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Oskar Roehler im Wedding der 80er: Am Affenarsch der Welt

Anfang der 80er kam der heute preisgekrönte Regisseur Oskar Roehler nach Berlin - in den Wedding. An seiner hässlichen Zeit im grauen Arbeiterbezirk arbeitet er sich in seinem neuen Roman ab.

„Berlin 1981, Wedding, Winter ...“ - mit dieser zeitlichen, örtlichen und vor allem seelischen Einordnung beginnt Oskar Roehler seine Berlin-Memoiren. Zuvor hat er sich noch schnell von seinen trostlosen Provinz-Eltern verabschiedet, noch einmal München, noch einmal Darmstadt, und dann bloß weg aus dem schlimmen „Westdeutschland“, abhauen, dorthin, wo gerade alle hingehen, in den beginnenden 80ern, nach Berlin, nach Westberlin, rauf auf die Insel der grandios Verlorenen, wo du dich wieder ein bisschen lebendig fühlen kannst.

Und dann kackt dir der Hausmeister direkt vors Fenster.

„Mein Leben als Affenarsch“ heißt das 222-Seiten-Werk des preisgekrönten Regisseurs, das gerade als Hardcover bei Ullstein erschienen ist - „ein kurzer, wilder Roman über die großen Zeiten des Berliner Underground“, heißt es beim Verlag. Und der Weg in den Untergrund führt eben durch den Wedding. Roehler: „Der Wedding ist eine geistige Wüste. Hier leben die abgestumpften Hinterhofproleten seit Jahrzehnten.“

Und so hockt sein Ich-Erzähler, der vor dem Spießertum geflohene Möchtegern-Schriftsteller, erst mal in seinem Ein-Zimmer-Souterrain-Loch für 90 Mark, und ist statt bei den Rockstars und Poeten in Kreuz- und Schöneberg ausgerechnet bei denen gelandet, mit denen er als allerletztes was zu schaffen haben wollte: den Ur-Berlinern. Statt Sinnsuche, Seele und Speed (kommt später) also erstmal: „Bier, Eisbein, Kohlsuppe, Currywurst und Mord&Totschlag.“ Personfiziert von seinem Hausmeister, einem schlimmen Alkoholiker, den Roehler hier in seinem natürlichen Habitat beschreibt, wo es stets nach feuchter Kohle und Hundescheiße riecht und Widerwärtigkeit und Stumpfsinn regieren und Gewalt sich gegen kein System richtet, sondern allenfalls gegen die eigene Frau.

Was nun? Die Flucht zurück ist so gar keine Alternative, getreu dem Zeitgeist: „Lieber verzweifelt in Berlin als gelangweilt in München.“ Also bleibt er, Roehlers Erzähler, und hält es noch eine Weile im Wedding aus, wo die Tristesse Dauerzustand ist, „ein vom Regen und von den Kohleöfen verwaschenes Grau-in-Grau, (...) alles eine riesige Kaserne, endlos zermürbend“, und er arbeitet sich ab an diesem Ort, der, so findet der Neuankömmling, „schlimmer ist als jeder brasilianische Slum, weil hier alles tot ist, nicht nur die Straßen, auch die Gesichter, die Köpfe. Hier tut sich nichts mehr. Nie mehr.“

Das Hässliche, Graue, Abgefuckte

Die Funktion des Weddings in Roehlers Erzählung wird schnell klar: Es ist für den Ich-Erzähler nichts weniger als der Spiegel seines zutiefst verunsicherten Selbstbilds. Hier, aus dem grauen Norden der Stadt, muss er weg, so schnell wie möglich, er muss das räudige Auffanglager hinter sich lassen, um es weiter südlich, auf den beiden Bergen der Subkultur, irgendwie zu schaffen – da, wo es zwar nicht weniger räudig ist, aber eben die deutlich cooleren Leute unterwegs sind. Frisch zugezogen die meisten.

Der Wedding steht dagegen für all das, was die Roehlers dieser Welt am allerwenigsten wollen: für das Berlin der Berliner, für das Alteingesessene, das Ärmlich-Abgerissene statt für das Lässig-Abgerissene. Der Wedding, das ist der Ort, an dem du damals als Zugezogener schleunigst wegmusst, um nicht vollends suizidal zu werden oder wahnsinnig (natürlich geht es bei Roehlers „Affenarsch“ mit dem Wahnsinn dann erst in Schöneberg und Kreuzberg so richtig los: im SO, im Risiko, im Dschungel, wo Nick Cave und Blixa Bargeld von den Neubauten am Tresen lehnen und das Leben auf den Klodeckeln mächtig Fahrt aufnimmt).

Das Hässliche, das Graue, das Abgefuckte: Drei Jahrzehnte später packen einen Roehlers Wedding-Schilderungen wohl auch deshalb so, weil es mittlerweile natürlich längst die gegenläufige Bewegung gibt. Seit Jahren heißt es raus aus dem ollen Kreuzberg und dem brunchigen Schöneberg und runter ins assige Neukölln, rauf in den toten Wedding. Flucht vor Lärmschutzklagen und Fahrradhorden, vor der museal erstarrten Subkultur, die sich anderswo in der Stadt sogar schon ganz abgeschafft hat.

Längst pilgern die Roehlers von heute eben gerade in die stinkenden Suffkneipen, in denen sich dessen Hausmeister den letzten Anstand wegsoff - sie hoffen, da noch ein letztes Fünkchen von dem zu entdecken, was vor nicht allzu langer Zeit als Ur-Berlinerisch verachtet worden ist. Von der Kloake zum Sehnsuchtsort - so weit ist er schon gekommen, der Wedding.

"Irgendwelches Volk aus Westdeutschland"

Irgendwann geht es dann aber nicht mehr. Roehlers Protagonist verlangt beim Sozialamt den sofortigen Wegzug, und ist überrascht, wie einfach das geht. Und fühlt sich noch ein letztes Mal als der Fremde, der er ist, als er sich in den Kopf des (einheimischen) Sachbearbeiters denkt, der ihn, den Schnösel, den Zugezogenen, natürlich tief verachten muss:

„Irgendwelches Volk aus Westdeutschland, das nicht mal berlinert, Leute, die er nicht auf dem Schirm hat, weil er nie in Westdeutschland war. Die kommen hier an und wollen einfach eine andere Wohnung, bloß weil der Hausmeister in den Hinterhof kackt. Als wäre das nicht völlig normal. Was bilden sich diese Leute bloß ein?“

Also geht es ab nach Schöneberg, irgendwo zwischen Pallas und Yorck, in eine absolut identisch winzige und graue Behausung, die aber eben nicht mehr im Souterrain liegt, sondern im ersten Stock. So geht Aufstieg in Berlin.

Doch vor dem Auszug aus dem Wedding noch einmal allerletzte Zweifel. Frust. Panik.

„Was soll jetzt werden? Ich blicke an der hässlichen Fassade hinauf. Aus dem Hauseingang dringt mir der leicht schweflige Geruch von Kohlenrauch und Abfall entgegen. Mir wird klar, hier kann ich nicht bleiben. Ich kann mich nicht einmal mehr überwinden, hineinzugehen und meine Habe zu holen (...) Es ist nun ein halbes Jahr vergangen, dass ich in Westberlin bin. Zum ersten Mal denke ich daran, in den Landwehrkanal zu springen.“

Oskar Roehler: „Mein Leben als Affenarsch“ (Ullstein, 18,- Euro). Die Verfilmung des Stoffs („Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“) mit Tom Schilling startet am 26. März in den Kinos.

Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem lokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.

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