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Anna Banicevic, Gründerin des Bootsvermittlers Zizoo, in ihrer Firmenzentrale in der Ohlauer Straße in Berlin Kreuzberg.

© Kevin P. Hoffmann

Online-Bootsverleiher Zizoo: Zwischen Zetteln und Zigarrenqualm kam der Gründerin die zündende Idee

Ein Boot zu mieten, war lange sehr kompliziert: Anna Banicevic ändert das mit ihrer Kreuzberger Firma Zizoo – und die Coronakrise hilft dabei.

Die Ohlauer Straße in Kreuzberg, ein Backsteinbau mit verschwenderisch hohen Decken, der den Weltkrieg überstanden hat: Hier hat die Firma Bechstein ihre über viele Jahre getrockneten Hölzer zu Konzertflügeln für den Export in die ganze Welt verarbeitet. Heute gibt hier Anna Banicevic den Ton an. Die Tochter eines Montenegriners und einer Österreicherin bohrt mindestens so dicke Bretter wie Bechstein, um im Bild zu bleiben: Die gebürtige Wienerin digitalisiert mit ihrem Start-up ein Geschäftsfeld, das bis heute kompliziert und noch weitgehend analog strukturiert ist: das Chartern von Booten.

Sieben Jahre lang war die 38-Jährige bei Google in London tätig, wo sie „alles Mögliche“ gemacht hat. Angefangen als Recruiterin verkaufte Banicevic bald im Vertriebsteam, wurde dort Abteilungsleiterin. „Nach dieser sehr langen Zeit dachte ich, ich will mein eigenes Ding machen“, erinnert sie sich.

Aber welches Feld könnte das sein? In der Gastronomie, wäre naheliegend. Ihre Eltern betreiben mehrere Restaurants und Cafés. „Und da habe ich erlebt: Als Unternehmer ist jeden Tag entweder irgendetwas supertoll – oder die Welt bricht gerade zusammen“, erklärt sie beim Gespräch nach einem ersten Rundgang.

Anna Banicevic besinnt sich auf das Hobby, das die Familie teilt: In Kinder- und Jugendtagen war sie regelmäßig mit ihren Eltern segeln, auf der Adria vor Kroatien, aber oft auch vor der Südküste Irlands, wo Freunde lebten. Damals ahnte sie nicht, wie komplex der Prozess des Charterns einer Jacht in der Regel ist. Im Sommer bevor sie bei Google aufhörte, organisierte die Frau, die am liebsten jeden Tag am oder auf dem Meer verbringen würde, für ihre Freunde einen Bootstrip. Ein „sehr interessanter Prozess, weil es so analog war“, erinnert sie sich: Es gab so viele Formulare, aber umso weniger gute Fotos von den Booten, dazu umständliche Zahlungsmodalitäten, es waren viele E-Mails nötig.

Das Aha-Erlebnis kam Banicevic aber auf der Messe „Austrian Boat Show – Boot Tulln“, die seit bald 50 Jahren nicht nur alpenländische Bootsfreunde in die niederösterreichische Gemeinde Tulln an der Donau lockt. „Irgendwann fand ich mich dort in einem Zelt wieder, wo ich dachte, ich sei in den 70er Jahren gelandet: Herren in Anzügen, Zigarrenqualm, die Vertreter der Bootscharterfirmen haben die Bestellungen auf einen Zettel geschrieben. Da habe ich mir gedacht: Das ist eine unglaubliche Chance, das alles zu ändern.“

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Gemeinsam mit den kroatischen Partnern Sinan Masovic (Finanzchef) und Ivan Miletin (Technikchef) gründete sie das Vermittlungsportal Zizoo. Der Firmenname sei eine Referenz an den König der Meeresforscher, Jacques-Yves Cousteau, erklärt die Gründerin. Ein Foto dieses Mannes schmückt ihr Büro. 2004 hatte US-Schauspieler Bill Murray alias „Steve Zissou“ dem Franzosen ein satirisches Denkmal gesetzt.

Der Firmenname ist dem Führungstrio womöglich auch eine tägliche Mahnung, nicht zu sehr mit dem Kopf durch jede Wand stoßen zu wollen – so wie der einstige Weltfußballer des Jahres, Zinédine Zidane, genannt „Zizou“. Er war beim WM-Finale 2006 in Berlin auf dem Weg zum Ruhm, bis er nach einen Kopfstoß gegen seinen Gegner Marco Materazzi die Rote Karte sah und Frankreich das Endspiel verlor.

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Beim Start im Jahr 2015 führte das Trio Zizoo zwischen Zagreb und Wien. Nach Berlin kamen sie über die Teilnahme an einem Accelerator-Programm: „Da waren wir plötzlich alle hier, sind durchgestartet und nie mehr zurückgefahren.“ Es sei sehr leicht, in Berlin Talente, Investoren und Netzwerke zu finden. Wenn sie Mitarbeiter einstellt, erwartet sie nicht, dass diese eine Affinität zum Segeln haben. Erfahrungen in der Tourismusindustrie seien allerdings ein Plus. „Am wichtigsten ist mit aber, dass die Leute interessiert und motiviert sind – und viel arbeiten wollen.“

Das Portal Zizoo vermittelt kleine Boote ab etwa 100 Euro pro Tag und riesige Motorjachten für mehrere Hundertaussend Euro die Woche.
Das Portal Zizoo vermittelt kleine Boote ab etwa 100 Euro pro Tag und riesige Motorjachten für mehrere Hundertaussend Euro die Woche.

