oder „Big Baba“: Im Pallasseum wohnen viele junge Leute, die Rap-Musik machen. Mehmet und Ergin, Künstlernamen „Amok One“ und „Saigon“, sind zwei von ihnen. Seit 14 Jahren wohnen die Brüder im Pallasseum. Meist sind sie im Jugendladen, dem Treffpunkt im Kiez, anzutreffen. „Die Wände in den Wohnungen hier sind relativ dünn, da geht man besser raus“, sagt der 19-jährige Ergin. Die veränderte Wohnsituation begeistert den Azubi nicht nur. „Es ist sicherer geworden als früher. Aber mit den Kameras überall fühlt man sich auch manchmal wie im Gefängnis. Wir dürfen jetzt nicht mal mehr Ball spielen im Hof.“

Laut Eigentümergesellschaft stimmt die Mischung im Haus: 25 Nationen, je 40 Prozent Deutsche und Türken, der Rest aus anderen Herkunftsländern. Da kann Ergin nur lachen, er sagt, er kenne keine deutschen Jugendlichen, die hier wohnen. Auch glaubt er nicht, dass Deutsche überhaupt ins Pallasseum ziehen wollen: „Die meisten haben doch Angst in einer ,Kanakengegend’ zu wohnen.“ Erst kürzlich seien viele neue Mieter eingezogen – alle Migranten.

Auch ein asiatisches Ehepaar bemängelt, dass wenige Deutsche ins Haus zögen. Die beiden wohnen seit neun Jahren dort mit fünf Kindern. „Vorurteile kommen ja schon auf, wenn man nur Potsdamer Straße hört“, sagt der Familienvater. Und natürlich gehe es in einem Multikulti-Block nicht immer ohne Konflikte ab, weil die Mentalitäten eben unterschiedlich seien und man auf engem Raum zusammenlebe. „Dafür gibt es aber so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl.“ Er bleibt dabei, er wünscht sich mehr deutsche Mieter im Haus. Er hat einen Traum: das „Pallasseum“ als Spiegelbild der Berliner Bevölkerung. „Dann lebte es sich hier sicher noch besser."

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