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Baustelle Olympische Spiele in Berlin.

© dpa

Olympische Spiele in Berlin: Die Versprechen können nicht gehalten werden

Statt sich der Festivalisierung der Stadtpolitik unterzuordnen, hätten die Befürworter von Olympischen Spielen ernsthaft eine Doppelbewerbung Berlin - Hamburg prüfen sollen. Ein Gastkommentar.

Die Olympischen Spiele – für viele Beobachter sind sie nicht nur die größte Show sondern auch einer der größten Schwindel auf Erden. Ein Riesengeschäft, bei dem die Olympische Idee für ökonomische und politische Zwecke instrumentalisiert wird, Rechtsstandards außer Kraft gesetzt werden und der Steuerzahler der Dumme ist, weil er für eine Party blecht, die er so nicht bestellt hat, während das Internationale Olympische Komitee (IOC) sich die Taschen füllt.

Thomas Bach, der dem IOC seit September 2013 vorsteht, hat ein Reformpaket vorgestellt. Dennoch wissen Berlins Olympia-Befürworter, dass sie noch viel Überzeugungsarbeit werden leisten müssen, um die Öffentlichkeit für eine Bewerbung zu begeistern, bevor der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) am 21. März entscheidet, ob er mit Berlin oder Hamburg ins Rennen für die Ausrichtung der Sommerspiele 2024 geht.

Von weniger Größenwahn und mehr Kostenbewusstsein ist die Rede, von Transparenz und Nachhaltigkeit. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) spricht von einer "neu gedachten, echten Reform-Olympiade", sollten sich die Berliner für eine Ausrichtung begeistern lassen. Da fragt sich, ob Müller und seine Mitstreiter ihre Einflussmöglichkeiten nicht über- und den anhaltenden Einfluss jener Interessen- und Machtvektoren unterschätzen, die in der Vergangenheit dazu geführt haben, dass Olympia gastgebenden Städten nicht nachhaltigen Wohlstand sondern in der Regel zusätzliche Probleme in Form von horrenden Defiziten und so genannten "white elephants", das heißt überdimensionierte und über Jahrzehnte hohe Unterhaltskosten verursachende Infrastruktur hinterließ.

Viele Berliner trauen ihren Politikern die Organisation nicht zu

Nachrichten wie zuletzt die Kostenexplosion beim Umbau des Jahn-Sportparks, dem Zentrum möglicher Paralympischer Spiele, wirken hier nicht vertrauensbildend. Viele Berlinerinnen und Berliner scheinen ihren Politikern schlicht nicht zuzutrauen, ein Event von der Komplexität der Spiele erfolgreich auszurichten. Statements wie das von Landessportbundpräsident Klaus Böger, dass sich nicht Berlin an Olympia, sondern Olympia an Berlin anpassen müsse, sind angesichts der nicht enden wollenden Katastrophenmeldungen um den neuen Berliner Flughafen und um andere Bauvorhaben eine Steilvorlage für Olympiagegner. Woran anpassen? An die Regelmäßigkeit, mit der Berlin an der pünktlichen Fertigstellung von Großprojekten scheitert?

Viel ist auch von Nachhaltigkeit die Rede – in der dem DOSB vorgelegten "Interessensbekundung" gar so viel, dass man beginnt, die Nachhaltigkeit des Nachhaltigkeitsbegriffs selbst in Zweifel zu ziehen. Wie Berlin seine Nachhaltigkeitsziele konkret definiert und umzusetzen gedenkt, bleibt jedoch an vielen Stellen unklar. Wird "soziale Nachhaltigkeit", wie im ergänzenden "Argumentationspapier" zu lesen ist, wirklich durch die "Einbeziehung der Bevölkerung", "bezahlbare Eintrittspreise" sowie "Schaffung dringend benötigten Wohnraum[s] in attraktiver Lage" gewährleistet?

Und was ist gemeint, wenn von "sozialer Verträglichkeit" die Rede ist, mit der der Olympischen Bewegung "neue Impulse" gegeben werden soll? Gerade weil die Geschichte der Olympischen Spiele bezüglich ihres Nutzen für gastgebende Städte eine Geschichte der gebrochenen Versprechen ist, lassen die bisherigen Aussagen hinsichtlich des vermeintlichen "sozialen Mehrwerts" einer Ausrichtung zu viele Fragen unbeantwortet. Beschwichtigungen à la "flankierend werden Maßnahmen ergriffen, um erwartbare Anstiege bei den Hotel- und Immobilienpreisen (...) abzudämpfen" spielen Kritikern eher in die Hände: Heißt es sonst nicht immer, die Spiele und mit ihnen verbundene Investitionen seien auch aufgrund der angespannten Situation des Berliner Wohnungsmarkts dringend erforderlich?