© Zizooboats GmbH

Anders als manch andere Gründer, die sich irgendwann auch darüber freuen, sich mal ein wenig zurücklehnen zu können, sobald genügend fitte Leute an Bord sind, kann sich Banicevic kaum vorstellen, in dieser Phase kürzerzutreten. Auch ihre Partner im Vorstand seien „definitiv Workaholics“. Die ehrgeizigen Ziele von Zizoo seien eben nicht mit weniger Arbeit zu erreichen: Das Unternehmen will in ein bis zwei Jahren 200 Millionen Jahresumsatz machen und vor allem: schwarze Zahlen schreiben.

Für die Tourismusindustrie insgesamt ist die Pandemie ein GAU. Erst diese Woche musste der deutsche Marktführer Tui die Regierung um einen neuen Milliardenkredit anpumpen, da die Reiseaktivität fast komplett zum Stillstand gekommen ist. Und auch andere Plattform der Sharing-Economy leiden unter der Corona-Krise. Der Kreuzberger Bootsvermittler hingegen erlebt eine Sonderkonjunktur: Nach einem ausgesprochen starken Start ins Jahr schrumpften die Umsätze von Zizoo nur bis in den Monat April, um sich schon ab Mai wieder deutlich zu erholen. Bereits im Juni verbuchte das Unternehmen nach eigenen Angaben wieder Rekordzahlen.

Die Firma soll in der Krise wachsen

Banicevic kann keine Freude über die Corona-Katastrophe empfinden, spricht aber von einer „wirklich sehr interessanten Erfahrung für uns“. Ihr Team mit 90 Leuten habe sehr schnell reagieren müssen. Weil es weniger Bestellung gab, gingen mehr Kolleginnen und Kollegen in die Kundenbetreuung, um Reisende, die um ihr Geld bangen, zu beruhigen. So habe das Team es geschafft, 92 Prozent der Buchungen für Bootsreisen, die zu dem Zeitpunkt nicht stattfinden konnten, umzubuchen.

Andere Kollegen seien aus dem Verkauf auf die Bootsakquise gewechselt: Zizoo will ja in der Krise wachsen. Anna Banicevic ist zugleich stolz darauf, dass sie niemanden entlassen musste. „Ich glaube, wir haben das Beste aus einer schlechten Situation gemacht.“

Individuelle Bootsreisen, bisher ein Nischensegment im Tourismus, sind wegen der Pandemie deutlich stärker gefragt. „Freunde von mir haben erstmals im Leben ein Boot gemietet, um deren 80 Jahre alte Eltern im Urlaub von Kranken und Viren fernzuhalten.“

Aber auch generell könnten Krisen für fremdfinanzierte Start-ups gut sein, weil sie disziplinieren, mit dem Geld der Investoren vernünftig umzugehen, und zu mehr Tempo animieren, was das Geschäft auch schnell verbessern kann, erläutert sie. Druck von ihren Geldgebern habe sie nicht direkt gespürt, wenngleich diese gefordert hätten, allen optimistischen Szenarien des Führungsteams auch Worst-Case-Szenarien gegenüberzustellen, „die so aber nie eingetreten sind“, wie Banicevic bemerkt. Sie selbst hält knapp 25 Prozent der Anteile, gemeinsam mit ihren Vorstandkollegen besitzt das Trio die Mehrheit. Und das soll vorerst auch so bleiben.

Zizoo-Gründer haben sich an Booking.com orientiert

Zizoos Gründer haben das Rad nicht komplett neu erfunden. Viele Geschäftszweige sind schon durch digitale Technologien auf den Kopf gestellt worden. Zizoo orientiert sich am stärksten an den Vorbildern der Hotellerie, erklärt Banicevic. Konkret verweist sie auf das Modell von Booking.com. Zizoo bietet Bootscharterfirmen eine Technologie an, mit der sie ihre Buchungen verwalten können. Bootstouristen wiederum können sich mit Zizoo schnell und unkompliziert mithilfe präziser Beschreibungen, Bewertungen und guter Fotos ein Bild machen.

Anna Banicevic, Mit-Gründerin des Bootsvermittlers Zizoo mit ihren Mitgründern Ivan Miletic (Technik-Vorstand, links) und Sinan Masovic (Finanzvorstand, rechts).
Anna Banicevic, Mit-Gründerin des Bootsvermittlers Zizoo mit ihren Mitgründern Ivan Miletic (Technik-Vorstand, links) und Sinan Masovic (Finanzvorstand, rechts).

© Kevin P. Hoffmann

Zudem sei Zizoo angetreten, die Kundenkonditionen zu verbessern, betont die Gründerin. So sei das Chartern früher fast immer nur von Samstag bis Samstag möglich gewesen. Zizoo habe den Markt für Wochenendausflüge geöffnet. Und man schaffe generell mehr Sichtbarkeit für das touristische Segment Bootsreisen, das bisher nur einer kleinen Gruppe zugänglich schien.

Dabei vermittelt das Portal nicht nur Boote für sehr große Geldbeutel. Wer für eine Woche ein Segelboot für sechs bis acht Personen chartern will, muss mit 1500 bis 3000 Euro rechnen. Die Preise steigen natürlich, wenn man einen Skipper oder Koch dazubucht. Größere Jachten, Motorboote oder Katamarane kosten allerdings dann auch 20 000 bis 50 000 Euro die Woche. Im Juli hatte Zizoo eine Jacht für 350 000 Euro vermittelt, es war die 49-Meter lange „Khalilah“, Heimathafen Monaco. „Da haben wir uns sehr gefreut“, stapelt Banicevic tief. Denn Zizoo kassiert von der Charterfirma normalerweise zwischen 15 und 25 Prozent des aufgerufenen Preises als Provision.

Anna Banicevic glaubt, dass 2020 trotz Corona das beste Jahr in der Firmengeschichte werden kann. Nicht nur deshalb ist diese Gründerin eine besondere Akteurin in der Berliner Wirtschaft.

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