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Der Freitagmorgen wird hektisch. Die BVG streikt.

© Robert Schlesinger/dpa

Öffentlicher Nahverkehr: Wie beurteilen Berliner den BVG-Streik?

"Völlig unangemessen", sagt die BVG-Chefin zum Warnstreik. "Von allein passiert nichts", sagt der Fahrer. Betroffen von Ausfällen sind fast alle. Ein Überblick.

Am Freitag braucht Berlin vor allem eines: Gelassenheit. Denn der Morgen wird hektisch genug. Wer zur Arbeit oder in die Schule muss, sollte viel Zeit einplanen. Die BVG tritt erstmals nach vielen Jahren wieder in einen Streik. 2012 dauerte der Streik zwar satte 15 Stunden, allerdings an einem Sonnabend. Der Ausstand bei U-Bahn, Tram und Bus beginnt diesmal in der tiefsten Dunkelheit („Betriebsbeginn“) und endet am Mittag gegen 12 Uhr. Bis alles wieder normal fährt, wird es noch viel länger dauern. Mehr als eine Million BVG-Fahrgäste sind betroffen (und eine weitere bei der S-Bahn, wo die Züge deutlich voller sein werden). Hier erzählen Betroffene, was sie vom BVG-Streik erwarten.

Ich bin davon auch betroffen und kann nicht ausweichen oder verschieben. Dennoch habe ich Verständnis. In der BVG werden leider falsche Prioritäten gesetzt.

schreibt NutzerIn maxost

DIE BVG-CHEFIN

„Nicht das richtige Mittel“

Für BVG-Chefin Sigrid Nikutta ist es der erste richtige Streik seit 2012, damals ebenfalls im kalten Februar. Im Unternehmen ist man sauer, stinksauer auf Verdi. „Ein Streik ist sicher nicht das richtige Mittel am Anfang von Tarifverhandlungen“, sagte Nikutta am Mittwoch, bemüht um eine freundliche Formulierung.

Eigentlich wollte sie Journalisten die neuen Monitore in der U-Bahn zeigen, wird aber immer wieder nach dem Streik befragt. Nikutta wohnt in Biesdorf. Zwar wird sie am Freitag dank Dienstwagen keine Probleme haben, zur Arbeit zu kommen.

Doch sie hat ganz andere Sorgen: Setzt Verdi die 36,5-Stunden-Woche für alle Fahrer durch, wird sich der Personalmangel dramatisch verschärfen. Schon in den vergangenen Wochen und Monaten sind viele Fahrten ausgefallen, weil Fahrer fehlen. Die gröberen Worte gebraucht dann Nikuttas Sprecherin Petra Nelken: Der Streik sei „völlig unangemessen“, die Stadt werde am Freitag in ein „mittleres Chaos“ stürzen. Die S-Bahn könne den Verkehr alleine nicht stemmen.

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DIE BUSFAHRER

„Mich kotzt das alles hier an“

Am Zoo stehen zwei Busfahrer zusammen, einer braucht die Hilfe seines Kollegen – aber eigentlich hat er keine Zeit, er muss schon wieder los. „Man hat gar keine Zeit, sich mit den Kollegen kurz zu unterhalten, es ist alles so unkollegial.“ Er befürwortet den Streik: „Wer da nicht mitmacht, ist doch von einem anderen Planeten.“ Für ihn geht es um die Rahmenbedingungen, die Zeiten und die Pausenregelungen seien einfach nicht gerecht – wenn es mal zu Verspätungen komme, kann es manchmal sein, dass man eine Pause überspringt.

Der ständige Stress, immer muss alles schneller und besser gehen, das belastet ihn. „Mich kotzt das alles an. Von alleine passiert nichts.“ An allen Ecken und Enden fehle es an Personal. Obwohl er den Streik befürwortet, ist er nicht sonderlich optimistisch. „Beim letzten großen Streik, da habe ich 14 Tage lang gestreikt, und was habe ich daraus gewonnen? 60 Cent habe ich bekommen, das war’s.“ Danach sei er aus der Gewerkschaft ausgetreten.