Die Stadtforschung diagnostiziert bereits seit über zwei Jahrzehnten eine zunehmende Fixierung städtischer Politik auf Events und Spektakel. Sie tut dies durchaus kritisch nicht nur aufgrund der wiederholten Erfahrung, dass die mit den Events verbundenen Erwartungen, zum Beispiel hinsichtlich ihres ökonomischen Nutzens, in der Realität häufig nicht eintreten. Kritisiert wird die "Festivalisierung der Stadtpolitik" beispielsweise von den Soziologen Hartmut Häußermann und Walter Siebel auch, weil auf diese Weise anderen, weniger spektakelträchtigen Aufgaben die ohnehin knappen Mittel entzogen werden und, ganz grundsätzlich, aufgrund der dem Event-Wettbewerb zugrunde liegenden Denk- und Politikmuster.

Die Alternative einer Doppelbewerbung wurde gar nicht geprüft

Den Logiken von Standortkonkurrenz und Wettbewerb wird das Wort geredet, Städte werden zu Getriebenen derselben. Dass Städte miteinander im Wettbewerb stehen – übrigens nicht nur um finanzkräftige Investoren, Bewohner oder Touristen, sondern auch um öffentliche Fördermittel – ist ein nicht zu leugnender Fakt. Tatsache ist aber auch, dass sie diesen Wettbewerb schüren, in dem sie darauf verzichten, Alternativen zu ihm zu entwickeln, also zum Beispiel der Konkurrenz unter ihnen durch mehr Kooperation und Solidarität zu begegnen.

Es ist nicht zuletzt das fast vollständige Ausblenden alternativer Möglichkeiten städtischer Entwicklung beziehungsweise die insinuierte Alternativlosigkeit, die das Werben der Olympia-Befürworter befremdlich macht. Der jüngst erweckte Eindruck, nur mit den Spielen sei der massive Sanierungsbedarf beim Berliner Breitensport zu beheben, ist ein Beispiel. Derartige Behauptungen haben etwas Erpresserisches und sind darüber hinaus vor allem eines: ein politisches Armutszeugnis.

Johannes Novy.
Johannes Novy ist studierter Stadtplaner.

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Eine Alternative hätte es unter Umständen übrigens auch zu dem laufenden Bewerber-Wettstreit zwischen Berlin und Hamburg gegeben, denn eine Möglichkeit ist nie ernsthaft geprüft worden: eine gemeinsame Bewerbung. Obwohl DOSB-Generaldirektor Michael Vesper nicht müde wird zu betonen, dass eine Doppel-Bewerbung von den Statuten des IOC nach wie vor nicht vorgesehen sei, schließt der IOC länder- und städteübergreifende Olympische Spiele inzwischen nicht mehr aus. Weil dem so ist, schlagen Hamburg und Berlin vor, als Gastgeberstadt die Spiele in die sie umliegenden Regionen auszudehnen. Ein wichtiger Schritt, aber von einem gemeinsamen Auftreten der beiden Städte hätte womöglich ein ungleich wichtigeres Zeichen ausgehen können.

"Miteinander statt gegeneinander" – mit einer derartigen Positionierung hätten die Verantwortlichen nicht nur einen Beitrag zur Wiederbelebung der Olympischen Idee leisten und der Idee der Konkurrenz als den Prozess der Stadtentwicklung beherrschendes Prinzip etwas entgegensetzen können. Auch der an der Elbe und der Spree gleichermaßen beschworenen Bürgernähe hätten sie vielleicht einen Dienst erweisen können. In einer im Herbst vergangenen Jahres veröffentlichten Umfrage im Auftrag von ZEIT ONLINE sprach sich jedenfalls eine deutliche Mehrheit dafür aus, dass die beiden Städte sich gemeinsam bewerben. "Geteilte Freude ist doppelte Freude" könnte als Motto Pate für ihre Entscheidung gestanden haben. Oder aber auch "geteiltes Leid ist halbes Leid" in dem Wissen, dass auf die Riesenparty Olympia allzu oft ein großer Kater folgt.

Der Stadtplaner Johannes Novy arbeitet derzeit als Professor für Planungstheorie an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Er befasst sich unter anderem mit internationaler Urbanistik, Stadtentwicklungspolitik, Städtetourismus sowie sozialen Bewegungen und urbanen Kontroversen. Sein Kommentar ist eine überarbeitete Fassung eines Beitrages im Autorenblog Carta und erscheint in der Tagesspiegel-Debatte zu Olympischen Spielen in Berlin.

Johannes Novy

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