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Eine Operation am Vivantes Humboldt-Klinikum wird mit Unterstützung des DaVinci-Systems durchgeführt.

© Olaf Tamm

Operationsroboter in der Medizin: Ein ganz besonderer Assistent

Roboter in der Medizin – das klingt nach Science Fiction. Doch sie sind bereits seit Jahren im Einsatz. Allerdings operieren sie nicht selbst, der behandelnde Mediziner bleibt der entscheidende Faktor. Ein Besuch bei Vivantes

Autonom gesteuerte Autos, Kuschelroboter im Pflegeheim, Kochroboter für den heimischen Herd – glaubt man den Versprechen der Technologiefirmen, werden die künstlichen Arbeiter schon bald zum festen Bestandteil unseres Alltags werden. Und bald sollen sie auch die Operationssäle erobern.
Diese Vision ist so neu nicht. Schon während des Vietnamkriegs ersann das US-Militär einen aus der Ferne gesteuerten Roboter-Chirurgen. Er sollte überall dort Verletzten helfen, wo es für Kollegen aus Fleisch und Blut zu gefährlich wäre – beispielsweise auf dem Schlachtfeld oder sogar im Weltraum. Der erste Prototyp für ein solches Gerät wurde bereits in den 1980er Jahren vom Stanford Research Institute der gleichnamigen Universität entwickelt.
Den ersten für zivile Anwendungen zugelassenen Operationsroboter brachte die US-Firma Computer Motion 1997 auf den europäischen Markt. Eine andere Firma – Intuitive Surgery mit Sitz in Kalifornien – erhielt im Jahr 2000 die Zulassung für ein ähnliches System in den Vereinigten Staaten. Nach einem Patentrechtsstreit einigten sich die Konkurrenten auf eine Fusion. So wurde Intuitive Surgery zum Marktführer.
Wie schlägt sich deren System, der „Da Vinci“, in der Praxis? Wir haben uns den Robotereinsatz in der Klinik für Koloproktologie am Vivantes Humboldt-Klinikum zeigen lassen. Skander Bouassida, Enddarmchirurg und ­Leiter des Kompetenzzentrums, operiert heute eine 80-jährige Patientin, die an einem Krebsgeschwür im Dickdarm nah am Schließmuskel des Anus leidet.
Es ist 8.30 Uhr. Die Berlinerin liegt bereits in Vollnarkose auf dem Operationstisch. Bedeckt von grünen OP-Tüchern sieht man nur ihren Unterbauch. Vier von einem Stativ getragene Roboterarme hängen wie ein Krake über der Patientin. Drei der vier Arme können mit verschiedenen OP-Instrumenten wie Messern, Scheren, Pinzetten oder Greifzangen bestückt werden. Der vierte Arm führt eine hochauflösende 3-D-Kamera, die ihre Bilder an die Steuerkonsole des Chirurgen überträgt.

Der Eingriff erfolgt minimalinvasiv

Operationen mit dem DaVinci-System sind minimalinvasive Eingriffe. Die OP erfolgt also nicht offen über einen langen Hautschnitt, sondern über vier je acht Millimeter kleine Schnitte, die durch schmale Metallringe offen gehalten werden. In diese Zugänge gelangen die Instrumentenarme des Roboters und die Kamera in das Körperinnere.
Nachdem die Roboterarme erfolgreich angedockt wurden, entfernt sich Chirurg Bouassida wieder vom OP-Tisch. Obwohl er der Operateur ist, wird er in den kommenden drei Stunden etwa zwei Meter entfernt von der Patientin an einer Konsole sitzen. Von hier aus steuert Bouassida mithilfe von zwei Joysticks und mehreren Pedalen die Roboterarme. Die Pedale ermöglichen es dem Chirurgen, zwischen den vier Armen umzuschalten und wenn nötig Strom auf ein Messer oder eine Zange zu leiten. So werden verletzte Gefäße verödet und eine Blutung gestoppt.
Blickt Bouassida durch das Okular an seiner Konsole, sieht er ein faszinierend räumliches Bild, das sich bis zum 40-fachen vergrößern lässt – so erkennt der Chirurg selbst feinste Nerven und Äderchen. „Durch das hochdetaillierte Bild lässt sich ein Tumor sehr gut von gesundem Gewebe unterscheiden“, sagt Bouassida. Vollautomatisch, wie man es von einem Roboter wohl erwarten würde, passiert hier aber nichts. Alles was in den kommenden drei Stunden folgt, liegt in den Händen von Bouassida. Er wird sich mit den Roboterarmen von der Bauchhöhle aus zum Dickdarm vorarbeiten – fein säuberlich Gewebe durchtrennen, um Nerven herummanövrieren, Blutgefäße mit winzigen Clips abklemmen, den vom Krebs befallenen Darmabschnitt entfernen und schließlich noch einen künstlichen Darmausgang legen.
Wer operiert hier also: Mensch oder Maschine? „Eindeutig der Mensch“, sagt Bouassida. Genau genommen handelt es sich bei DaVinci nicht um einen Roboter, der autonome Entscheidungen trifft, sondern um ein Assistenzsystem. Er verfügt nicht über eine künstliche Intelligenz – er ist so klug oder dumm wie der Mensch hinter der Steuerkonsole. Erfahrung und Können des Chirurgen entscheiden deshalb noch immer über Erfolg und Misserfolg des Eingriffs.
„Der DaVinci-Roboter ist ein extrem leistungsfähiges aber auch ein sehr teures Werkzeug“, sagt Bouassida. Im Vergleich zu einem herkömmlichen Eingriff ist der Roboter 1500 bis 2000 Euro teurer. Zusatzkosten, die nicht von den Gesetzlichen Krankenkassen vergütet werden und daher von den Kliniken getragen werden müssen. Hinzu kommen Anschaffungskosten von ein bis zwei Millionen Euro, die erst einmal wieder refinanziert werden müssen.