DER GEWERKSCHAFTER

„Der Druck muss erhöht werden“

Jeremy Arndt ist Verhandlungsführer von Verdi. „Der Streik ist notwendig“, sagt er. „Wir hatten schon zwei Verhandlungsrunden und im vorigen Jahr eine Sondierung.“ Auf die vorgestellten Forderungen beim Arbeitgeber habe es allerdings kein Angebot gegeben. Deswegen müsse der Druck jetzt erhöht werden. Die Bereitschaft der Beschäftigten für den Arbeitskampf schätzt er als sehr hoch ein. „Ich bin mir sicher, dass am Freitagmorgen die Busse und Bahnen im Depot bleiben. Es wird nichts fahren.“ Er selbst ist in Vorbereitung für den Streik schon in der Nacht unterwegs. Und er selbst? Wird am Freitag ausnahmsweise das Auto nehmen.

„Der Streik ist notwendig.“
„Der Streik ist notwendig.“

© Britta Pedersen

DIE HÄNDLERIN

„... und wir sind abhängig“

Dilek Sahin ist eine Bäckereiverkäuferin im U-Bahnhof Möckernbrücke. Normalerweise steht sie um halb 3 Uhr morgens am Bahnhof, damit sie bis halb 6 in der Bäckerei alles vorbereiten kann – Brötchen belegen, Croissants in den Ofen schieben – und der Verkauf dann pünktlich beginnen kann. „Aber wenn von der BVG hier niemand die Passagen aufschließt, kann ich auch nicht hier rein, ich kann nichts vorbereiten“, beklagt sie. Sie wisse nicht, wann ein Mitarbeiter der BVG am Freitag aufschließen wird, sie wird einfach vor dem Bahnhof warten müssen, bis jemand kommt.

„Wenn die erst um 12 Uhr am Mittag aufschließen, dann muss ich ja noch anfangen das Essen vorzubereiten – vor 14 Uhr kann ich wahrscheinlich nichts verkaufen.“ Für ihre Bäckerei ist der Vormittag die Stoßzeit – und freitags machen sie immer am meisten Umsatz. Dilek Sahin ärgert sich, dass sie als Verkäuferin so abhängig ist von der BVG. „Das liegt alles in deren Hand, ob ich arbeiten kann oder nicht.“

„Ich muss um 8.30 am Freitag auf der Arbeit sein – durch den Streik müsste ich zwei Stunden fahren, um dorthin zu kommen.“
„Ich muss um 8.30 am Freitag auf der Arbeit sein – durch den Streik müsste ich zwei Stunden fahren, um dorthin zu kommen.“

© Bernd Settnik

DIE FAHRGÄSTE

„Ich steige ins Auto“

Julia Koch ist eine von vielen: Als Fahrgast wird auch ihr der Streik Kopfschmerzen bereiten. Die einen steigen aufs Rad, andere bleiben zu Hause. Wieder andere quetschen sich in die S- oder Regionalbahn, andere hechten ins Auto der Nachbarn („Wir haben noch einen Platz frei, wer will um 5.30 Uhr mitfahren?“). Immerhin: Es soll zumindest nicht regnen am Freitag. Julia Koch wartet am U-Bahnhof Hallesches Tor, sie muss zum Nollendorfplatz, dort arbeitet sie. „Ich muss um 8.30 am Freitag auf der Arbeit sein – durch den Streik müsste ich zwei Stunden fahren, um dorthin zu kommen.“

Zum Glück hat aber ihr Freund am Freitag frei, der kann sie mit dem Auto zur Arbeit bringen. Für sie wäre der nächstgelegene S-Bahnhof etwa 1,5 Kilometer entfernt – machbar. „Allerdings sind durch den Streik die S-Bahnen auch super voll, das muss man ja alles einplanen.“

Aber planen – das müssen an diesem Freitag ja alle in dieser Stadt.

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