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Das Ensemble der Theatermacher Bille und Stefan Behr testet auch die eigenen Grenzen aus.

© Promo/Johannes Gärtner

Open-Air-Stück "Dreamer": Die Theatermacher vom Tempelhofer Feld

Zwischen Donnergrollen und Poesie: Das Theater Anu spielt wieder auf dem Tempelhofer Feld. Diesmal heißt die Open-Air-Inszenierung „Dreamer“.

Die Dämmerung hat längst eingesetzt. Es ist die Zeit für Träume. In Sichtweite vom Rollfeld und Funkturm wird es auf dem Tempelhofer Feld unter Kastanien und Eichen erst einmal romantisch, später auch wild und etwas mystisch.

Bereits zum sechsten Mal inszeniert das Ehepaar Bille und Stefan Behr vom „Theater Anu“ mitten auf dem ehemaligen Flughafengelände ein Sommertheater. Am Donnerstagabend feierte das neue Stück „Dreamer“ dort Premiere.

Ein Käfig, ein Holzthron und eine frei stehende Dusche sind Requisiten. Kleine Häschen, die wie Origami gefaltet wurden, beleuchten als Laternen den Weg über die Wiese. Die Symbolik der Hasen soll sich am Ende des Abends noch erschließen.

Eine klassische Bühne fehlt ebenso wie Sitzgelegenheiten. Ein paar Zuschauer haben sich Holzstühle aus dem angrenzenden Biergarten organisiert. Andere greifen auf Rollatoren oder vorsorglich mitgebrachte Campinghocker zurück. Die meisten nehmen in stummer Vereinbarung auf dem Rasen Platz.

Wetter und Umgebung fügen sich in die Inszenierung ein

Mit zunehmender Dramatik auf der Bühne, liegt plötzlich Regen in der Luft. Der Wind setzt den Kulissen zu. Dann das erste Donnergrollen. „Gleich gewittert es“, mutmaßen die ersten erschrockenen Besucher und rücken enger zusammen. Aber das Unwetter lässt noch etwas auf sich warten. Zunächst entspringt das dumpfe Geräusch vom Band lediglich einem Regieeinfall.

Denn das Ensemble, das eine Dorfgemeinschaft spielt, wird in Aufruhr versetzt. Über Generationen konnten die Bewohner alles Wilde erfolgreich verbannen und halten eine Bestie eingesperrt im Turm. Doch ein Feuer bricht aus und die Bestie ist los. Nun ist das Publikum plötzlich Teil des Spektakels. Aufgeteilt in kleinere Gruppen zieht es als Jagdgesellschaft übers Feld. Mit Netzen und Stöcken soll das Ungeheuer wieder geschnappt werden. Wetter und Umgebung fügen sich problemlos in die Inszenierung ein. Kurz überlegt man, ob die Funklichter in der Ferne oder die am Spielort vorbeiziehenden Radfahrer zum Schauspiel dazu gehören könnten.

Mit Wind hätten sie auf dem Tempelhofer Feld immer zu kämpfen, sagt Stefan Behr, der diesen „ungewöhnlichen Ort“ in seiner Weite „wunderschön“ findet. Ausgangspunkt für das Stück „Dreamer“ war für Behr und seine Frau die psychoanalytische Traumforschung. „Darin kann man sich aber auch verlieren“, sagt Bille Behr. Inspiration fanden die beiden Theaterleute zudem beim Grimm’schen Märchen „Eisenhans“. Und schließlich landeten sie bei der Frage: Was ist eigentlich Wildheit und warum wird diese in unserer Zivilisation bekämpft?

Wetter und Publikumsreaktionen nicht planbar

Das Ganze fügt sich „traumweltenhaft und episodenhaft“, wie es Bille Behr nennt, mithilfe von Videoinstallationen zu einem Kaleidoskop zusammen – durchaus auch mit einem aktuellen Bezug: „Macht jede Gesellschaft sich die Bestie selbst? Die Frage können wir uns in diesen Zeiten noch mehr stellen“, verweist Bille Berg auf eine mögliche politische Relevanz ihres Stücks.

Für die Menschen der Dorfgemeinschaft im Stück fällt das Zeugnis nicht unbedingt positiv aus. Sie hoppeln wie ängstliche Hasen mit Stummelschwänzen über das Feld. Die Zuschauer wandeln zwischen den Bäumen umher und entdecken parallel in Szene gesetzte Spielorte.

„Man kann einfach nicht proben, wie das Publikum reagiert“, sagt Stefan Behr. Auch das Wetter ist nicht planbar, aber genau das macht den Reiz des Abends aus. „Wir haben Lust, Orte zu erobern“, sagt Bille Behr. „Es ist spannender in gelebten und gewachsenen Räumen zu arbeiten“, ergänzt ihr Mann.

Zum Schluss ist Zeit für die großen Fragen. Was ist Freiheit? Kann sie existieren, wenn es keine Grenzen gibt? Konkrete Antworten kann das Publikum nicht erwarten. Auch der Wind weht manche Worte bis zur Unverständlichkeit fort. Nicht alles ist greifbar – ganz wie im echten Traum. Und dann werden alle Traumtänzer – begleitet von Blitzen und dicken Regentropfen – in die Nacht entlassen.

„Dreamer“, Haupteingang Tempelhofer Feld, Columbiadamm 124 am 11. und 12. sowie 16. bis 19. August. Beginn jeweils um 21.30 Uhr. Die Karten kosten im Vorverkauf 22, an der Abendkasse 24 Euro. Ermäßigt 16 Euro. Infos und Karten unter www.theater-anu.de

Milena Fritzsche

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