Die Studienlage ist erstaunlich dünn

Welche Vorteile hat der Roboter, die die Mehrkosten rechtfertigen? Obwohl das System nun schon seit fast 20 Jahren auf dem Markt ist, ist die Studienlage erstaunlich dünn. Erste Ergebnisse einer in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlichten Studie des australischen Urologen John Yaxley konnten zumindest bei Prostataentfernungen keinen Vorteil in der Lebensqualität belegen. Für Skander Bouassida hat sich der Roboter dennoch in der Praxis bewährt. „Das DaVinci-System eignet sich besonders für Risikopatienten und bei besonders komplizierten Eingriffen, wenn aufgrund der Anatomie auf engsten Raum operiert werden muss.“ In diesen Fällen hält er das System für überlegen, denn es ermöglicht eine Präzision, die weder bei einer offenen noch bei einer herkömmlichen minimalinvasiven OP erreicht wird. „So konnten wir trotz einer höheren Anzahl operierter Risikopatienten unsere Komplikationsrate senken“, sagt Bouassida. Zudem verkürze sich auch der Aufenthalt der Patienten im Krankenhaus, da aufgrund des präzisen Eingriffs weniger Gewebe verletzt und so der Körper weniger belastet werde.

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Das System habe aber auch Nachteile. „Für Eingriffe, bei denen ein Wechsel des Operationsbereichs notwendig wird, ist DaVinci weniger gut geeignet.“ Möchte der Chirurg beispielsweise vom Unter- zum Oberbauch wechseln, muss das System neu ausgerichtet werden – das kostet Zeit. Im Gegensatz zu einem herkömmlichen minimalinvasiven Eingriff ist das Gerät weniger flexibel und benötigt mehr Vorbereitungszeit. Deshalb dauern solche Eingriffe auch länger.

Technischer Fortschritt ist kein Garant für gute Behandlungsqualität

Die Geschichte der medizinischen Roboter zeigt, dass technologischer Fortschritt in der Medizin kein Garant für eine gute Behandlungsqualität ist. „Zu Beginn meiner Laufbahn habe ich die hinkenden Patienten gesehen, die durch einen Fräsroboter schwer geschädigt wurden“, sagt Bouassida. Ende der 1990er Jahre priesen orthopädische Kliniken den sogenannten Robo-Doc an – eine programmierbare Fräsmaschine, die im Beckenknochen eine Vertiefung aushöhlt, um Platz für eine Hüftprothese zu schaffen. Erst nach tausenden Eingriffen fiel auf, dass mehr Patienten als gewöhnlich über Schmerzen und Gehstörungen klagten. Den Robo-Doc wollte bald schon niemand mehr haben. Heute ist bei diesem Eingriff wieder Handarbeit angesagt.
Maschinen werden den Menschen aber im OP-Saal zunehmend unterstützen. Ersetzen werden sie ihn auf absehbare Zeit nicht. „Trotz aller technologischen Sprünge wird ein autonomes System nicht in den nächsten 50 Jahren zu erwarten sein“, sagt Bouassida. Ein echter OP-Roboter bleibt also vorerst noch Science Fiction.

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