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Konrad Sprenger beim Stimmen der mit knapp zehn Metern Länge längsten Pfeife der Orgel-Installation.

© Phillip Sollmann

Orgelpfeife meets Computermusik: Klang-Ausstellung öffnet in Berlin-Wedding

Die Klanginstallation „Modular Organ System“ ermöglicht neue Einblicke in ein altes Instrument – und räumt dabei mit traditionellen Vorstellungen auf.

Eine Orgel-Ausstellung im Rahmen zeitgenössischer Kunst? Ist das nicht etwas altbacken? Schon beim Betreten der Betonhalle des Silent Green, wo die Schau „Modular Organ System“ von Phillip Sollmann und Konrad Sprenger an diesem Mittwoch startet, werden Erwartungen an traditionelle Orgelklänge à la Buxtehude und Pachelbel weit zerstreut.

Während man den schätzungsweise 30 Meter langen Tunnel zum Spielort durchschreitet, tönt dem Publikum von einer imposanten Lautsprecheranlage ein Rauschen entgegen. Das führt keineswegs vom Orgelthema ab: An Orgeln, auch an traditionellen Kirchenorgeln, rauscht einiges. Das Rauschen ist also alt. Dass es selbst als Teil der Musik inszeniert wird, das ist dagegen relativ neu.

Das Rauschen verschwimmt – wie alle mechanischen Nebengeräusche und sogar kleine spieltechnische Patzer – üblicherweise bloß im dichten Klangmeer kirchlicher Akustik. Dem Zusammenspiel aus Orgel und Kirchenakustik liegt schließlich eine Idee zugrunde: Reine, transzendente, göttliche Musik, losgelöst vom profan materiellen Instrumentenkörper und seinen technischen Nebengeräuschen.

Bei Sollmann und Sprenger passiert ziemlich genau das Gegenteil: Hat man den anfänglichen Rauschtunnel einmal hinter sich gelassen, kommt man bald in einen Raum, in dem das Instrument gewissermaßen zerlegt vorliegt. Vereinzelte Pfeifen stehen und liegen frei im Raum; viele davon trichterförmig und für Orgeln untypisch. Zudem sind manche traditionell offen, andere als Zungenpfeifen konstruiert, einige verfügen gar über kleine Motoren, mit deren Hilfe sich ihre Stimmung fernsteuern lässt – ein Novum, das die Künstler speziell für diese Installation entwickelt haben.

Die Komposition ist prinzipiell nie fertig

Gemein ist ihnen allen nur die Art der Luftzufuhr durch typische Orgel-Gebläsemotoren. Einige Pfeifen, wie die längste, knapp zehn Meter messende, liegen waagerecht im Raum. Das ermöglicht es dem Publikum, den Klang aus verschiedenen Perspektiven zu hören. Alles, was in einer klassischen Orgel gut versteckt im Hintergrund arbeitet, liegt hier offen zutage. Man kann sein Ohr an einen der Motoren legen und seinem leisen Rauschen lauschen. Oder sich frontal vor die Trichteröffnung eines der großen Hörner stellen und einmal erleben, wie ein tiefer Basston klingt, wenn er nicht einem Lautsprecher entspringt.

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Im Vergleich zu einem Rohr, dessen natürliche Eigenresonanz derart tief liegt, wirken die allermeisten Lautsprecher, die sich mit solch tiefen Frequenzen abmühen, wie Simulanten. „Wir machen hier eigentlich genau das, was wir auch sonst immer machen: Klang-Apparaturen bauen, Klänge gestalten, mit Raumklang arbeiten“, erklärt Sollmann, der vielen Besucher:innen des Berghain unter seinem DJ-Synonym „Efdemin“ bekannt sein dürfte, sich in letzter Zeit aber vermehrt der nicht tanzbaren Kunstmusik zuwendet. Dass diese Arbeit nun eine Nähe zur altehrwürdigen Kirchenorgel hat, habe nichts mit Religiosität zu tun, sondern einfach damit, dass Orgelpfeifen und die Technik verfügbar sind.

Phillip Sollmann und Konrad Sprenger mit Orgelpfeifen.
Phillip Sollmann und Konrad Sprenger mit Orgelpfeifen.

© Daniel Sadrowski/privat

„Bei der Arbeit am Instrument habe ich quasi Scheuklappen auf“, erzählt auch sein Kunstpartner Sprenger, „eine Art Tunnelblick, bei dem ich das Kulturelle ausklammere. Auch wenn ich mir seiner natürlich bewusst bin und mich frage, was wir mit Orgeln eigentlich mit sagen. In erster Linie ist die Orgel aber einfach ein Instrument wie jedes andere auch“.

Gespielt wird das System übrigens von einem Computer, der die Einsätze der Pfeifen nach einer ausgearbeiteten Komposition der beiden steuert. Sprenger und Sollmann können und werden während der Ausstellung dabei jedoch eingreifen, einzelne Lautstärken oder auch den Gesamtklang des Systems und die Komposition ändern. Das Stück ist prinzipiell so angelegt, dass es nie einen fertigen Zustand erreicht. So soll die Aufführung den Charakter eines Musiklabors erhalten, bei dem die Möglichkeiten von Instrumentarium und Raum immer weiter ausgelotet werden.

Orgelsound und zeitgenössische Musik

Im Verlauf der fünf Ausstellungstage sollen weitere Gastmusiker:innen zum Eingreifen in den Klang erscheinen. Der Schlagzeuger Will Guthrie soll Gongs, der Berliner Klangkünstler Arnold Dreyblatt diverse Apparaturen spielen und das Ensemble Brass Abacus die Lücke zwischen den posaunenförmigen Hornpfeifen und klassischen Blechbläsern schließen.

Mit den Komponistinnen Ellen Arkbro und Kali Malone sind zudem zwei international bekannte Orgel-Expertinnen dabei, die in den letzten Jahren mit erfrischenden Orgel-Kompositionen bereits einiges zu einer neuen Wahrnehmung des Instruments beigetragen und seinen Klang nahtlos an Spielarten zeitgenössischer Drone-Musik haben anknüpfen lassen: Musik aus lang gehaltenen, im Raum stehenden Klängen, deren Ursprünge irgendwo zwischen tibetanischem Kehlkopf-Gesang und der Arbeit des US-Klangkünstlers La Monte Young liegen, der zum Beispiel die Band The Velvet Underground mit seinen Installationen in den Sechzigerjahren wesentlich beeinflusst hat.

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Modular bedeutet in der Architektur, dass Neues nicht von Grund auf neu gedacht werden muss, sondern aus vorgefertigten Teilen neu zusammensetzt werden kann. Wer will, kann von der Idee der Modularität leicht einen Bogen spannen zur „Gesellschaft der Singularitäten“, wie der Soziologe Andreas Reckwitz unsere Gegenwart beschreibt – das Modulare also als Ausdruck eines Zeitgeistes, in dem große Zusammenhänge und Mehrheiten flüchtig und instabil erscheinen. „Modular Organ System“ also als musikgewordenes gesellschaftliches System. Wer nicht will, kann natürlich auch einfach zuhören.

Die performative Klanginstallation von Phillip Sollmann & Konrad Sprenger bildet den ersten von drei Teilen der Reihe „Modular Music“, einer Kooperation von „singuhr-projekte“ und dem CTM Festival. Mittwoch bis Sonntag in der Betonhalle des Silent Green, Gerichtstraße 35, vom 19. bis 30. Januar. Tickets und weitere Info auf der Homepage des Veranstalters

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