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Mario Pelz, der in einem Heim für Wohnungslose lebt, ist schon seit den 90er Jahren jedes Jahr dabei.

© T. Rückeis, R. Mueller/Imago

Obdachlosenhilfe in Berlin: Stammgast bei Frank Zanders Weihnachtsfeier

Mario Pelz aus Lichtenberg besucht seit den 90ern die große Feier des Entertainers – für ihn der wichtigste Tag im Jahr.

Wenn sich Mario Pelz überlegt, wie das Jahr so gelaufen ist für ihn, wie eigentlich jedes Jahr so läuft, kommt er zum Schluss: Besser vergessen. Besonders sein Wohnheim, das ihn seit 20 Jahren beherbergt, hält er für eine Katastrophe: „Da sind Alkis, Drogen und Lärm.“ Nachts kann er nicht schlafen, tagsüber wartet er darauf, dass etwas passiert, was ihn ablenkt. Vielleicht ein Anruf von einer Castingagentur. Pelz wollte mal Schauspieler werden, aber das ist lange her. Viele Jahre arbeitete er als Komparse, er habe Tom Hanks mal die Hand geschüttelt, mit Harald Juhnke gequatscht, Ulli Zelle von der Abendschau traf er regelmäßig bei Liveschalten. Einmal durchs Bild laufen, für solche Momente lebt Mario Pelz.

[Eine Familie aus Berlin-Kladow lädt 35 Obdachlose zu einem Weihnachtessen an der Havel ein. Sogar ein Luxushotel macht mir. Lesen Sie die Geschichte hier im Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel. Den gibt es in voller Länge und kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Am Freitag gibt es dazu wieder Gelegenheit. Frank Zander lädt zum großen Gänseessen ins Estrel-Hotel, mit Showprogramm und Prominenz. Und vielen TV-Teams, Fotografen, Hostessen, ein Megaevent mit 3000 Gästen. Und Mario Pelz ist dabei. Er hat seit Ende der 90er Jahre keine Weihnachtsfeier verpasst. Dass die geladenen Gäste auf der Straße leben oder wohnungslos sind, am unteren Ende der sozialen Leiter stehen, psychisch krank oder alkoholsüchtig, spielt keine Rolle. Es ist für Pelz eine große Gala, wie die Verleihung der Goldenen Bären auf der Berlinale. „Dieser Tag ist der beste im Jahr. Ein Tag der Freude, der Erholung und des Abschaltens.“

Am Donnerstag wurden die roten Bändchen ausgegeben, die zur Teilnahme berechtigen. Die Sozialarbeiter sollen sie bei der Ausgabe festziehen, damit sie nicht mehr abgestreift und verkauft werden können. Man habe ihm schon mal 50 Euro dafür geboten, sagt Pelz. Das habe er natürlich ausgeschlagen. Am Freitagmittag wird er sich auf den Weg machen in die Levetzowstraße in Tiergarten, zur Beratungsstelle für Obdachlose, wo die Busse stehen, die die Gäste ins Estrel bringen. Eine gute Stunde läuft er zu Fuß, „mit Pausen“, das Busticket ist ihm zu teuer. Am Estrel angekommen, wird jeder persönlich begrüßt, von Frank Zander und seinem Sohn Markus. Mario Pelz ist als Stammgast natürlich bekannt, er spricht von einer „kleenen Freundschaft“ mit den Zanders.

Fünf Stunden Herzlichkeit

Wie sie ihn dort behandeln, so respektvoll und warmherzig, wird Pelz dann wieder zu Tränen rühren, das weiß er schon. So ist das jedes Jahr, „das Liebevolle und Herzliche“ in den fünf Stunden, davon wird er dann wieder lange zehren müssen. Das Liebevolle und Herzliche, genau das fehle ihm in seinem Wohnheim. Die Weihnachtstage will er dort verbringen, es gebe niemanden, der ihn zu sich nach Hause einlädt.

Mario Pelz kann reden wie ein Wasserfall, aber warum er so hadert mit sich und den Umständen, bleibt trotzdem im Vagen. Die Geschichte seines Scheiterns beginnt mit einem „strengen Vater“, der ihm den Weg in den Schauspielberuf verbaute. An der Ernst-Busch-Schule in Berlin habe er sich Ende der 70er Jahre beworben. Weil das nicht klappte, probierte er es in Leipzig, schaffte auch die ersten Prüfungen, aber sein Vater fing die Briefe von der Schule ab, drohte mit Rausschmiss und zwang ihn in eine Lehrstelle als Drucker in Fürstenwalde. Dort stand er an der Maschine, druckte Briefumschläge und lernte, sich seinem Schicksal zu ergeben.

Als die Wende kam und der Betrieb abgewickelt wurde, habe er sich gefreut. Die Rede seines Betriebsleiters kann Pelz sehr schön persiflieren, mit dunkler, belegter Stimme: „Liebe Kollegen, unsere sozialistische Arbeit hat leider keinerlei Früchte getragen ...“ Anschließend versuchte er es nochmal mit der Schauspielerei, aber für die Ausbildung war er inzwischen zu alt. Pelz rutschte ab, machte Platte am Ostbahnhof, bis ihn die Obdachlosen-Ärztin Jenny de la Torre ansprach und einen Wohnheimplatz vermittelte.

3000 Gäste werden am Freitag wieder bei Frank Zanders Feier im Estrel erwartet.
3000 Gäste werden am Freitag wieder bei Frank Zanders Feier im Estrel erwartet.

© imago/APP-Photo

Das Estrel und die Zanders haben inzwischen Erfahrung mit der Logistik dieser einmaligen Feier, die inzwischen in 17 Städten kopiert wird. 300 Helfer kümmern sich um die Gäste, darunter viele Prominente, die auch schon Stammgäste sind: Heinz Buschkowsky, Ex-Bürgermeister Neuköllns, Familienministerin Franziska Giffey, der Regierende Bürgermeister Michael Müller, der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi, Axel Schulz, der Boxer, die Schauspieler Uwe Ochsenknecht und Sabine Thomalla, die Band Revolverheld, der Sänger Ben Zucker ...

Es wollen mehr Prominente mitmachen als gebraucht werden, sagt Markus Zander. Es soll aber eine Familienfeier bleiben, also weist man eher neue Bewerber ab als gute Bekannte. Am Donnerstag warteten 1000 Gäste an der Levetzowstraße auf ihre Bändchen, die übrigen Teilnehmer holten sie an 70 weiteren Ausgabestellen ab, über die Stadt verteilt. Wer auf die Gästeliste kommt, entscheiden Caritas und Diakonie. Die BVG stellt am Freitag Doppeldecker-Busse zur Verfügung, die Fahrer nehmen sich für das Event einen Tag frei, erzählt Markus Zander. Nach dem Essen können sich die Gäste die Haare schneiden oder gegen Grippe impfen lassen. Zum Abschied gibt es ein großes Geschenkpaket aus Sachspenden, mit warmer Kleidung und Lebensmitteln.

„Von A bis Z, alles top“, sagt Pelz. „Wenn es vorbei ist, beginnt dann wieder alles von vorn“. Sein Leben „is’ keen Leben“. Bis auf die fünf Stunden im Estrel.

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